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Wenn der Ball ein Schaf ist

01. April 2017, 00:04 Uhr
Wenn der Ball ein Schaf ist
Jurten-Stadt für die Nomadenspiele vor traumhafter Kulisse

Pferde, Adler, Jurten und exotische Sportarten – Anja Böck tauchte bei den Welt-Nomaden-Spielen in Kirgistan in eine andere Welt ein.

Ein Pfiff. Acht Reiter stürmen los. Sie galoppieren direkt auf die Tribüne zu. Spätestens jetzt schweift der Blick mancher Touristen im Zuschauerraum über das Spielfeld auf der Suche nach einem Ball. Es dauert, bis die Blicke an dem unförmigen schwarzen Etwas im Sand hängen bleiben, das aussieht, als hätte es ein Fell. Derweil sind die Spieler auch schon bei dem Etwas und versuchen es, auf ihr Pferd zu zerren. Jetzt ist klar: Der "Ball" ist ein totes Schaf. Ohne Kopf. Aber ansonsten naturbelassen mit vier Beinen und zotteligem, schwarzem Fell. Zwischen 32 und 35 Kilo soll es schwer sein und muss von den beiden Mannschaften in guglhupfförmige Tore manövriert werden. Das ist Kok Boru. Fußball auf Kirgisisch gewissermaßen.

Es war einer der ersten Wettkämpfe bei den Welt-Nomaden-Spielen und zugleich eine der größten Attraktionen. Erst zum zweiten Mal fanden die Spiele im vergangenen September statt. Teilnehmer aus 40 Nationen reisten nach Kirgistan, um an sechs Tagen in 23 Disziplinen und an vier verschiedenen Schauplätzen um die Titel zu kämpfen. Neben Kok Boru duellierten sich die Wettkämpfer in Adlerjagd, Knochenwerfen, Pfeil- und Bogenschießen, Wrestling – am Boden oder hoch zu Ross – und beim Pferderennen. So soll das nomadische Erbe zentralasiatischer Länder bewahrt werden, heißt es von offizieller Seite.

Wenn der Ball ein Schaf ist
"Kok Boru" wird mit einem kopflosen Schaf gespielt

Für die Spiele wurde ein brandneues Stadion gebaut, direkt am Ufer des Issyk-Kul-Sees, des zweitgrößten Gebirgssees der Welt, unweit der Stadt Tscholpon-Ata im Osten Kirgistans. An diesem Tag trat das russische Kok-Boru-Team gegen Afghanistan an. Mit dem Pferd auf das Schaf zu treten erwies sich als beliebte Taktik, damit gegnerische Spieler es nicht hochheben konnten. Gelang es einem Reiter doch, das Fellknäuel in einem halsbrecherischen Manöver auf seinen Sattel zu hieven, drängten sich die gegnerischen Reiter um ihn, als wollten sie ihn erdrücken. Kok Boru war brutal, fesselnd und definitiv anders. Am Ende gewannen die Russen mit einem Schaf zu null Schafen.

Abgesehen von Kok Boru wurden viele Disziplinen in den Bergen ausgetragen. Kyrchyn hieß dieser geheimnisvolle Ort, in dem es keine Häuser geben sollte und keine Straßen. Auf dem Weg nach Kyrchyn rollte unserem Taxi eine fast endlose Wagenkolonne entgegen. Sie alle wollten nach einem aufregenden Wettkampftag zurück nach Tscholpon-Ata. Das Taxi bog um eine Kurve, und da waren sie: knapp 300 weiße Jurten, die sich auf einer Wiese mitten in den Bergen aneinanderreihten – ein atemberaubender Anblick!

Es dämmerte, als wir unsere Schlafjurte erreichten. Ein gutes Dutzend Kirgisinnen bereitete sich darin auf das Schlafengehen vor. Obwohl wir uns auf engem Raum unter völlig Fremden befanden, war es leicht, sich wohl zu fühlen. Sie waren neugierig, wir ebenso. Nur eine gemeinsame Sprache hatten wir nicht. Den älteren Damen schien das nichts auszumachen. Sie sangen Lieder, und ihre Stimmen erzählten dabei Geschichten, auch wenn der Text in einer fremden Sprache war. Ihre Augen strahlten Ruhe und Zufriedenheit aus. Kirgistan und sein herzliches Volk, sie hatten uns für sich eingenommen.

Wenn der Ball ein Schaf ist
Kirgisin in traditioneller Bekleidung

Noch zu Beginn des 20. Jahrhunderts führten die meisten Kirgisen ein nomadisches Leben in der Jurte. Durch die Einflussnahme des russischen Zaren und später während der Zeit der Sowjetunion wurden immer mehr Menschen sesshaft. Bei den Welt-Nomaden-Spielen sollten nun diese nomadischen Wurzeln wieder aufleben. Auf der Hauptstraße waren ebenso viele Pferde wie Menschen unterwegs. In manchen Ecken standen Kamele, andernorts schlenderten Buben mit ihren Adlern auf den Armen über die Wiese. Es machte kaum etwas aus, dass es für die Wettkämpfe weder einen Zeitplan noch eine Karte zu geben schien. Mal flog ein Adler, mal ein Falke, mal traten Männer auf das Feld und schossen mit Pfeil und Bogen.

Als sich der Tag langsam zu Ende neigte, war es Zeit, einen Bus zurück zur Hauptstraße zu suchen. Wie die Wettkämpfe selbst waren auch die Busse nicht nur für Kirgisen, sondern für jeden Besucher kostenlos.

Ganz unumstritten blieben die großen Geldsummen nicht, die für die Spiele aufgewendet wurden – hätten sie doch auch anders eingesetzt werden können. Für das verbesserungswürdige Bildungssystem etwa. Andererseits sollen die Welt-Nomaden-Spiele den Tourismus ankurbeln und daher langfristig Geld einbringen. Wann und wo die nächsten Spiele stattfinden werden, steht allerdings noch nicht fest. Voraussichtlich werden sie im Herbst 2018 wieder am Issyk-Kul-See über die Bühne gehen.

Aber es gibt ohnehin mehr Gründe, Kirgistan zu erkunden. Am Ostufer des Issyk-Kul-Sees etwa liegt die Stadt Karakol. Sie ist ein idealer Ausgangspunkt für Wanderungen zum Tian-Shan-Gebirge mit seinen glasklaren Bergseen, majestätischen Gletschern und heißen Quellen. Für Einsteiger ist beispielsweise die zweitägige Tour zu den heißen Quellen von Ak-Suu ideal. Wer sich in den Bergen wohl fühlt, kann aber auch zum Basislager des fast siebentausend Meter hohen Khan Tengri aufbrechen und beinahe die chinesische Grenze erreichen. In Karakol lohnt der Besuch einer mehr als hundert Jahre alten russisch-orthodoxen Holzkirche und des Al-Tilek-Basars mit einer schier endlosen Auswahl an Gewürzen und ungewöhnlichen Speisen mit exotischen Namen wie Ashlyanfu – ein schmackhaftes Essen aus kalten, geleeartigen Bohnennudeln, Essig, roter Chilipaste und einer pikanten Gemüsemischung.

Wenn der Ball ein Schaf ist
Holzkirche in Karakol

Wer keine Bergluft schnuppern möchte, findet am Südufer des Sees fast vergessene Dörfer und herrliche, menschenleere Strände. Da der Issyk-Kul-See von heißen Quellen gespeist wird, friert er im Winter nicht zu und ist im Sommer ideal zum Baden.

Märchenhaft sind die Skazka-Felsen in der Nähe von Tamga. Wegen ihrer eigenartigen, feuerroten Formationen, die stellenweise an riesenhafte Zwerge erinnern, werden sie auch Fairy-Tale-Canyon (Märchen-Canyon) genannt. Von hier aus öffnet sich ein herrliches Panorama, vor allem, wenn bei klarem Wetter der Blick bis an das andere Ufer des Sees reicht.

Wenn der Ball ein Schaf ist
Die feuerroten Skazka-Felsen

Dieses unbekannte Land mit seinen sanften, grünen Bergen, den oftmals verfallenen Sowjetbauten und traditionellen Jurten, seinen abenteuerlichen Toiletten und schlaglochübersäten Straßen, den vielen Pferden und herzlichen Menschen sieht uns bestimmt wieder.

 

Kirigistan

Mit dem Zerfall der Sowjetunion erlangte Kirgistan 1991 die Unabhängigkeit.

Fläche: 200.000 km² (etwa fünf Mal so groß wie die Schweiz); 94 Prozent sind gebirgig (höchste Erhebung: der 7439 m hohe Dschengisch Tschokusu), nur auf 20 Prozent ist Landwirtschaft möglich.

Einwohner: ca. 5,5 Millionen

Anreise: drei internationale Flughäfen (in der Hauptstadt Bischkek, in Osch und nördlich des Issyk-Kul-Sees).

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