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Ein Fall für das Dschungelbuch

Von Margit Kohl, 17. Oktober 2016, 00:04 Uhr
Ein Fall für das Dschungelbuch
Eine Flusskreuzfahrt auf dem Amazonas ist eine Reise durch ein gigantisches Landschaftsgemälde. Bild: Kohl

Eine Flusskreuzfahrt auf dem Amazonas ist eine Reise durch ein gigantisches Landschaftsgemälde. Dabei gibt es viel Kurioses zu entdecken: rosa Delfine, weiße Badestrände, bayerische Trachten und beißfaule Piranhas.

Zur Hölle fährt man weiß Gott nicht alle Tage. Schon gar nicht in einem Kreuzfahrtschiff mit 153 Passagieren an Bord. Kapitän Carsten Gerke steht auf der Brücke der MS Hanseatic und prüft noch einmal die Koordinaten: 2? 27’ Süd und 66? 34,5’ West. Kein Zweifel, wir sind schon mitten drin in der Hölle: Außentemperatur beinahe 40 Grad, Luftfeuchtigkeit mehr als 80 Prozent.

Die meisten Gäste haben sich deshalb in den klimatisierten Innenbereich des Expeditionsschiffes zurückgezogen. Und als könnte das noch ein wenig mehr Kühlung verschaffen, hängen dort auf den Fluren Fotos mit gletscherblauen Eisbergen, auf denen Pinguine sitzen. Die Weiten der Weltmeere sind für Kapitän Gerke gewohntes Terrain, hier auf dem Amazonas rückt das Land seinem Schiff jedoch gleich von beiden Seiten dicht heran. So wie jetzt, als wir mitten durch die Hölle fahren.

Kein unwirtlicher Ort

Dabei ist dieser Streckenabschnitt zwischen Jutaí und Fonte Boa, den Einheimische Hölle nennen, kein wirklich unwirtlicher Ort. Für ein Kreuzfahrtschiff von 122 Metern Länge ist es jedoch eine recht verwinkelte Passage, deren Durchfahrt aus Sicherheitsgründen nur bei Tag erlaubt ist.

Den mächtigen Strom, der sich an manchen Stellen bis zu einem See weitet, erlebt man hier wie eine Anakonda, die sich in engen Windungen durch üppig wuchernden Regenwald schlängelt. Vorbei an kleinen Inseln und sich permanent verändernden Stromschnellen und Sandbänken.

Der Amazonas ist der wasserreichste Fluss der Erde. Er transportiert die größte Wassermenge weltweit. Er hat die meisten Nebenflüsse und durchquert den Großteil des südamerikanischen Kontinents. Rechnet man seinen Quellfluss, den Ucayali mit, ist er mit mehr als 6800 Kilometern sogar noch vor dem Nil der längste Fluss der Welt.

4000 Kilometer Amazonas

Bis die Hanseatic von Iquitos nach 16 Tagen die Amazonasmündung in Belém erreicht, wird sie mehr als 4000 Kilometer zurückgelegt haben. Während der Regenzeit zwischen Dezember und Juni sind die Hanseatic und ihr Schwesterschiff, die Bremen, trotz des höheren Wasserstands die einzig großen Kreuzfahrtschiffe, die auch den wenig befahrenen Flussabschnitt in Peru befahren, selbst wenn es dafür noch nicht mal zuverlässige Karten gibt.

"Ein Fall fürs Dschungelbuch", sagt Gerke und schlägt eine individuell zusammengestellte Kartensammlung auf, die überzeichnet oder überklebt wird, sobald sich im Flusslauf etwas dauerhaft verändert hat.

Stark verändert hat sich mit Sicherheit das Leben der indigenen Völker. Etwa 100 nicht kolonialisierte Stämme soll es im Amazonasgebiet noch geben. Großflächige Viehweiden, riesige Sojaanbauflächen, fortschreitender Holzabbau und Goldschürfer, die mit Quecksilber Boden und Flüsse verseuchen, haben neben weitreichenden Folgen für das Ökosystem auch viele Indianer-Stämme in unfruchtbare Schwarzwasserwälder abgedrängt.

Ein Fall für das Dschungelbuch
Ein Uitoto-Mädchen präsentiert stolz seinen Papagei. Bild: Kohl

Ein Uitoto-Mädchen präsentiert stolz seinen Papagei.

 

Einige Uitotos und Boras, die wie im Ort Pucaurquillo noch direkt am Amazonas leben, halten sich mit Tanzaufführungen und dem Verkauf von Kunsthandwerk über Wasser. So vermitteln sie den Besuchern ein wenig von jenem animistischen Glauben, der einst ihre Welt beseelte. "Pirarucú", sagt ein Bora-Mann, der sich mit Federschmuck und Kriegsbemalung schon für die Tanzshow zurechtgemacht hat. Er hält einem eine Kette entgegen, an der die getrockneten Schuppen eines urzeitlich aussehenden Amazonas-Raubfisches baumeln, der mehr als zwei Meter lang und 150 Kilo schwer werden kann und der Legende nach ein verwunschener Krieger ist.

Weiter stromaufwärts im Gebiet des Rio Negro sagen sie den rosafarbenen Amazonas-Delfinen sogar die Fähigkeit nach, sie könnten sich, um junge Mädchen zu bezirzen, in hübsche Jünglinge verwandeln. Ist die Vaterschaft eines Kindes nicht geklärt, findet man noch heute Geburtsurkunden, auf denen als Vater "Boto", also Flussdelfin, vermerkt ist.

Die Seitenkanäle des Rio Jutaí erkunden die Kreuzfahrtgäste dann in Zodiacs, robusten Schlauchbooten. Expeditionsleiter Ignacio Rojas steuert ein paar Büsche an, auf die sich zwei Leguane und ein Faultier vor dem Wasser gerettet haben. "In der Trockenzeit sind das mächtige Urwaldriesen. Jetzt sind sie bis auf ihre Baumkronen im Wasser verschwunden", sagt Rojas.

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Die für Europäer ungewohnte Tierwelt: ein Brillenkaiman Bild: Kohl

Die für Europäer ungewohnte Tierwelt: ein Brillenkaiman...

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Ein Faultier Bild: Kohl

... und ein Faultier

 

Von der unermesslichen Artenvielfalt der noch unbekannten Tiere und Pflanzen werden jedoch ebenfalls viele verschwinden, noch ehe sie überhaupt entdeckt sind. Inzwischen ist laut WWF fast ein Fünftel des gesamten Amazonas-Regenwaldes durch Abholzung und Brandrodung zerstört worden.

Als die Ausflügler in ihren Zodiacs zurück zum Schiff kommen, haben sich am Heck bereits etliche Einheimische mit ihren Holzkanus vertäut, um mit der Schiffsbesatzung einen kleinen Markt zu eröffnen. Sie haben Bananen, Kokosnüsse und lebende Hühner aus ihren Dörfern herangefahren, die sie eintauschen wollen gegen Dinge, die hier im Regenwald nicht so leicht zu beschaffen sind: Plastikkanister, T-Shirts oder Schuhe. Schnell sind drei Hühnchen geschlachtet, in einen Sack gepackt und über ein Seil im weißen Schiffsbauch verschwunden. Bananen gegen Modemagazine sind die nächsten Tauschobjekte. Unter ihren bunten Sonnenschirmchen reißen dann die Bootsfrauen als erstes die Parfümproben heraus, um lange dran zu riechen.

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Sobald das Schiff ankert, kommen die Einheimischen auf ihren Booten und wollen handeln. Bild: Kohl

Sobald das Schiff ankert, kommen die Einheimischen auf ihren Booten und wollen handeln.

 

Solche Duftpäckchen kann man in Manaus gut gebrauchen, denn selbst manches Hochhaus in der Zwei-Millionen-Metropole ist nicht an eine Kanalisation angeschlossen und verfügt nur über eine Sickergrube. Die Zeit zurückdrehen möchten wohl viele hier. Zurück in eine Epoche, als die Amazonasmetropole eine der reichsten Städte der Welt war. In der tropisch feuchten Hitze wirkt Manaus heute nur mehr wie der verblasste Traum jener Kautschukbarone, welche dem Ort Ende des 19. Jahrhunderts seinen rasanten Aufstieg bescherten. Die schnell zu Geld gekommenen Plantagenbesitzer ließen Paläste errichten und Baumeister samt Baumaterial direkt aus Europa heranschiffen. Das auffälligste Gebäude ist ohne Zweifel das Teatro Amazonas, ein im Stil der Renaissance erbautes Opernhaus voller Plüsch, mit einer Riesenkuppel mit Kacheln aus dem Deutschen Reich sowie Spiegeln und Lustern aus Murano.

Wie im Spielfilm Fitzcarraldo

In solch üppiger Pracht kommen einem sofort die Bilder aus Werner Herzogs Film "Fitzcarraldo" in den Sinn, der einen für einen Moment in diese Zeit des wahnwitzigen Booms zurückversetzt. Klaus Kinski gibt darin den exzentrischen Opernfan Fitzcarraldo, der sogar ein komplettes Schiff durch den Dschungel tragen lässt.

Dekadenz und Pomp fanden mit dem Niedergang des Kautschukmonopols und dem Beginn des Ersten Weltkriegs jedoch ein schnelles Ende. Ein Schauspiel ist Manaus allerdings geblieben: das Treffen der Wasser. So nennt sich der optisch spektakuläre Zusammenfluss des dunklen Rio Negro mit dem hellen, lehmbraunen Rio Solimões, wie der Amazonas an dieser Stelle heißt. Mehrere Kilometer fließen beide nebeneinander her, ohne dass sich ihre Gewässer vermischen.

In Geduld üben müssen sich dann auch ein paar Angler, obwohl Piranhas eigentlich als überaus gefräßig, aggressiv und blutrünstig gelten. Gleich sechs Gäste halten ihre mit blutigen Rindfleischbröckchen bestückten Angelschnüre aus dem Zodiac ins Wasser und es dauert eine ganze Weile, bis der erste Piranha am Haken hängt. Nur für Fotos zum Angeben daheim versteht sich. Und natürlich, um dem Fischlein in sein scharf bezahntes Maul zu schauen. Danach darf es wieder zurück in den Amazonas.

Faule Piranhas

Bei so beißfaulen Piranhas trauen sich dann bald die Ersten für ein kurzes Bad ins Wasser. Zu verlockend ist der weiße Sandstrand mit den roten Sonnenschirmen bei Praia Grande. Der helle Muschelkalk vieler Strände hier stammt noch vom Uramazonas, aus einer Zeit, als der riesige Kontinent Godwana auseinanderbrach und sich Südamerika und Afrika formten. Wissenschaftler vermuten, dass der Amazonas durch die Entstehung der Anden nicht mehr in den Pazifik fließen konnte und so seine Richtung wechseln musste. Geblieben sind viele für einen Süßwasserfluss exotische Tiere wie Seekühe und Delfine, die mehr als 4000 Kilometer vom Meer entfernt vorkommen.

Schweinshaxe und Bier

Wobei Exotik oft nur eine Frage des Standorts ist. Denn ein Vergnügungsfest mit bayerischem Mittagsbuffet wirkt auf einer Amazonaskreuzfahrt vermutlich fast so exotisch wie die Fahrt durch den Dschungel selbst. So ein Bayern-Event findet traditionell auf jeder Hanseatic-Reise statt und ist bei Stammgästen so beliebt, dass manche sogar ihre Tracht dabeihaben.

Es ist schon eine skurrile Szenerie, wenn mitten auf dem Amazonas aus einem Expeditionsschiff ein bayerischer Vergnügungsdampfer wird, inklusive Schweinshaxe, Knödel, Kraut und reichlich Bier. Die Schiffskapelle singt vor und mehr als hundert Passagiere grölen mit: "Wahnsinn, warum schickst Du mich in die Hölle? Hölle, Hölle, Hölle, Hölle!". Nur Kapitän Gerke singt nicht mit, denn durch die Hölle schickt er sein Schiff nur einmal pro Reise.

 

 

Informationen

Reisearrangement: Hapag Lloyd Cruises unternimmt die nächste Amazonasreise mit der MS Hanseatic vom 8. April bis 29. 4. 2017 (21 Tage) von Belém (Brasilien) nach Iquitos (Peru) oder gleich im Anschluss in umgekehrter Richtung. Die Reise wird von Naturwissenschaftlern und landeskundigen Lektoren begleitet.

Preis: Im Reisepreis ab 12.557 Euro pro Person sind die An- und Abreise ab/bis Deutschland sowie täglich bis zu zwei Anlandungen im Zodiac und Vollpension auf Fünf-Sterne-Niveau inkludiert
www.hl-cruises.de

Gesundheit: Eine Malariaprophylaxe wird empfohlen, der Nachweis einer Gelbfieberimpfung ist verpflichtend.

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