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Im weitesten Gefängnis der Welt

Von Andreas Kremsner, 02. April 2016, 00:04 Uhr
Im weitesten Gefängnis der Welt
Orientierung in der Antarktis Bild: Sattler

Vor 20 Jahren nahm die Tiroler Mikrobiologin Birgit Sattler zum ersten Mal an einer Antarktis-Expedition teil. Mittlerweile ist sie eine der führenden Polarforscherinnen. Sie weiß genau, wer und was im ewigen Eis überleben kann.

Übermächtig, befreiend, beklemmend, eine riesengroße Kraft in allen Belangen." So beschreibt Birgit Sattler ihre erste Begegnung mit dem ewigen Eis der Antarktis. Das ist jetzt 20 Jahre her. Nichts hat sich an dieser Faszination verändert. Im weitesten Gefängnis der Welt müsse man sich auf das Wichtigste fokussieren, sagt Birgit Sattler im Interview mit Andreas Kremsner.

 

Alle Neulinge auf einer Forschungsstation in der Antarktis müssen ein Überlebenstraining absolvieren. Ihre Gruppe hat sich dazu einen Iglu gebaut und darin übernachtet. Wie war die erste Nacht?

Mir war eiskalt. Mein Schlafsack war viel zu klein. Ich habe nicht einmal mit meinem ganzen Körper hineingepasst. In mir stieg Hass auf, Verzweiflung, Hilflosigkeit. Emotionen, die ich nirgendwo anders in dieser Mächtigkeit erlebt habe, wie in dieser Nacht.

Und am Tag danach?

Ich habe mich geschämt, dass ich nach meinen eigenen Maßstäben versagt habe. Dann bekam ich eine Tasse Tee, die Sonne schien und alles war gut. Außerdem gab es keine Alternative. Einmal kurz nach Hause fliegen, geht nicht, wenn man einmal dort ist.

Sie haben alle 20 Einsätze im ewigen Eis unbeschadet überstanden?

Finger und Zehen sind noch alle dran.

Routinetätigkeiten werden bei minus 40 Grad und weniger zum Abenteuer. Auch das "Ich muss mal"?

Auch das. Jeder hat seine eigene Urinflasche mit Namen drauf. Der Urin wird gesammelt und am Ende der Expedition wieder aufs Festland geflogen. Nichts darf in der Antarktis zurückgelassen werden. Und spätestens, wenn dir die Flasche zum ersten Mal eingefroren ist, passt du auf sie auf, als wäre sie dein bester Freund – sie ist dein bester Freund. Flasche, Zahnpasta und andere Dinge werden immer im Schlafsack eingepackt, damit sie nicht einfrieren. Der ganze Haushalt beschränkt sich auf deinen Schlafsack.

Sie sagen, dass sich das Leben in der Antarktis in Superzeitlupe abspielt. Was heißt das?

Es ist das weiteste Gefängnis der Welt. Du musst bei allem, was du dort machst, fokussiert sein. Hudeln geht gar nicht. Man darf sich keine Fehler leisten, das wird sofort bestraft.

Sind Fehler passiert?

Natürlich. Gleich beim ersten Loch, das wir ins Eis gebohrt haben, ist uns in vier Metern Tiefe der Bohrer steckengeblieben. Wir hatten ihn nicht schnell genug herausgezogen, er ist sofort vereist. Es dauerte Stunden und kostete viel Kraft, bis wir ihn freibekamen.

Sie untersuchen das Verhalten von Einzellern im Eis. Ihr Ergebnis?

Der Mensch sagt über sich selber, dass er die Krone der Schöpfung ist. Aber das, was Einzeller können, kann er nicht. Die vermehren sich noch bei minus 60 Grad, auch wenn es ein Jahr dauert oder länger. Einzeller überleben an den Polen sehr erfolgreich. Sie können uns vom Ursprung des Lebens erzählen.

Zurück zum Leben der Menschen im ewigen Eis. Wenn man monatelang dort festsitzt, entstehen auch zwischenmenschliche Gefühle?

Ja. Aber weniger bei den Forschungsgruppen als mehr beim Stammpersonal, das ein ganzes Jahr dort verbringt. Die Polarnacht dauert sechs Monate, da geht die Sonne nie auf. Ab und zu vertreibt man sich mit Tanzabenden die Zeit. Aber Platz für Eitelkeiten gibt es ohnehin kaum.

Das heißt?

Ich hatte nie einen Lippenstift mit. Untertags hart arbeiten wie ein Mann und am Abend hübsch herrichten, käme mir komisch vor.

Welche Eigenschaften müssen Polarforscher mitbringen?

Sie müssen Teamplayer sein, keine Egoisten, flexibel sein, improvisieren können und immer einen Plan B haben. Und man darf sich selber nicht zu wichtig nehmen. Lachen ist sehr wichtig.

Wie viele Schattierungen der Farbe Weiß gibt es?

Mein Opa hat mir als Kind immer gesagt, dass Weiß keine Farbe ist. Auf den Polen habe ich viele Arten von Weiß gesehen. Blauweiß, grauweiß, bleiweiß, wenn ein Sturm aufzieht, silberweiß und grünweiß, wenn ein Pinguin sich dort erleichtert hat.

Wie war nach drei Monaten Forschung der erste Abschied von der Antarktis?

Das war ganz schlimm. Ich habe immer wieder nach Ausreden gesucht und Szenarien erfunden, um einen Tag anhängen zu können. Obwohl ich mich natürlich auf meine Familie gefreut habe. Der Abschied vom ewigen Eis ist wie eine kalte Dusche.

Sie benützen ganz besondere Eiswürfel für Ihre Drinks, habe ich gehört.

Stimmt. Wann immer es geht, nehmen wir uns von unseren Einsätzen auch Proben für die Eiswürfel zu Hause mit.

Mit Einzellern drinnen?

Ja. Bis jetzt hat uns das aber noch nicht geschadet (lacht).

Sie waren 2001 als erste Österreicherin auf dem Südpol. Wie sehen Sie den Tourismus dort?

Es ist ein Kompromiss. Was man nicht kennt, kann man nicht schützen. Am Anfang waren die Touristen quasi wie Botschafter. Und jetzt werden die Besuche dort streng reglementiert.

Sie waren in den vergangenen zwei Jahrzehnten 20 Mal am Nord- und Südpol. Wie wirkt sich die Klimaerwärmung aus?

Ich bin keine Glaziologin (Gletscherkundlerin, Anm. d. Red.). Aber es ist besorgniserregend, vor allem in den Küstenregionen. Das Eis zieht sich immer schneller zurück und kalbt stärker. Auch in den Alpen gibt es Gletscher, auf denen wir nicht mehr bohren, weil es einfach zu gefährlich geworden ist.

 

Eiskalte Fakten vom Leben an den Polen

Tag/Nacht: Am geografischen Nordpol und Südpol dauern Polartag und -nacht fast ein halbes Jahr. Ausgelöst durch die Neigung der Erdachse um 23,4°. Während der Nacht bleibt es immer dunkel oder dämmrig. Umgekehrt ist es natürlich bei Tag.

Station Mc Murdo: Dort darf jeder Bewohner pro Woche maximal eine kleine Palette Bierdosen, zwei Flaschen Wein oder eine Flasche Hartes kaufen. Oft wird der Alkohol die ganze Woche über gehortet, um zumindest einmal pro Woche vieles vergessen zu können. Bei der Registrierung bekommt jeder einen sogenannten Alkoholpass. Um die Drinks zu kühlen, gibt es zahlreiche Eiswürfelmaschinen.

2 Minuten lang darf man sich in der Station Mc Murdo in der Antarktis duschen. Das Schmutzwasser (sogenanntes Grey Water) wird gesammelt und muss wieder aufs Festland mitgenommen werden. Die Regeln sind streng.

Fingees werden die Erstankömmlinge auf den Forschungsstationen genannt (fucking new guys). Die Neuen, die keine Ahnung haben.

Damit jemand an einem Forschungsaufenthalt teilnehmen darf, muss er 100 Prozent gesund sein. Deshalb muss jeder Interessent zuvor zahlreiche Untersuchungen bei Ärzten über sich ergehen lassen.

Die Tiroler Polarforscherin Birgit Sattler (46) hat sich, um auf ihre erste Expedition mitgenommen zu werden, alle Weisheitszähne ziehen lassen müssen. Dabei dürfte etwas schief gegangen sein. Sie hat noch heute ab und zu Schmerzen.

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