Luchsjagd mit Fuxjäger
Wo die Pinselohrkatzen pirschen und der Auerhahn balzt – Bernhard Lichtenberger begab sich in Österreichs "wilde Mitte", in die Nationalparks Kalkalpen und Gesäuse.
"Nur 24 Bilder, in einem Monat", sagt Christian Fuxjäger. In der Stimme des großgewachsenen Rangers schwingt etwas Enttäuschung mit. In seinen tiefen Schneeschuhspuren sind wir unterhalb des Hengstpasses in Richtung Peterbaueralm gestapft. Das an einem Baumstamm fixierte, tarnfarbene Gehäuse der Fotofalle wäre ohne den kundigen Vorläufer gewiss übersehen worden.
Im Kreis neugieriger Gesichter steckt Fuxjäger die Speicherkarte aus der Kamera in ein Tablet. Die ernste Miene erhellt sich mit einem Mal. "Einen Luchs hab’ ich drauf", ruft der Nationalparkmitarbeiter freudig. Luchsin Luzi hat den Blitz am 8. Jänner um 29 Minuten nach Mitternacht ausgelöst. Das Weibchen ist nicht die einzige digitale Beute. Der Ranger wischt über den Bildschirm. Da zeigt sich das etwas unscharfe Federkleid eines Auerhahns, der flott über den Forstweg huschte, ein prächtiger Fuchs, ein Rotwild und – ein seltener Anblick – ein Fischotter auf seinem Nachmittagsspaziergang. "Die gehen oft über Bergketten", erklärt Fuxjäger den Höhenausflug des Marders.
Zwei der fünf Luchse in der oberösterreichischen Natur-Oase tragen Sender am Hals. Zwei Mal pro Woche erhält der Ranger GPS-Daten per SMS aufs Handy, "damit ich weiß, wo sie sich herumtreiben". Die Luchsin Aira vermutet er in der Nähe des Naturerlebnisweges "Von Alm zu Alm", auf den er führt. Er packt eine Antenne aus, um seinen Schützling zu peilen. Vergeblich. Der Empfänger gibt keinen Piepser von sich.
Auf Nachwuchs der Raubkatzen mit den Pinselohren wartet man seit drei Jahren vergeblich. Die Hoffnungen, dass die Population gestärkt und mit anderer DNA aufgefrischt wird, ruhen auf Juri. Der Kuder aus der Schweiz, der im März vergangenen Jahres im Bodinggraben ausgelassen wurde, nahm die Freiheit allerdings zu wörtlich. Er ließ das Sengsengebirge und das Reichraminger Hintergebirge flugs hinter sich, um durch das Salzkammergut zu streifen. Die Signale seines Senders verraten, dass er, wie sein Datensammler sagt, "Silvester im Höllengebirge gefeiert hat". Zuletzt hielt er sich im Bereich Grundlsee, Tauplitz und Liezen auf. "Nun scheint er zurückkehren zu wollen", sagt Franz Sieghartsleitner vom Nationalpark Kalkalpen. Die Erinnerung an die vor seiner Abwanderung erschnupperten Duftmarken von Luchskatzen könnte Juri zur bevorstehenden Ranzzeit wieder die Nähe dieser Weibchen suchen lassen.
Die vierstündige Fuxjägersche Luchsjagd auf Schneeschuhen am Hengstpass, die bis 3. März jeden Samstagnachmittag den Kreislauf in Schwung bringt und den Wissensdurst stillt, ist nur eine Möglichkeit, die Winterwildnis im 20.850 Hektar großen Nationalpark Kalkalpen zu erleben.
Eine weitere findet sich, wenn man dem Lauf der Krummen Steyrling in den Bodinggraben folgt, der in lauschigeren Zeiten des Jahres beliebter Ausgangspunkt für Wanderungen zu bewirtschafteten Almen und Mountainbike-Touren ist. Beim Jagahäusl wartet schon Nationalpark-Ranger Michael Kirchweger. Der bodenständige Jäger und Heger hat es nicht eilig, die Runde zur Rotwildfütterung zu begleiten. "Da san s’ eh scho, owa de wart’n eh. De san genau so treu wia i", sagt er und grinst verschmitzt.
Seit neun Jahren bewohnt er mit seiner Erni, mit der er seit 36 Jahren verheiratet ist, das Forsthaus, das 1879 von der Steyrer Adelsfamilie Lamberg errichtet wurde. Im Winter waren damals die Fensterläden dicht.
Erst mit der im März einsetzenden Hahnenbalz kehrte das Leben in das herrschaftliche Haus zurück. "So warm war's bei den Lambergs net", sagt Erni in der großen Stube mit dem grünen Kachelofen und dem wertvollen Renaissance-Tischchen. Beredt weiht sie Besucher in die faszinierende Geschichte des kulturhistorischen Juwels mit seinem musealen Charakter ein, öffnet die Tür zum Schlafzimmer, in dem die Lambergs kuschelten, zeigt die Räucherpfanne von 1766 oder den Wandbrunnen von 1676, der zwei Liter Wasser zur Katzenwäsche ausspuckte.
Zuckerrüben als Leckerli
Nun wird es aber doch Zeit, mit Michael Kirchweger tiefer in den Talschluss zur Schaufütterung vorzudringen. Durch die Panorama-Glasscheibe in der beheizten Plattform fällt der Blick auf Hirsche, Muttertiere und Kälber, die sich aus dem Bergwald auf die Lichtung mit den Heu-Futterstellen vorgewagt haben. Der "Müchi", wie er von seiner Frau genannt wird, rumpelt mit einer Scheibtruhe zwischen dem Wild umher und kippt Zuckerrüben in den Schnee. "Die gibt’s als Leckerli", erklärt er, während zwei Hirsche um die Rangordnung rangeln.
Hierarchisches Geplänkel ist den benachbarten Nationalparks Kalkalpen und Gesäuse fremd. Im Gegenteil: Nach der gemeinsamen Mountainbike-Strecke "Transnationalpark" (ein 450 Kilometer langer Rundkurs mit 11.500 Höhenmetern, der zwischen Mitte April und Ende Oktober befahren werden kann) ist ein Luchs-Trail geplant. Der bis zu 250 Kilometer lange Themenweg wird Weitwanderer in 14 Etappen durch den Wildtierkorridor von den Kalkalpen über das Gesäuse bis ins Wildnisgebiet Dürrenstein im südlichen Mostviertel führen. "Wir sind Österreichs wilde Mitte", sagt Gesäuse-Kommunikator Andreas Hollinger dazu. Am Ende des Johnbachtals mühen wir uns mit den Schneeschuhen durch reichlich Neuschnee, begleitet von Alexander Maringer. Der Linzer Biologe ist Experte für Raufußhühner. Dreizehn balzende Auerhähne hat er zuletzt gezählt. Auf der knapp zehn Kilometer langen Almrunde trifft man auf Skispuren, die Tourengeher auf dem Weg zum Gscheideggkogel hinterlassen haben. "Um die Ruhezonen der Birk-, Auer- und Schneehühner nicht zu stören, lenken Schneestangen die Sportler. Oft legen auch wir zeitig Spuren, denen andere folgen sollen", sagt Maringer. Eine Einladung, der auch der schlaue Fuchs gerne folgt, um auf seiner Pirsch Kräfte zu sparen. Denn der Winter in den Nationalparks ist eine Zeit, in der das Wild ums Überleben kämpft.
Kalkalpen
1997 wurde der Nationalpark im Sengsengebirge und Reichraminger Hintergebirge errichtet. Mit 20.825 Hektar ist er das größte Waldschutzgebiet Österreichs. Die Buchenwälder sind UNESCO-Weltnaturerbe.
Rotwildfütterung: im Bodinggraben, bis 25. Februar, Donnerstag bis Sonntag nachmittags, für Erwachsene 12, für Schüler 8, für Familien 24 Euro. Info/Anmeldung: Nationalparkzentrum Molln, 07584 / 36 51
Schneeschuhwandern: Auf dem Hengstpass mit Ranger-Begleitung, bis 3. März, jeden Samstag, von 13 bis 17 Uhr, für Erwachsene 22, für Kinder ab der 5. Schulstufe 14 Euro (inkl. Schneeschuhe & Stöcke). Info/Anmeldung: Villa Sonnwend, 07562 / 20 5 92
Gesäuse
2002 eröffnet, ist das 11.306 Hektar große steirische Schutzgebiet der jüngste der sechs heimischen Nationalparks.
Wanderung zum Hirsch: bis 3. März, freitags und samstags, ab 13 Uhr, ab Gstatterboden, dreistündige Tour mit Berufsjägern und Rangern, mit oder ohne Schneeschuhen, Erwachsene 13, Jugendl., Lehrlinge, Studierende 9 Euro, Info/Anm.: NP Gesäuse, 03613 / 21 1 60-20