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Tunesien: Neues, altes Land

Von Gerhard H. Oberzill, 05. Mai 2012, 00:04 Uhr
Neues, altes Land
Das Ksour-Festival wurde heuer, im ersten Jahr nach der Revolution, besonders ausgiebig zelebriert. Waghalsige Reiterspiele gehören zu den Feierlichkeiten natürlich dazu. Bild: Oberzill

Nach den Unruhen im Vorjahr präsentiert sich Tunesien wieder als sicheres Urlaubsland, nicht nur für Badeferien.

Bienvenue – willkommen!“, schallt es uns entgegen, und es kommt aus tiefstem Herzen. Gastfreundlich waren die Tunesier immer. Aber heuer bemühen sie sich noch mehr, ihre Besucher zu verwöhnen, um das im revolutionären Vorjahr an andere Länder verlorene Terrain zurückzugewinnen. Können Touristen wieder herkommen?

Nach zweistündigem Flug landen wir in Tunis und tauchen ein in eine entspannte Atmosphäre. Auf den Fahrbahnen der Avenue Habib Bourgiba tobt das übliche Verkehrschaos. Und in der Mitte des Prachtboulevards flanieren in friedlicher Eintracht Kopftuch und Minirock, taxiert von der männlichen Jugend, die wie gehabt in den Straßencafés bei einem Pastis der Muße frönt.

Nur dass das Denkmal von Ibn Khaldoun, dem islamischen Gelehrten des 14. Jahrhunderts – von manchen „Vater der Soziologie“ genannt – mit Stacheldraht umzäunt ist und von einem Panzer bewacht wird, irritiert. Unser Führer Brahmin beruhigt: Das diene lediglich dem Schutz des Standbilds. Schutz wovor? „Es gibt immer Verrückte.“

Diesem Befund kann man kaum widersprechen. In der angrenzenden Medina herrscht ebenfalls business as usual. Auf dem touristischen Trampelpfad, der vom „Meerestor“ Bab el-Bahri zur Ölbaummoschee führt, ist es vielleicht noch etwas ruhiger als gewohnt. Aber im (wesentlich größeren) „Einheimischen-Teil“ der Altstadt pulsiert das Leben lautstark und bunt wie eh und je.

Hier haben die Goldschmiede ihre Werkstätten und Geschäfte, dort werden schwüle Parfums gemischt, dahinter kunstvoll Messingteller ziseliert. Buchhändler, Taschner, Färber, Bäcker und Gewürzkrämer sind im Souk ebenso zu Hause wie kleine Cafés, Barbiere und Hamams, morgenländische Bäder. Im Quartier der Schuhmacher schauen wir Ahmed über die Schulter, wie er die berühmten Babouches herstellt, weiche, spitze Lederpantoffel in – je nach Gusto – dezenten oder knalligen Farben.

Daneben formt Jamal ad-Din die typische Kopfbedeckung Chechia. Doch den betagten Filzkappenerzeuger (in sechster Generation!) plagen Sorgen: Die Jugend trägt kaum noch solche roten Barette, und ältere Männer, namentlich die ärmeren, greifen aus Preisgründen zu Industrieware. Deshalb will Jamals Sohn Nabil kein Chechouachi mehr werden, obwohl jetzt gelegentlich Ausländer anstelle der Einheimischen so einen „tunesischen Fez“ erstehen.

Ein kurzer Inlandsflug bringt uns von Tunis auf die Ferieninsel Djerba. Da es für ein Bad im Meer noch etwas zu kühl ist, bummeln wir durch den airportnahen Hauptort Houmt Souk, dessen Name „Marktviertel“ bedeutet. Wieder fasziniert uns das orientalische Treiben: In einer aufgelassenen Karawanserei hämmert ein Schmied, gegenüber rattert die altertümliche Nähmaschine eines Schneiders. Da werden bunte Tücher gewebt, dort Teppiche geknüpft.

Nur der Souvenirhändler Moustapha erscheint seltsam inaktiv: Inschallah (so Gott will) wird die Kundschaft kommen. Auf einem kleinen Platz in Houmt Souks Altstadt türmen sich Tonkrüge aus Guellala, dem populären Töpferdorf, das in einer weiteren Hinsicht Spitze ist: Mit 60 (in Worten: sechzig!) Metern Seehöhe überragt es alle anderen Siedlungen Djerbas.

Unser eigentliches Ziel aber ist der „Grand Sud“, Tunesiens Anteil an der Sahara, der immerhin so groß wie Österreich ist. Also geht es auf der Chaussée Romaine, einer Dammstraße, die schon die alten Römer anlegten, von der Insel aufs Festland, nach Tataouine, der „Wasserquelle“, die auch als Tor zur Wüste gilt.

In der gut 500 Kilometer von Tunis entfernten Provinzhauptstadt findet jeden März das „Festival International des Ksour Sahariens“ statt, an dem wir teilnehmen wollen. Ksour ist die Mehrzahl von Ksar, und dieses die Bezeichnung für eine maghrebinische Festung oder Speicherburg.

Bienenwabenartige Gewölbe

In deren bienenwabenähnlichen Gewölben, den so genannten Ghorfas, bewahrten die Berber, Nordafrikas Urbevölkerung, Getreide und andere Vorräte auf. Im Ksar Ouled Soultane, dem ausgedehntesten und wohl auch bekanntesten Ksar – er spielte sogar schon in Star Wars als Sklavenquartier mit – treffen wir den Maler und Zeichner Mahmoud.

Zwei Jahrtausende seien die heute verlassenen Lehmbauten alt, behauptet Mahmoud kühn, doch nun würden sie verfallen, weil keine Besucher kämen und ergo auch kein Geld für die Renovierung. In erster Linie aber bedauert er das Ausbleiben von Gästen, weil niemand seine Aquarelle kauft. Wir hingegen genießen die Einsamkeit des Ortes sehr.

Programmgemäß sollte das Ksour-Festival um 14 Uhr beginnen, eine Stunde später ist immerhin bereits die Tribüne mit (großteils einheimischen) Zuschauern gut gefüllt. Aber bevor nicht um 16 Uhr die schwarzen Limousinen mit den weißgekleideten „Habibi“ (so die Lautsprecherdurchsage), also Freunden, aus dem benachbarten Libyen vorfahren, geschieht gar nichts.

Abendländische Hektik ist den Menschen in Tunesiens „Großem Süden“ fremd. Längst haben die Ehrengäste Platz genommen, da endlich marschieren die Akteure unter Trommelwirbel und Flötenklang ein. Stolz tragen sie eine riesige rote Nationalfahne voran, später lassen sie, über den Festplatz galoppierend, jede Menge kleinerer Flaggen im Wind flattern.

In den vorbeidefilierenden Pfadfindern, den Schaukämpfen des örtlichen Karateclubs und den herumhopsenden Volksschülern können wir freilich wenig Berberisches entdecken. Aber bei den martialischen Stocktänzen und manch waghalsiger Reitdarbietung verschlägt es uns den Atem.

Das einzige Lebewesen, das uns während unserer Tunesienreise nicht freundlich grüßt, ist ein Dromedar. Verächtlich blickt es auf uns herab, wahrscheinlich , weil es sich für etwas Besseres hält, darf es doch während der Fete auf seinem Höcker eine Hochzeitssänfte tragen. Doch als unbeabsichtigt der Vorhang des Gestells zur Seite rutscht, müssen wir enttäuscht erkennen, dass darin gar keine Braut auf uns wartet. Umso größer ist die Freude, als später im Hotel tatsächlich eine („echte“) Braut auftaucht. Die uns noch dazu erlaubt, sie mit ihrem üppigen Goldschmuck sowie den hennaverzierten Handflächen und Fußsohlen auf unsere Speicherkarten zu bannen.

Nach dem Fest erwischen wir Madame Chefia Ayda, die Organisatorin des Events, die im Brotberuf an der Universität Tunis lehrt. Der Arabische Frühling 2011 als Beginn einer neuen Zeitrechnung! Wünschen wir den Tunesiern, dass sich ihre Hoffnungen auf eine bessere Zukunft bald erfüllen...

Maghreb
Bedeutet im Arabischen „Sonnenuntergang, Westen“, entspricht also sinngemäß unserer Bezeichnung „Abendland“ Wir verstehen heute darunter die Länder Nordwestafrikas, also Mauretanien, Marokko, Algerien, Tunesien und Libyen.
Berber
ist eine Fremdbezeichnung für eine Reihe von Ethnien in den Ländern des Maghreb, die eine Berbersprache sprechen. Ob der Name Berber aus dem Arabischen stammt (von Barabira) oder sich vom griechischen Wort bárbaros ableitet, ist umstritten.

33 Jahre findet das Festival des Ksour im südtunesischen Tataouine statt. Im vergangenen, dem „Revolutionsjahr“, wurde es allerdings ausgesetzt.

Tunesien ist unter den Maghreb-Staaten aus linguistischer Sicht das homogenste Land. Fast die gesamte Bevölkerung spricht Tunesisch-Arabisch und beherrscht auch das Schriftarabische, die offizielle Amtssprache des Landes.

Tunesisches Fremdenverkehrsamt 1010 Wien Opernring 1 Stiege R, Tür 109; Tel. 01 585 34 80 www.tunesien.info/oesterreich;
office@tunesieninfo.at

Festivitäten: Liste der tunesischen Festivals

Anreise: Tunisair fliegt 3 x die Woche nach Tunis, dazu gibt es zahlreiche Charterflüge diverser Veranstalter www.tunisair.com

Unterkunft: Reizvolles Bungalowhotel Sangho in Tataouine: Sangho.Tataouine@planet.tn
Entzückendes Altstadthotel in Houmt Souk/Djerba

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