Böses Erwachen für den Weltmeister

Nach nur 19 Sekunden hatte die FIFA-Regie gestern in ihrer TV-Grafik eine 3:0-Führung für das deutsche Fußball-Team gegen Mexiko eingeblendet. Die Realität vor 78.000 Besuchern im Luschniki-Stadion von Moskau sah aber komplett anders aus. Der amtierende Weltmeister stolperte in seinem ersten Gruppenmatch gegen "El Tri", die Mittelamerikaner gewannen 1:0 (1:0) und feierten damit den erst zweiten Sieg über Deutschland in ihrer Historie. Es war ein denkwürdiger.

DFB-Bundestrainer Jogi Löw hatte kurzfristig den erkrankten Jonas Hector links in der Abwehr vorgeben müssen und WM-Debütant Marvin Plattenhardt (Hertha BSC) ins kalte Wasser geworfen. Die Defensive offenbarte vor Seitenwechsel Schwächen, ZDF-Kommentator Oliver Schmidt sprach von "45 alarmierenden Minuten". Kein Wunder. Die mexikanischen Konter fielen überfallsartig aus, auf Deutschlands Super-Torhüter Manuel Neuer kam weit mehr Arbeit zu als erwartet.

Ein Meilenstein für Marquez

Dem Außenseiter waren Begeisterung und Spielfreude anzumerken. "Es gibt keinen größeren Gegner als Deutschland, das wird großartig", hatte Mexikos nach der schwachen und turbulenten Vorbereitung in die Kritik geratene Teamchef Juan Carlos Osorio vor dem Anpfiff betont. Nachsatz: "Wir können sie herausfordern und hoffentlich auf Augenhöhe mit ihnen spielen." Gesagt, getan.

Mexikos 1:0 in der 35. Minute durch Hirving Lozano (PSV Eindhoven), der Mesut Özil ausgetanzt hatte, war unhaltbar und hochverdient. Den Deutschen drohte die erste Niederlage in einem WM-Auftaktmatch seit 1982, damals hatten sie in Spanien gegen Algerien 1:2 verloren. Und diesmal – 36 Jahre später?

Kurz vor der Pause hatte der in Manndeckung genommene Toni Kroos mit einem Lattenschuss Pech (39.), spielerische Glanzlichter hielten sich in Grenzen, dafür waren die Unzulänglichkeiten in der Rückwärtsbewegung gigantisch. Vor allem der sonst so verlässliche Sami Khedira wirkte im zentralen defensiven Mittelfeld überfordert.

Mit Fortdauer erhöhten die Deutschen den Druck, Löw brachte den agilen Marco Reus (anstelle von Khedira). Ein Fallrückzieher von Joshua Kimmich fiel zu hoch aus (65.), Reus verfehlte das Ziel (72.), detto Kroos (76.).

Mexiko verteidigte sich mit Händen und Füßen – und ab der 74. Minute auch mit Routinier Rafael Márquez. Der 39-Jährige, zum fünften Mal bei einer WM, absolvierte sein 145. Länderspiel. Es war ein ganz spezielles. Man gewinnt nicht jeden Tag gegen den Weltmeister, der durch Julian Brandt noch eine Top-Chance vergab (89.). Zentimeter fehlten.

"Diese Pleite macht uns WM-Angst. Peinlicher Auftakt gegen Mexiko." So titelte die Bild-Zeitung nach der Niederlage. Der Titelverteidiger steht jetzt in den weiteren Gruppenspielen gegen Schweden (Samstag) und Südkorea (27. Juni) unter Zugzwang. Das weiß auch DFB-Mittelfeldspieler Toni Kroos: "In der ersten Hälfte haben wir keine Lösungen gefunden. Dann wurde Mexiko ein bisschen müde. Wir hatten unsere Möglichkeiten, leider ist uns kein Tor gelungen", analysierte der Real-Madrid-Star: "Wir müssen sechs Punkte holen, natürlich sind wir unter Druck."

"Wir sind sehr enttäuscht"

Abwehrchef Mats Hummels beklagte die mangelhafte defensive Absicherung seiner Vorderleute: "Die Mexikaner haben das Spiel verdient gewonnen, weil wir es ihnen viel zu leicht gemacht haben. Wenn wir wieder so spielen, mache ich mir Sorgen. Aber ich gehe davon aus, dass es nicht so sein wird." Auch DFB-Bundestrainer Jogi Löw war bedient: "Wir müssen jetzt eine Reaktion zeigen." (alex)