Wo die Wikinger tobten
Im Winter lockt das Nordlicht auf die norwegische Inselkette der Lofoten. Im Sommer verspricht das grüne Paradies Urlaubsfreuden für Reiter, Wanderer, Kletterer, Angler und – man glaubt es nicht – Surfer.
Gleich vorweg: Kalt war es im Sommer auf den Lofoten nicht. Der Klimawandel mag die Ursache dafür sein, dass man sich 2014 über wochenlanges Badewetter freuen konnte, während Österreich in Regentristesse versank. Und auch im Winter darf man mit angenehmen Temperaturen rechnen. Der Golfstrom lässt die Grade auf den Lofoten, deren Name übersetzt Fuchspfoten bedeutet, selten unter minus fünf sinken – und das nördlich des Polarkreises.
Die Weltecke im Norden Europas ist nicht arm an Überraschungen. Die erste erwartet uns in Bodø, der kleinen Stadt am Festland, auf dessen hörschinggroßem Flughafen wir direkt von Wien aus gelandet sind. Familiär geht’s hier zu und spektakulär zugleich. Nicht weit vom Yachthafen entfernt, schauen uns Seeadler beim geruhsamen Bootfahren zu, bevor uns 300 Außenborder-PS rumpelnd über ein beeindruckendes Naturschauspiel schieben; den Saltstraumen, den weltgrößten Gezeitenstrom. Das bedeutet, dass hier alle sechs Stunden 400 Millionen Kubikmeter Wasser durch eine 150 Meter breite und 30 Meter tiefe Meerenge zwischen dem Saltenfjord und dem Skjerstadfjord gepresst werden. Das Wasser schießt mit 20 Knoten heran und bildet einen 30 Meter breiten Mahlstrom, dem sich unser starkes Schlauchboot zum Glück entziehen kann. Es heißt, Jules Verne sei nach Erzählungen über dieses Naturwunder zu seinem Roman "20.000 Meilen unter dem Meer" angeregt worden. Sicher ist: Einmal im Jahr lädt der Tauchclub von Bodø seine Mitglieder ein, den Hotspot von tonnenweise metallenen Blinkern und Pilkern zu befreien, die von glücklosen Fischern erzählen. Das nähr- und sauerstoffreiche Wasser ermöglicht hier eine vielköpfige Fischfauna, hinter der Angler aus nah und fern her sind.
Das Fährschiff bringt uns in drei Stunden auf die Lofoten, die aus 80 Inseln bestehen. Die Hauptinseln sind alle mit Brücken und Tunneln verbunden – zur Freude von 300.000 Touristen, die hier alljährlich einfliegen; nein: einfahren, hauptsächlich mit Wohnmobilen. Warum das so attraktiv ist? Es gilt das Jedermannsrecht. Es erlaubt quasi überall stehen zu bleiben, die Nacht zu verbringen, zu zelten. Nicht immer ist diese Völkerwanderung leicht zu ertragen für die 24.000 Bewohner. Aber man ist ruhiger geworden, verglichen mit alten Wikingerzeiten, in denen einem schnell einmal eine Streitaxt entgegenflog.
Wie das von der Hand geht, lässt sich im Wikingermuseum in Borg ausprobieren. Man kann auch mit einem klassischen Drachenboot eine Runde drehen. Das Faszinierendste dort ist aber der Nachbau eines nordnorwegischen Herrscherhauses. Über 83 Meter erstreckt sich das Wikinger-Langhaus. In ihm fanden Tiere wie Menschen Raum, König wie Knechte, Frau und Mann. Im Museum lässt sich der Alltag von vor 1300 Jahren eindrucksvoll erfahren.
Die Geschichte der Lofoten ist aber vorrangig eine des Fischfangs. Am besten wird sie im Freilichtmuseum in Å erzählt. So heißt die südlichste Gemeinde der Lofoten (siehe Seite 2).
Wir aber schauen nach Nusfjord, zum ältesten und am besten bewahrten Fischerdorf der Inselkette. Nur noch 36 Leute leben hier und halten den Ort für Touristen in Schuss. Dankenswerterweise, muss man sagen, denn allein die Greißlerei aus 1907 ist einen Besuch wert. Das sehen auch Sommerskipper so, die gerne in dem kleinen, verwunschenen Hafen für eine Nacht anlegen.
Die wirklich große Beute machte und macht man von Reine aus. Das pittoreske Städtchen beheimatet das Walfangmuseum, noch heute geht man von hier aus auf die Jagd nach Kleinwalen. Deren Fleisch schmeckt wie Rind, ist aber auf den Inseln mit zwölf Euro pro Kilo deutlich billiger. ÂWeiter auf Seite 2
In den Steilhängen der Lofotener Berge, die bis zu 900 Meter hoch werden, hängen hie und da bunt gekleidete Kletterer. Sie reizt der griffige Fels eines der ältesten Gebirgszüge der Welt. Für sie, die Wanderer oder Skitourengeher eröffnen sich von den Bergrücken herrliche Blicke über die Strände.
Einer der ungewöhnlichsten befindet sich auf der Westseite, in Unstad. Hier, am Ende eines Talkessels, der alle Farben in Grün spielt, brechen mächtige Atlantikwellen vor dem Sandstrand. Zwei Ingredienzien, die vor 15 Jahren die ersten Surfer anlockten. Heute betreiben einige von ihnen die nördlichste Surfschule der Welt, "Arctic Surf". Dem Vernehmen nach soll die Sauna nach dem Surfen immer gut ausgelastet sein.
Durch die Dünung tölten
Weniger durchgerüttelt wird man auf dem Rücken der Pferde, die der Bauer Frode Hov auf seinen Weiden im Naturparadies Gimsøysand stehen hat. Es sind Islandpferde – wobei das eine trügerische Bezeichnung ist. "Es sind Pferde von hier, die die Wikinger vor langer Zeit nach Island mitbrachten", erklärt Hov. Die Tiere gehen brav über den weißen Strand und eine Landschaft, die alles hat fürs Auge. Unter fortgeschrittenen Reitern lassen sich die Tiere sogar zum Tölt überreden, eine komfortable Gangart, die nur noch wenigen Pferderassen eigen ist.
Derart massiert und aufgerüttelt, beschließen wir den Tag oder die Nacht – es ist ja rund um die Uhr hell zur Mittsommernacht – mit einem erfrischenden Bad im Meer, direkt vor unseren rotgetünchten Rudererhütten, den Rorbuern in Mortsund. Diese ehedem kargen Fischerhütten sind heute mit jedem Komfort ausgestattet und wirken dennoch rustikal.
Für die Rückreise in den Süden, nach Trondheim, bietet sich die imposante "Nordnorge" an, die "Nordnorwegen" der Hurtigruten-Schifffahrtslinie. Von den um das Jahr 1900 als Postschiffe konzipierten Transportkähnen haben sich die heutigen Luxuskreuzfahrtschiffe weit entfernt. Den fahrenden Aussichtsplattformen mit ihren hochrangigen Restaurants muss man neun von zehn Verwöhnpunkten konstatieren. Allein der Wein – den lässt man sich mit Gold aufwiegen.
Infos: www.visitbode.com, www.nusfjord.no, Surfen: www.unstadarcticsurf.com, Reiten: www.hovhestegard.no Unterkunft: Bodø: Clarion Collection Hotel Grand, Fischerhütten in Mortsund: www.statles.no Reiseveranstalter: Prima-Reisen hat Nordnorwegen im Sommer-Programm, Abflüge zu 8-tägigen Trips ab 20. 6. 2015 (primareisen.com), Hurtigruten (hurtigruten.de)
Stockfisch
Steter Wind und ein paar Plusgrade – das ist das optimale Wetter im Frühling auf den Lofoten zum Trocknen des Stockfischs. Seit Jahrtausenden fangen die Eingeborenen den Skrei, wie sie den Kabeljau nennen. Der Fisch zieht jedes Jahr von der Barentsee zum Laichen in den Vestfjord zwischen Festland und Lofoten.
Anfangs schliefen die Fischer von Weihnachten an monatelang in ihren kleinen Booten, im Mittelalter als der Stockfisch in ganz Europa verkauft wurde, mussten die Fischgrundbesitzer Rudererhütten, so genannte Rorbuer, bauen. Darin hielt sich ein Dutzend Männer auf, die Fenster waren mit Pergament aus Fischblasen verschlossen, eine Tranfunzel gab Licht. Man will sich nicht vorstellen, wie es darin roch.
Das Museum in Å, dem südlichsten Zipfel der Lofoten, zeigt heute olfaktorisch dezent, wie sich das Leben der Fischer früher gestaltet hat. Die dortige Trandampferei, in der man Öl aus Fischleber gewann, war bis in die 1930er-Jahre in Betrieb. "Tran opferten schon die alten Samen", erzählt Museumsführer Jörg Kuhnt. Noch heute ist Kabeljau ein großer Wirtschaftsfaktor in Norwegen.