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"Der Zweifel war ihm das Wichtigste"

Von Helmut Atteneder, 29. April 2017, 00:04 Uhr
"Der Zweifel war ihm das Wichtigste"
Bild: VOLKER WEIHBOLD

Alice Harnoncourt (86), die Witwe des großen Dirigenten und Musikers Nikolaus Harnoncourt, über das Leben mit und ohne ihren Mann, warum er oft aneckte und was von ihm geblieben ist.

Ein stolzer Hahn empfängt die Besucher vor dem ehemaligen Pfarrhof in St. Georgen im Attergau. Sein bemühtes Krähen in Ehren, aber Musik wurde mehr als 40 Jahre im Inneren des Anwesens gelebt, wie kaum anderswo. Hier lebte und wirkte der Dirigent und Musiker Nikolaus Harnoncourt. Hier starb der Ausnahmekönner am 5. März 2016. Ein Besuch bei der Witwe Alice Harnoncourt.

 

OÖNachrichten: Frau Harnoncourt, sind Ihnen die "Harnoncourt-Tage" in St. Georgen eine Freude oder auch eine Belastung, weil Sie so wieder an den Tod Ihres Mannes erinnert werden?

Alice Harnoncourt: Das Thema ist ja ohnehin präsent. Jeder, der einen Angehörigen verloren hat, weiß das. Ich bin froh, dass ich ständig an ihn denke. Ich habe mich auch selber dazu gezwungen, weil ich ein Buch herausgeben will mit seinen Texten. Ich hoffe, dass ihm das recht ist.

Sie wollten lange kein Interview geben, auch mit dem Hinweis, Ihr Mann sei so "groß" gewesen, viel größer als Sie. Beschreiben Sie doch diese Größe.

Mein Mann hatte einen starken philosophischen Ansatz, das finde ich toll. Er hat sehr interessant gedacht und immer gesagt, dass Zweifeln das Wichtigste ist. In der Auseinandersetzung mit dem Zweifel kommen dann ganz große Sachen heraus. Sachen, die man immer so gemacht hat – das war ihm völlig egal. Er hat sich immer sein eigenes Bild gemacht.

Wie schwer war es für Sie, dabei zusehen zu müssen, wie Ihr Mann seine Kraft verloren hat?

Er war eine Zeit lang dem Alter entsprechend nicht mehr so gut beisammen. Wenn er auf das Podium gegangen ist, dann war er ein anderer Mensch. Dann war er voll da. Schonen konnte er sich gar nicht.

Was vermissen Sie an Ihrem Mann besonders?

Alles. Wir waren fast 64 Jahre verheiratet, und wir waren immer, immer zusammen. Unsere Kinder haben einmal gesagt, wir hätten einen Weltrekord aufstellen können im Zusammensein. Es hat einfach gepasst, weil ich mich genauso brennend für Musik interessiert habe und auch praktisch in der Lage war, eine Familie zusammenzuhalten. Es war ein glückliches Zusammentreffen ohne Probleme. Beruf und Leben waren eins.

Stimmt es, dass Sie Ihr Mann dazu überreden musste, dass Sie nach der Hochzeit weiterhin Geige spielen, weil Sie die Rolle der Frau in der Ehe im Heim und hinter dem Herd gesehen hatten?

Das war damals eine Zeit, in der es selbstverständlich war, dass man als Frau zu Hause war. Nach der Hochzeit dachte ich, so, jetzt muss ich mich auf ihn konzentrieren. Schon nach einiger Zeit hat er gesagt: Willst du gar nicht mehr Geige spielen? Und ich habe gefragt: Darf ich denn das? Und er sagte: Ja, selbstverständlich. Damit war die Sache für uns erledigt. Ich war 20 Jahre lang Konzertmeisterin vom Concentus Musicus. Als einzige Frau. Das ist sehr aufgefallen.

Das Leben im Hause Harnoncourt mit vier Kindern war sehr bescheiden. Das Budget wurde oft und oft für den Ankauf alter Instrumente für den "Concentus Musicus" aufgebraucht. Wie haben Ihre Kinder darauf reagiert?

Wir haben wahnsinnig gespart. Ich hatte Haushaltsbücherl, da habe ich immer aufgeschrieben, was wir maximal ausgeben konnten. Mein Mann hat zwar bei den Symphonikern verdient, aber nicht aufregend. Ich habe geschaut, dass wir gesund essen. Wir hatten einmal in der Woche Fleisch. Wir haben uns von Salat, Kartoffeln, Milch ernährt. Wir haben gewusst, warum wir das machen, das hat uns überhaupt nicht gestört.

Kam da nie ein Vorwurf Ihrer Kinder, dass es den Schulkollegen viel besser gehen würde?

Damals war es nicht ganz so heftig wie heute. Wir hatten kein Radio, keinen Fernseher, kein Auto. Sie haben mit uns und unserem Beruf gelebt, wir hatten alle Proben zu Hause. Die haben das ganz normal gefunden. Natürlich haben sie auch gefragt: Mama, warum haben wir keinen Fernseher? Dafür haben wir ein Cembalo.

Das hat ihnen gereicht?

Das hat ihnen gereicht. Sie hatten eine ganz starke Beziehung zu unserer Arbeit.

Ihr Mann war, was die Musik betrifft, ein streitbarer Widerspruchsgeist. Hat er unter dem Unverständnis anderer gelitten?

Wenn jemand neue Gedanken hat, dann wird er oft abgelehnt. Er hat sich ja wahnsinnig wissenschaftlich befasst. Das hat man damals nicht gekannt. Man hat Musik aus dem Bauch gemacht und hat gefunden, das ist alles. Und er hat gefunden, wenn man ältere Musik macht, muss man wissen, wie das damals gemacht worden ist. Er ist damals schon sehr angeeckt.

Zufriedenheit als solches ließ er nie gelten?

Nein, aber das ist ja klar, denn das wäre ja Stillstand. Er hat immer gesagt, zufrieden kann man nicht sein, weil sonst hört alles auf.

Er hat von seinen Musikern die totale Hingabe erwartet, wie schwierig konnte er da werden?

Kritisieren ist sehr schwierig. Er hatte da ein großes pädagogisches Talent. Es ist vielen Musikern nicht klar, dass die Musik einer gewissen Epoche so etwas ist, wie eine Sprache. Wenn sie diese Sprache nicht kapieren, dann liegen sie einfach falsch. Wenn sie diese Sprache aber plötzlich verstehen, dann geht ihnen etwas auf. Früher hat es geheißen: Ein Dirigent, der redet, das wollen wir gar nicht. Er sagte, das ist mir wurscht, ich muss es ihnen erklären.

Wenn Ihr Mann dirigiert hat, dann oft mit stechendem Blick.

Er war vieles, aber sanft war er nicht. Er war sehr überlegt und sehr streng mit sich selber. Und humorvoll, was man nicht immer erkannt hat.

Warum hat Ihr Mann eigentlich keinen Taktstock verwendet?

Er hat gefunden, das schaut nach schlagen aus. Das lehnte er ab.

Wie geht es mit dem Concentus Musicus weiter?

Sie bemühen sich, weiter zu machen. Ich halte mich total zurück. Ich finde, man sollte da als Witwe nicht so thronen und dreinreden.

Der Tod lässt die Familie nicht in Ruhe: 1990 starb Ihr Sohn Eberhard, im Vorjahr haben Sie Ihren Enkel Arthur verloren.

Das war ein bisschen viel. Die Musik hat mir geholfen und das Aktiv-Sein. Allein sein ist sehr schwierig. Ich habe das Glück, dass ich eine große Familie habe. Das kann zwar den Verlust des Mannes nie ersetzen, aber es hilft ungemein.

 

Harnoncourt-Tage in Sankt Georgen

Nikolaus Harnoncourt (1929–2016), Dirigent von Weltruf, gilt als Pionier der historischen Aufführungspraxis, die er mit dem „Concentus Musicus“ auf historischen Instrumenten praktizierte. Seine Frau Alice war dort über zwei Jahrzehnte als Konzertmeisterin tätig. Die beiden heirateten 1953 und lebten ab 1973 mit ihren vier Kindern in St. Georgen im Attergau.

Vom 5. bis 7. Mai wird in St. Georgen im Attergau dem Schaffen Nikolaus Harnoncourts mit Künstlern und Ensembles, deren Weg er entscheidend geprägt hat, gedacht. Die Veranstaltungsreihe findet jährlich statt. www.harnoncourttage.at

 

ORF-Beitrag zu St. Georgen im Attergau gedenkt Harnoncourt

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4  Kommentare
4  Kommentare
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Inmediasres (802 Kommentare)
am 29.04.2017 08:33

Klingt nach einer großartigen Frau!

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Maria-Johanna01 (611 Kommentare)
am 30.04.2017 17:02

Das ist sie!

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Ginko (529 Kommentare)
am 30.04.2017 19:35

Wie viele andere Frauen auch.

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sholey (1.360 Kommentare)
am 29.04.2017 01:04

Die Zweifler sind die Besten. Ebenso diejenigen, die sich voll einer Aufgabe hingeben. Großer Respekt vor der Familie.

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