Herzerwärmende Augenblicke
Wer will schon in ein Land geschickt werden, wo der Pfeffer wächst? Philipp Braun wagte dennoch das Abenteuer Madagaskar.
Er wanderte dabei über Stock, Stein und Seil, machte es sich im Einbaum bequem, übernachtete in Zelten und Lehmhäusern und wurde auf der Reise mit offenen Armen und Augen aufgenommen.
Die kleinen tiefbraunen Augen der unzähligen Kinder funkeln in der madegassischen Sonne voller Begeisterung und strahlen auf gewinnbringende Art diese frohlockende Neugierde und herzhafte Freude aus, die man in vielen Gesichtern der österreichischen Kinder immer häufiger vermisst.
Wohlstandsverwahrlost ist hier niemand. Im Gegenteil. Kinder tragen zerschlissene Kleidung, die über verschiedenste Hilfskanäle den Weg von Europa und Amerika nach Afrika gefunden hat. Die meisten westlichen Güter sind nicht leistbar, selbst Dinge für den täglichen Gebrauch gibt es nur in den wenigsten Familien.
Zeit im Umbruch
Wieso auch? Schicke Markenklamotten, Mobiltelefone und elektronischer Krimskrams sind hier nebensächlich, Kinderspielplätze obsolet, und Kinderwägen benötigt man in den Dörfern ebenso wenig. Die Kleinen jagen lieber den freilebenden und gackernden Hühnern nach, fangen bunt schimmernde Eidechsen, ritzen mit Steinen einen Tempel in den Boden und hüpfen dabei auf einem Bein in die vorgezeichneten Felder. Babys werden selbst von den Kindern direkt am Körper getragen. Irgendwie scheint auf der Insel die Zeit stehen geblieben zu sein.
Die Last kann noch so schwer sein – ein gewinnbringendes Lächeln ist jedem Reisenden sicher.
Der madagassische Reiseführer El Julien Rakotoniriana, der für die Grazer Reiseagentur "Weltweitwandern" die spezielle Wanderreise auf der Insel professionell begleitet, streicht sich über sein Handgelenk und kichert, wenn über Zeit gesprochen wird: "Wir haben keine Uhren. Der Madagasse kennt keine Zeit. Wir bewegen uns wie ein Chamäleon. Langsam setzen wir einen Fuß nach dem anderen auf den Boden. Gemächlich zwei Schritte vor und wieder einen zurück. "Mura, mura", das Pendant für pomali.
Aber so idyllisch es auch klingen mag, mit Sozialromantik hat das Leben hier wenig zu tun. Die Familien arbeiten hart. Sehr hart. In der Regel in traditioneller Subsistenzwirtschaft: Reis- und Maniokfelder, Erdäpfelacker, kleine Flächen für Getreide, freilebendes Geflügel, eventuell ein paar Schweine, und manchmal auch Zebu-Rinder, die für Milch, Fleisch und als Arbeitstier mehrfach genutzt werden. Selbst Messer werden vom Dorfschmied in Handarbeit produziert, Matten geflochten, Häuser aus Lehm und Dung gebaut und Töpfe aus alten Materialien recycelt. Maschinen und Traktoren sind kaum leistbar. Elektrizität gibt es ebenso wenig wie fließendes Wasser.
Was zählt ist Handarbeit. Jeden Tag, von der Früh bis in die Abendstunden, wenn die Sonne untergeht. Jeder ist unverzichtbar und wird im mehrköpfigen Clan benötigt. Die ältesten Kinder stampfen Reis, der Vater arbeitet auf dem Feld, die Mutter in der Küche, die Großeltern sind als Berater und Lehrer für die Verwandtschaft tätig. Je mehr Kinder in der Landwirtschaft mithelfen, desto leichter fällt das tägliche Leben. In schwierigen Erntejahren geht es sogar ums Überleben.
Schulpflicht
Einzig für eine ordentliche Schulbildung reicht es oftmals nicht. Aus Kostengründen, aus Mangel an Arbeitskräften und auch aufgrund der fehlenden Schuldichte. 14 Kilometer Schulweg über hügelige Landschaften sind keine Seltenheit. Viele Kinder bleiben deswegen daheim und helfen an allen Ecken und Enden mit. Falls dennoch ein paar wenige die nötige Schulreife erreichen, folgt oftmals die Landflucht.
Aus der Not eine Tugend machen. Heuschrecken gelten als Delikatesse.
In den Städten, aber auch in anderen Ländern versuchen sich Absolventen von Schulen und Universitäten eine Existenz aufzubauen. Und folgen der Verlockung eines scheinbar einfacheren und komfortableren Lebens. Für den Madagassen Iajavantsoa, der für die Organisation Rainbow arbeitet und sich um die schulischen Belange der Einheimischen aus Mahasuabe kümmert, ist diese Abwanderung (Brain-Drain) wenig wünschenswert. Der musikalische und sportliche Guide wird impulsiv, wenn er über die Problematik spricht: "Wir müssen den Leuten vor Ort helfen und dürfen das Land nicht im Stich und verwahrlosen lassen, sondern immer pflegen. Es ist unsere Pflicht, die Verantwortung für die nachfolgenden Generationen und die Umwelt wahrzunehmen." "Außerdem", fügt er mit Nachdruck hinzu, "haben wir alles. Wenn ich hungrig bin und eine Avocado essen möchte, dann kann ich sie mir einfach pflücken. Freilich besitzen wir kein Geld, aber wir müssen auch keines ausgeben."
Guter Rat ist teuer
Als Europäer oder Vazaha (Weißer) ist man geneigt, den Menschen gute Ratschläge zu erteilen. Einzig unser vorgelebter (verschwenderischer) Umgang mit Ressourcen, unser materialistisches Gedankengut und immer öfter fehlende Zwischenmenschlichkeit lassen an einigen europäischen Ansichten und Umsetzbarkeiten zweifeln.
In den madagassischen Dörfern wird man kaum materiellen Luxus finden. Dafür begegnet man auf der ausgewählten Wanderreise einer authentischen Gastfreundschaft, die das Herz berührt. Die besten und schönsten geflochtenen Matten werden in den Hütten ausgebreitet, und köstliche Reisgerichte mit Gemüse und Zebufleisch kredenzt, um den Gast, den Wanderer, herzlich willkommen zu heißen.
Die Menschen sind stolz auf ihr Land und ihre Kultur. Ein Klagen oder Jammern über die schweren Arbeitsbedingungen hören die Reisenden nur selten. Das Gegenteil trifft zu. Auf dem Weg vom Dorf in die Stadt wird man stets mit einem freundlichen und melodischen Salama, Salamo oder Salame begrüßt. Unabhängig davon, wie schwer die Last auf den Schultern oder dem Kopf zu tragen ist. Brennholz, Obst, Gemüse, Hühner werden regelmäßig auf den Markt gebracht und verkauft. Unvorstellbar, welche Kraftanstrengung dafür notwendig ist. Die Einheimischen nehmen dies auf die leichte Schulter.
So auch beim Ausflug in den Andringitra-Nationalpark und beim Aufstieg auf den imposanten Berg Imarivolanitra (2658 Meter). Drahtige Träger schleppen mühelos bis zu 30 Kilogramm schweres Gepäck (Zelte, Verpflegung, Matten) auf die Anhöhe, bereiten danach das Essen zu und lassen ihre weißen Zähne beim Singen in den Abendstunden hervorblitzen.
Kann man diesen Augen widerstehen?
Die Unbekümmertheit der Madagassen und die flamboyanten Landschaften mit den sattgrünen Reisterrassen dürfen dennoch nicht über Fehlentwicklungen hinwegtäuschen. Eine zufriedenstellende Infrastruktur ist nicht vorhanden. Die bisherigen Machthaber trugen wenig zur Verbesserung bei. Im Gegenteil. Die gesicherte Finanzierung vom Bau einer 240 Kilometer langen Zugstrecke musste nach 16 Kilometern beendet werden, weil das Geld verschwunden war. Julien, dem seine schwarze Baskenmütze etwas von einem französischen Intellektuellen und Künstler verleiht, bemerkt kritisch und süffisant, auf die vielen Schlaglöcher angesprochen: "Gute Straßen sind rar in Madagaskar. Wäre ich Präsident, würde ich auf den Straßen Reis anbauen."
Alternativen zu Straßen sind Flüsse, die mit Einbäumen befahren werden. Dieser archaische Bootstyp dient nicht nur als Transportmittel von Waren, sondern ist ebenso ein touristisches Markenzeichen geworden: Ein Eukalyptusstamm wird ausgehöhlt und mit Querstämmen als Sitzmöglichkeit versehen. Jetzt noch ein Paddel in die Hand nehmen und einem sanften Dahingleiten steht nichts mehr im Weg. Ein Naturerlebnis. Dennoch ist das ökologische Gleichgewicht aus den Fugen geraten. Innerhalb von 100 Jahren wurde fast der ganze Regenwald abgeholzt oder brandgerodet. Ursprünglich von den französischen Kolonialherren, danach von der Bevölkerung, um das Land zu bewirtschaften oder Holzkohle zu produzieren.
So trist die Situation erscheint, ein Ausweg könnte die Schaffung von Nationalparks sein, was neben dem Schutz der Umwelt eine lukrative Einnahmequelle bedeutet. Wie das Anja-Lemurenreservat. Immer wieder blitzen aus dem grünen Dickicht eine schwarze Schnauze, putzige Zehen und ein stechender Blick hervor. Man will gar nicht weitergehen, sondern verliert sich in den herzigen Augen. Und begreift dabei die ganze Faszination der wunderschönen Insel. Man sieht und spürt es. Mit dem Herzen.
Flora und Fauna
12.000 Pflanzenarten befinden sich auf Madagaskar. Davon blühen 960 Spezies verschiedener Orchideen. Weitere 170 Palmarten bezeugen vom Pflanzenreichtum der Insel.
Lemuren sind endemisch in Madagaskar. Zirka 60 Arten tummeln sich in nahezu jedem Lebensraum der Insel.
Reis ist das Hauptnahrungsmittel und wird dreimal am Tag kredenzt. Von der Reissuppe angefangen über Reiskuchen bis hin zur Hauptmahlzeit. Fleisch gibt es selten, wenn dann an Wochenenden oder Feiertagen.
Weltweitwandern gilt als Spezialist für ausgewählte Wanderreisen, wo die Begegnungen mit den Menschen im Vordergrund stehen. Die Reise nach Madagaskar ist als leichte Trekking- und Entdeckungsreise eingestuft, dauert 21 Tage und ist auf maximal zwölf Personen begrenzt. An sieben Tagen wird ausgiebiger auf leicht begehbaren Wegen gewandert. Eine gute Grundkondition ist ausreichend.
Der nächste Termin findet von 2. bis 21. Oktober statt.
Kostenpunkt: ab 3790 Euro
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ich kenne das faszinierende schöne Land, nur müßte die Bevölkerung Schritt für Schritt aufgeklärt werden, es fehlt an allem und ohne Welthilfe gäbe es Hungersnöte !
Hallo Guglbua,
Es ist ein Dilemma.
Eigentlich hätte das Land alles. Gemüse, Obst, Meerzugang, Bodenschätze, Erdöl,... aber leider ist in den letzten Jahrzehnten ziemlich viel schief gelaufen.
Ich war bereits vor 20 Jahren individuell im Land unterwegs - geändert hat sich wenig
Man kann nur das Beste hoffen.
Liebe Grüße
Philipp Braun