Carven im Drachenland
An den Dolomiten führt im italienischen Trentino kein Blick vorbei. Bernhard Lichtenberger war im Fassa- und Fleimstal sportlich wie kulinarisch unterwegs.
Wild zerklüftete Türme geben dem Horizont ein schroffes Antlitz. Als habe sich der mächtige, geflügelte Feuerdrache Smaug aus Tolkiens Fantasiewelt auf Erden niedergelassen, ragen sie wie dessen versteinerte Rückenzacken empor. Einzelne tragen Namen, die geläufig sind. Marmolata, Sella, Rosengarten, Langkofel.
Wohin sich der Blick auf den Anhöhen im Trentino, der autonomen Provinz im Norden Italiens, auch wendet – er bleibt an den faszinierenden, schroffen Zügen der Dolomiten hängen. Nicht weit hinter Bozen schlängeln sich das Val di Fiemme (Fleimstal) und das Val di Fassa (Fassatal) ins Gebirge.
Obwohl Frau Holle in diesem Winter ihren Italienisch-Kurs die meiste Zeit geschwänzt hat, zeigen sich die Pisten von ihrer besten Seite. Die Kanten der Carver fräsen durch tadelloses Kunstschnee-Weiß – griffig und ebenmäßig, weit und breit kein glattes, eisiges Fleckerl. Im Taumel der Gefühle, die die Schwünge auf den breiten Abfahrten wecken, wird man schwach und drückt das ökologisch wache Auge zu.
Der formidable Zustand der Unterlage kommt nicht von ungefähr. "Wir haben die besten Präparierer, mit langer Erfahrung", sagt Cristoforo Debertol. Der studierte Soziologe und Politikwissenschafter kümmert sich touristisch um das Fassatal und mag sich kein schöneres Platzerl vorstellen: "Ich liebe mein Tal, die Dörfer und die Menschen, die einander helfen."
Die schwarzen Pisten im Trentino bestechen durch breite Schneisen und griffigen Schnee.
Fad wird den sportlich Ambitionierten im Land der schier unbegrenzten Abfahrtsmöglichkeiten keineswegs. Die Skigebiete im Fassatal zwischen Moena und Canazei bringen es auf 220 Pistenkilometer. Familienfreundlich gestalten sich die Hänge auf der einen Seite des San-Pellegrino-Passes, während gegenüber eine neue, rassige Schwarze lockt, die sinnigerweise "Volata" heißt: "Endspurt". Und so spürt man gegen Ende eines Skitages auf Selbiger die Oberschenkel brennen. Im hoch gelegenen Canazei fühlen sich Tourengeher und anspruchsvolle Wedler gut aufgehoben.
Unter den Felsen der Latemar-Gruppe verbindet eine Skischaukel Predazzo mit dem südtirolerischen Obereggen. Das weitläufige Pistengeflecht straft jene Lügen, die das Val di Fiemme bisher nur in der Skisprung- und Langlauf-Schublade abgelegt haben. Fassa- und Fleimstal gehören beide zum weltgrößten Skikarussell "Dolomiti Superski" mit sagenhaften 1200 Pistenkilometern – das entspricht der Luftlinie zwischen Linz und der ukrainischen Hauptstadt Kiew.
Mitunter reibt man sich ein bisschen am benachbarten Südtirol. "Das Trentino ist italienischer, gastfreundlicher und hat kulinarisch mehr zu bieten", stellt Cristoforo Debertol das Licht seiner Region nicht unter den Scheffel. Risotto mit Garnelen, Ravioli mit Feigenfüllung oder zarter Hirsch lösen tatsächlich bei Genießern eine eigentümliche Handbewegung aus: Sie bohren mit dem Finger an der Wange, was so viel bedeutet wie "Es schmeckt fantastisch!"
Käser Alberto klopft einen Bergparmesan auf seinen Qualitätszustand ab.
Tür auf, Tür zu. So lässt sich die Frequenz im Verkaufsladen der Käserei "Caseificio Sociale Val die Fiemme" in Cavalese beschreiben. Im Untergrund des genossenschaftlichen Betriebes reift in hohen Stellagen ein goldfarbener Schatz heran: der Trentingrana, der Bergparmesan. 900 Liter tagesfrischer Heumilch schrumpfen in 24 Monaten zu zwei, je rund 36 Kilo schweren Laiben zusammen. Das Kilo der würzigen Gaumenfreude wird mit rund 13 Euro gehandelt und verträgt sich mit dem Chardonnay-Schaumwein "Opera" aus dem Cembratal ebenso gut wie mit dem Dolomiten-Roten "708 km". Und falls der Käse den Magen nicht schließt, lässt man ihm einen der vielfältigen Grappa-Sorten folgen, etwa einen "Pino Mugo", einen Latschenkiefern-Grappa.
An Grappa-Variationen mangelt es nicht, ob mit Zirbenharz oder mit Gewöhnlichem Tüpfelfarn.
Zum Abschluss eines befriedigenden Skitages will man auch den strapazierten Muskeln eine Portion Wellness gönnen. Erst im vergangenen Dezember wurde in Pozza di Fassa die "QC Therme" eröffnet, die auf drei Ebenen ein wohltemperiertes Freibecken, Saunas und Ruheoasen bieten. An die Hauspolitik muss sich der österreichische Schwitzer allerdings gewöhnen: Badehose ist Pflicht. Der Italiener mag ein Macho sein, aber kein Nackerpatzl. Va bene.
Trentino
220 Kilometer sind die Pisten in den Skigebieten des Val di Fassa lang, dazu kommen 110 Kilometer von Val di Fiemme/Obereggen. Beide gehören zum Karussell "Dolomiti Superski", das es auf 1200 Pistenkilometer bringt.
Die Dolomiten: Der Name der Gebirgskette leitet sich vom französischen Geologen Déodat de Dolomieu (1750–1801) ab, der das Dolomitgestein beschrieben hat. Mit 3342 Metern ist die Marmolata der höchste Gipfel.
Das ladinische Museum in Vigo di Fassa gibt Einblick in die Kultur und Sprache der Ladiner, die u.a. im Fassatal zu Hause sind.
Kulinarik: Hoch über Moena betreibt die leutselige Rosetta Desilvestro ihr feines Restaurant "Malga Roncac" mit typischer regionaler Küche.
Unterkunft: Das Fasstal verfügt über 280 Hotels mit rund 55.000 Betten, etwa das mit formidabler Küche und ansprechendem Wellness- und Beautybereich ausgestattete Vier-Sterne-Hotel "Maria" in Moena.
Events: Dolomiti Ski Jazz Festival in Val di Fiemme/Obereggen (11. bis 8. März); am 24. Mai führt eine Etappe des berühmten Radrennens Giro d’Italia ins Fassatal.
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