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Marathon im Zentrum der Macht

Von Heidi Riepl, 27. September 2014, 16:52 Uhr
Marathon im Zentrum der Macht
Der russische Amtssitz ist zugleich auch Museums- undKulturkomplex. Bild: Moskau-Marathon

Wer die russische Hauptstadt von einer außergewöhnlichen Perspektive kennenlernen will, der sollte am besten einen Marathon dort laufen.

Was? Du willst in Moskau einen Marathon laufen? Ausgerechnet jetzt, mitten in der Ukraine-Krise?" Die Blicke meiner Freunde und Verwandten wurden immer besorgter, je näher der Termin rückte. Selbst meine Beteuerungen, dass die Ukraine doch weit weg von Moskau sei, konnten sie kaum beruhigen. Schließlich bekäme ich in Russland doch die westlichen Sanktionen zu spüren, warnten sie. Und außerdem sollte man das "böse Putin-Russland" lieber überhaupt meiden.

Doch Marathonläufer verfolgen stur ihre Ziele und lassen sich nicht so leicht verschrecken. Nachdem kein heimischer Reiseveranstalter eine Marathon-Reise nach Moskau anbietet, meldete ich mich also selbst an, besorgte mir Visum und Hotel und flog mit meinen Laufschuhen im Gepäck nach Moskau. Und gleich vorweg: Es wurde ein äußerst spannendes Wochenende im Zentrum der russischen Macht.

Der sicherste Marathon der Welt

Gleich beim Abholen der Startnummern im Areal des imposanten Luzhniki-Stadions konnte man einen ersten Eindruck der russischen Großmacht erahnen. Die gigantische Anlage mit zahlreichen Sportplätzen und Parks, die einst als Protzdenkmal von Revolutionsführer Wladimir Iljitsch Lenin errichtet wurde, wird gerade für die Fußball-Weltmeisterschaft 2018 umgebaut. Daher musste der Marathon heuer auf seinen ursprünglich geplanten Zieleinlauf im Stadion verzichten. Doch auch der Platz vor dem Stadion bot reichlich Raum für die rund 5000 Läufer. Auch zehnmal so viele Teilnehmer hätter hier starten können.

"Den Rucksack öffnen", hält mich einer der vielen Polizisten im strengen Ton auf dem Weg zur Startnummernausgabe auf. Der Moskau-Marathon ist einer der sichersten und bestkontrolliertesten Marathons der Welt. Auch die gesamte Laufstrecke wird von hunderten Polizisten gesichert. Aber dazu später. Nachdem ich die Taschenkontrolle geschafft habe, darf ich das Zelt der Marathon-messe betreten und erlebe bereits meine erste Überraschung.

"Russland hat genügend Äpfel"

Von Sanktionen keine Spur. Wie bei allen großen Marathons bieten auch in Moskau alle bekannten westlichen Markenfirmen ihre neuesten Laufprodukte zum Verkauf an. Und mehr noch: Im Startpaket finde ich neben einem Funktionsshirt ausgerechnet einen Gutschein für einen Apfel. Wie bitte ist das nach den Sanktionen möglich? Wo wir doch in Österreich alle für Russland gedachten Äpfel jetzt selbst essen müssen?

Julia lacht fast Tränen. "Warum sollten wir denn keine Äpfel hier haben?", fragt die junge Moskauerin überrascht. "Russland hat selbst mehr als genügend Äpfel", sagt sie und erklärt ihre Version der westlichen Sanktionen, die sie als "große Chance" für ihr Heimatland bezeichnet: "Dazu müssen Sie wissen, dass es immer russische Mentalität war, nichts zu tun und möglichst viel zu verdienen." In anderen Worten: Die russischen Politiker und Manager kassierten von den westlichen Firmen Bestechungsgelder, kauften billige ausländische Waren ein, die sie dann im Land teuer weiterverkauften. Den heimischen Produzenten wurde der Zugang zum Markt verwehrt. "Das geht nun nicht mehr, jetzt kommen auch unsere Bauern zum Zug", freut sich Julia. Und außerdem: "Wir produzieren hier Bio. Eure gespritzten Äpfel mit der giftigen Wachsschicht können Sie gerne selbst essen." Der Besuch in einem der Supermärkte, die in Moskau übrigens täglich 24 Stunden lang geöffnet haben, bestätigt Julias Aussage. Aber mehr noch: Neben russischen Äpfeln finde ich auch jede Menge polnische und französische Äpfel.

Stolz auf die russische Nation

Kein Wunder eigentlich, dass der Großteil der Russen die Sanktionen nicht wirklich versteht. Auch der Anschluss der ukrainischen Krim wird hier anders gesehen. "Die Krim gehört zu uns. Sie ist Teil unseres Lebens. Wir haben alle unsere Ferienlager und Urlaube auf der Krim verbracht", sagt Julia und fügt hinzu: "Früher war ja alles Sowjetunion, da hat sich niemand darum gekümmert, dass die Krim eigentlich ukrainisch war."

In Julias Erklärung schwingt eine ordentliche Portion Nationalstolz mit. Wie überhaupt die Ukraine-Krise dem russischen Nationalismus neuen Auftrieb gegeben hat. Selbst beim Marathon ist das spürbar. Wenige Minuten vor dem Start wird die Landeshymne gespielt. "Russland, unser geheiligter Staat, Russland, unser geliebtes Land. Mächtiger Wille und großer Ruhm, für alle Zeiten sind dein Eigentum." Die etwas korpulente Sängerin singt die staatstragenden Worte voller Leidenschaft ins Mikrofon. Und die Läufer, die überall sonst in der Welt so knapp vor dem Start ans Laufen denken, stehen ergriffen vor der Bühne und singen mit. Einige filmen die Szene mit ihren Smartphones. Der Text der russischen Hymne wurde übrigens erst im Jahr 2000 auf Betreiben von Kremlchef Putin eingeführt. Die bisherige Hymne war textlos und galt daher für russische Verhältnisse als "zu wenig inspirierend". Der erste offizielle Spieltermin der Hymne war dann auch der Amtsantritt des Präsidenten Putin im Kreml.

"Fünf, vier, drei, zwei, eins!", ruft der Platzsprecher. Der Startschuss fällt, doch das normalerweise bei großen Stadtmarathons übliche Gedränge der Läufer entfällt. Das liegt einerseits an der strengen, von Polizisten überwachten Einteilung der Startblöcke. Aber auch an der schier unendlichen Weite der Moskauer Straßen. Die Großmacht Russlands spiegelt sich auch in der Architektur der Stadt wider. Auf den zum Teil zwölfspurigen Straßen und Boulevards wirken die tausenden Marathonläufer fast ein wenig verloren. Die Straßen sind von den vielen Sicherheitskräften so großräumig abgeriegelt, dass auch die wenigen Zuschauer den Eindruck der Leere nicht wettmachen können. "Itzi, malazi!!", brüllen sie den Läufern aber umso begeisterter zu. "Weiter so, ihr seid die Besten!" "Spasibo! Danke", zeigen sich allmählich müde werdende Läufer erkenntlich.

Sightseeing-Tour im Laufschritt

Nicht wenige legen Zwischenstopps für ein Foto ein. Denn auch das ist das Besondere am Moskau-Marathon: Die gesamte Strecke führt durch die Innenstadt und bietet eine Sightseeing-Tour der besonderen Art. Egal, ob die imposanten Stalin-Bauten im typischen Zuckerbäckerstil, die im Sonnenlicht glitzernden goldenen Kuppeln der vielen Kathedralen, das berühmte Bolschoi-Theater oder das berüchtigte ehemalige Gebäude des Geheimdienstes KGB – überall könnte man hier stehenbleiben und fotografieren. Und nicht zu vergessen natürlich der Moskauer Kreml, an dessen roter Mauer die Läufer gleich zweimal vorbeikommen.

Kreml bedeutet eigentlich Festung und ist das Herzstück der russischen Staatsmacht. Von hier aus regiert der Staatspräsident das ganze Land. Wegen der vielen Verkehrsstaus, die Putin bei seiner täglichen Fahrt in die Arbeit verursacht hat, gibt es in dem geschichtsträchtigen Gelände des Kremls mittlerweile auch einen modernen Hubschrauberlandeplatz. Aber der russische Amtssitz ist zugleich auch ein einzigartiger Museums- und Kulturkomplex, der mit seinen Kunstschätzen, Kirchen und Zarengräbern jedes Jahr Millionen an Touristen anlockt.

Größte Glocke, größte Kanone

Der russische Hang zum Großmachtgetue ist hier unübersehbar. Neben der größten Glocke der Welt kann man auch die weltgrößte Kanone bewundern. In der Schatzkammer lagern Tonnen von Gold und Edelsteinen und erinnern daran, wie groß Russlands Macht schon in der Zarenzeit war. Nur ein Zehntel der historischen Schätze kann übrigens im Museum ausgestellt werden. Für den Rest fehlt der Platz, der wird irgendwo im Keller gelagert.

Die abwechslungsreichen 42,195 Kilometer gehen überraschend rasch zu Ende. Die Ziellinie im Gelände des Luzhniki-Stadions ist bereits passiert. "Austria, congratulations!", klopft mir ein Mitläufer anerkennend auf die Schulter. Die Mitarbeiter des Marathons überreichen jedem der Läufer neben der Finisher-Medaille eine Flasche Coca-Cola. Erst wenige Meter weiter wird es dann wieder so richtig russisch: Ein Teller Reisfleisch und schwarzer Tee soll den Energiehaushalt der Läufer wieder auffüllen.

 

Tipps für Reisen nach Moskau

Visum & CoVisum: Ohne Visum keine Einreise nach Russland. Um Zeit und die für die russische Bürokratie nötigen Nerven zu sparen, ist es ratsam, sich das Visum über einen der zahlreichen Visumsdienste zu besorgen. Die reinen Visa-Kosten betragen 60 bis 95 Euro. Die Bearbeitung dauert rund 14 Tage.

Anreise: Austrian Airlines fliegen vier Mal täglich von Wien nach Moskau. Günstige Anschlussflüge sind auch über Linz buchbar.

Transfer: Moskau ist eine Großstadt, in der es trotz der zum Teil zwölfspurigen Straßen fast immer zu lähmenden Verkehrsstaus kommt. Die beste Möglichkeit, um vom Flughafen in die Stadt zu kommen, ist mit dem Schnellzug. Tickets für den sogenannten Aeroexpress kann man bequem von zu Hause aus übers internet buchen. www.aeroexpress.ru/en

U-Bahn: Wer in Moskau sicher und schnell von A nach B kommen will, hat nur eine Möglichkeit: die Metro. Die Moskauer U-Bahn ist eine der weltweit ältesten und abgesehen vom überschaubaren Komfort eine der Besten. Die Züge auf den unzähligen Linien kommen zumeist im Minutentakt. Allerdings sollte man das cyrillische Alphabet beherrschen!

Hotels: Übernachtungen sind in Moskau prinzipiell teuer. Mittlerweile gibt es aber nette, kleine private Hotels, die zu erschwinglichen Preisen auch online buchbar sind. Aber Vorsicht: Bei der Buchung unbedingt eine Bestätigung für das Visum verlangen.

Besichtigungen: Ein Kremlbesuch ist ein Muss für jeden Moskau-Besucher. Um nicht ewig vor der Kremlkasse Schlange stehen zu müssen, können die Tickets auch online gebucht werden. Es empfiehlt sich aber unbedingt, sich einen professionellen Guide zu nehmen. Deutschsprachige Führungen und Stadtrundfahrten können direkt über iwir.de/ gebucht werden.

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