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Das Aschenbrödel wurde Königin

Von Reinhold Tauber, 07. April 2015, 00:04 Uhr

Europas nordische Schönheiten, Teil III: Helsinki. Die locker auf das Land hingelagerte Metropole bietet ihren Gästen Bedeutendes.

Alter Witz, zum Beispiel bei deutschen Faschingssitzungen: "Was heißt ‚Sonnenuntergang’ auf Finnisch? - ‚Hel sinki’!" Ach ja.

Realität: Finnlands Metropole, wie Stockholm auch an einen (Meer-)Busen geschmiegt, hier den Finnischen, startete ihre neuzeitliche Existenz als politgeografische Nebensache. Das Aschenbrödel der Städte in der Region wurde 1550 während der Zugehörigkeit zu Schweden begründet und machte abgesehen von der Funktion als Trittstein der Macht in der Landschaft nicht viel von sich her.

Ursprünglicher strategischer Grund: Der Hafen sollte dem estländisch/livländischen Tallinn auf der Gegenseite des Meerbusens ein wenig Wirtschaft absaugen. Dann aber wurde Livland schwedisch, und damit wurde das Aschenbrödel in die Asche gesetzt. Als später die Russen das Sagen hatten, etablierten sie das Großfürstentum Finnland und machten 1812 Helsinki zur Hauptstadt.

Seit 1917 unabhängig

Nachdem der Geschichtswind später günstiger wehte, wurde 1917 das unabhängige Finnland begründet, und damit begann sich das Aschenbrödel aus dem Staub zu wühlen, hüllte sich in den Staats-Königinnenmantel. Der Mantel, in den sich der Stadtkern hüllt, ist weit. 715 km² Fläche nimmt das Stadtgebiet ein, Linz hätte da siebeneinhalbmal Platz. Ein Drittel ist Land – und von der Landfläche sind die Hälfte Grüngebiete –, 300 vorgelagerte Inseln gehören zur Stadtfläche, der Mantelsaum sind mehr als 100 Kilometer Küstenlinie. Im Ballungsraum wohnt etwa eine Million Menschen, von denen sechs Prozent Schwedisch sprechen, Geschichtserbe, die Stadt ist zweisprachig.

Mehrmals abgebrannt

Kein Nachteil ohne Vorteil: Die Stadt brannte mehrere Male ab. Zuletzt machte ein Brand 1808 gründliche Arbeit, was eine totale Neuplanung bedingte. Der damals befehlende Zar aller Reußen erteilte dem deutschen Architekten Carl Ludwig Engel den Auftrag, die Stadt wie ein abgepaustes Petersburg in das Land zu stellen. Ab 1830 war er Planer eines einzigartigen geschlossenen Ensembles, Musterbeispiel des finnischen Klassizismus. Die "Empire-Stadt" mit riesigem Senatsplatz, mit Universität und Dom als städtischer Angelpunkt ist in dieser Geschlossenheit in Europa einmalig.

Die Jugendstilzeit setzte Anfang des 20. Jahrhunderts noch einige architektonische Glanzlichter drauf. In der Jetztzeit platzierten Architekten von Weltrang noch zeitaktuelle Markierungen auf den Stadtplan, etwa Alvar Aalto seine Musterbauten des neuen Funktionalismus (Finlandia-Halle).

Durch diese bewundernswerte Stadtlandschaft wandern wir. Wir: einige der hunderttausenden Besucher im Jahr. Einige kommen vielleicht per Bahn, Ankunftshalle ist der Hauptbahnhof, eine architektonische Sehenswürdigkeit (wie auch jener Kopenhagens), Sinnbild des finnischen Jugendstils. Aber die meisten nehmen doch lieber von Deutschland aus das Schiff, das auch bei Bedarf das Auto huckepack nimmt. So kommen wir an: im Südhafen, der Ankunftszentrale für alle Schwimmriesen, am Ostrand der ins Meer vorgeschobenen zentralen Stadt.

Nachdem wir die Gangway hinabgestolpert waren, sind wir vom Kauppatori eingesaugt, dem Empfangsraum, dem großen Platz, auf dem von dem Jahr-Tag an, an dem die Sonne den Platz beheizt, das pralle Leben quirlt: Markt, Fisch, Fleisch, Firlefanz, du kommst erst einmal gar nicht weiter.

Schräg rechts oben blickt die dunkelfarbige orthodoxe Uspenski-Kathedrale, die Halbinsel Katajanokka beherrschend, auf das Volk nieder. Fast gerade darüber winkt der weiße Dom als Religions-Pendant der Evangelischen her, dazu stehen Präsidenten-Palais, Rathaus und Stadtmuseum zur Begrüßung Spalier.

Die Stadt ist zwar hügelig, die wesentlichsten Besichtigungsobjekte, vom Tourismusamt empfohlen, liegen jedoch fußläufig von der Uspenski-Kathedrale bis zum Sibelius-Denkmal (über all das weiter unten) in (Fast-)Luftlinie einer leicht gekurvten Vier-Kilometer-Distanz. Das ist für Stadtstreicher mit guten Tretern kein Problem – und auf dem Weg ist man ja vom architektonisch beeindruckenden Stadtgefüge eingefangen.

Wer seine Füße und Schuhe lieber schont, der macht halt eine Stadtführung mit. Wir aber nehmen Gehsteig-Pflaster und Straßen-Asphalt unter die Füße und starten: Erst einmal hoch zur Uspenski-Kathedrale, die hier im östlich-westlichen Abendland als Leuchtturm der Orthodoxie steht. 1868 fertiggestellt, die größte orthodoxe Kirche im westlichen Europa, im typisch byzantinisch-russischen Stil im Inneren auch Fotografen zugeneigt.

Die luftigste Stadt

Von ihr hinüber zum Senatsplatz mit dem weißen Dom als Zentralpunkt. Auf diesem erhöhten weiten Platz mit Blick zur Hafengegend, winddurchweht, die Stufen sind so etwas wie ein Amphitheater für das Volk, hat man das Gefühl, Helsinki ist von allen nordischen Hauptstädten die luftigste, in der es insbesondere in den Sommermonaten mit den "weißen Nächten" auch poppig mit Konzerten und Aktionen hoch hergeht, da ist eine Szene, da müssen wir hin ... Den Hauptbahnhof in quirligem Straßengeflecht bewundern wir im Vorübergehen – und kommen, die belebte Hauptstraße Arkadiankatu bis zu ihrer Einmündung in die Runeberginkatu entlang, zur Felsenkirche, dem Besichtigungs-Hit der Stadt. 350.000 Besucher kommen in Jahressumme tagsüber und zu Konzerten.

Beeindruckend: Felsenkirche

Diese in ihrer Konstruktionsart einer historischen Höhlenkirche nachempfundene sakrale Stätte ist eine Einmaligkeit. Seit 1969 ist sie ein Besuchermagnet. Sie ist aus dem Fels gehauen, bei 13 Metern Höhe und 25 Metern Durchmessern wirkt sie optisch höher und gewaltiger. Ein in Summe 22 Kilometer langes Kupfergerüst trägt das Dach und die Kupferkuppel, das Licht von 180 Fenstern erhellt den Raum, aber nicht grell, sondern es taucht ihn in metaphysische Atmosphäre.

Der Fels ist in den Raum, Höhlen-Charakteristik suggerierend, faszinierend geschickt integriert. Die Besucher stehen andächtig, gefangen, selbst Japaner vergessen eine halbe Minute lang aufs Fotografieren der Partnerinnen ...

Weiter geht es ziemlich gerade hinauf nach Norden (ein lockerer zusätzlicher halbstündiger Fußmarsch darf schon sein) zu einer weiteren Einmaligkeit: Was den Norwegern / Osloern ihr in Stein gestalteter Vigeland (siehe dort), ist den Finnen ihr Musik-Gestalter Jean Sibelius (1865–1957). Der nahe Helsinki geborene Tonschöpfer – Verehrer Bruckners, sein technisches Rüstzeug holte er sich auch einige Jahre lang in Wien –, ist einer der wenigen Komponisten Finnlands, die über das Land hinaus international bekannt wurden, mit seinem Violinkonzert, mit der symphonischen Dichtung "Finlandia". Erst Dirigenten wie Leonard Bernstein, Lorin Maazel, Herbert von Karajan verankerten ihn in der internationalen Musikwelt.

Im Sibelius-Park

In dem Park am oberen Rand des eigentlichen Stadtkerns, der seinen Namen trägt – einer steindurchsetzten, eher abweisend wirkenden Landschaft, die an Lappland erinnert, der Sibelius viele Inspirations-Impulse für seine Kompositionen verdankt –, steht seit 1967 das ihm gewidmete Denkmal, ein Monument, gestaltet von einer finnischen Bildhauerin, das auch Tausende täglich in den Park zieht: ein Gebilde aus 600 in wellenförmiger Struktur angeordneten Stahlröhren, 24 Tonnen schwer, 8,5 Meter hoch, es weckt Assoziationen mit Orgelpfeifen – das Instrument hatte für Sibelius eine sehr große Bedeutung.

Kopien davon stehen im UNESCO-Hauptquartier in Paris und im UNO-Hauptquartier in New York, das geklonte Ding kommt weit herum ...

Bevor wir uns in die nordische Schönheit total verschauen, ein Tipp, über sie hinauszublicken: etwa zur mächtigen alten Festung Suomenlinna, die seit 1991 zum Weltkulturerbe zählt, per Fähre erreichbar. Wer das überreiche historisch-museale Angebot in der Stadt auch noch nutzen will, der muss sich allerdings wirklich einen individuellen Zeitplan machen.

Fährverkehr von Travemünde nach Helsinki täglich, die 1132 Kilometer werden in 30 Stunden zurückgelegt. Auto entweder mitgenommen oder nahe dem Terminal in die Garage eingestellt, Miete derzeit sechs Euro / Tag in Kombination mit dem Ticket.

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