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Allein unter Wölfen

Von Win Schumacher, 11. April 2016, 00:04 Uhr
Allein unter Wölfen
Ein typisches Dorf im Nationalpark Picos de Europa Bild: Schumacher

Das Kantabrische Gebirge gehört zu Spaniens wildesten Naturlandschaften. Eine Eremitin, eine Almhirtin und eine Rangerin erzählen, wie hart das Leben dort ist - und wie entspannend.

"Mein erster Wolf begrüßte mich gleich bei meiner Ankunft in El Corralín", sagt die Einsiedlerin und lächelt. "Das war der 2. August 2009. Ich hatte am Vortag oben in der Kapelle übernachtet, bei meiner Ankunft in der Schlucht stand er plötzlich vor mir." Die Frau hält ein unruhig schnaubendes Pferd am Halfter, ihr Terrier-Mischling knurrt. "Sie sind ein wenig aufgebracht. Wir sind gerade einem Bären begegnet." Sanft tätschelt die Frau den Kopf des Pferds.

El Corralín ist ein verlassenes Dorf in den Bergen Asturiens, ein Weiler mit einem Dutzend eingestürzter Steinhäuschen, die der Eichenwald zurückerobert. Die letzten Menschen überließen ihn in den 1970er-Jahren den Wölfen und Bären. Bis Francine Marcelle kam. Und nie wieder ging. "Ich bin nun zu Gast bei den Tieren", sagt die 54-Jährige. "Ich hatte Glück. Sie haben mich aufgenommen und akzeptiert." Eine Frau allein unter Raubtieren, das klingt nach einer mittelalterlichen Heiligenlegende oder der Aussteigergeschichte einer Zivilisationsmüden. Von beiden hat das Leben von Francine Marcelle nicht viel. Mit gepflegten, nach hinten gebundenen Haaren, im schwarzen Wintermantel mit Kunstfellkragen und Lederhandschuhen stellt man sich kaum eine Eremitin vor. Francine liebt es, mit Wanderern über Ihr Leben zu sprechen.

Ein Leben mit Bären und Wölfen

"Seit ich ein Kind bin, hatte ich Probleme mit dem Atmen, weil mein Herz der Lunge keinen Platz ließ. Die Ärzte hatten mich schon aufgegeben. Man wollte mir einen Sauerstoffbeutel auf den Rücken schnallen, aber ich entschied mich lieber, darin zu wohnen", erzählt Francine. "Die Luft hier oben ist die reinste, die man sich vorstellen kann." Die Französin aus der Picardie im Nordosten von Paris zog zunächst als junge Frau nach Andalusien und machte sich schließlich auf die Suche nach einer Bleibe in Nordspanien. Das kühlere Klima dort tat ihren Lungen besser. El Corralín fand sie im Internet als verlassenes Dorf.

Die Cordillera Cantábrica ist eine von Spaniens wildesten Naturlandschaften. Die Bergkette zieht sich fast 500 Kilometer von Navarra und dem Baskenland bis nach Galizien. Im Süden Kantabriens und Asturiens erreicht das Massiv eine Höhe von weit über 2000 Metern. Abenteuerlich zerklüftet ragen die Felswände aus den Buchen- und Eichenwäldern. In den Tälern liegen weit verstreut winzige Dörfer zwischen grünen Viehweiden und nebelumhüllten Obstbaumhainen. Das Panorama erinnert mehr an die keltische Ursprünglichkeit von Wales und Schottland als an die sonnengebleichte Kargheit der südspanischen Sierras. Kein Wunder, dass das Gebirge zum Rückzugsort für bedrohte Tierarten wie den Auerhahn, den Schmutz- und Bartgeier, den Iberischen Wolf und die letzten Braunbären Spaniens wurde.

Einsamkeit kennt die Eremitin nicht. "Einsamkeit ist, wenn du unter einer Million Menschen lebst und niemanden hast, mit dem du dein Leben teilst." Mit Katzen, ihrem Hund und einem Pferd, das sie nun schon seit ein paar Jahren begleitet, spricht Francine auf Spanisch. In einem Gärtchen hat sie Apfel- und Birnbäume, Kapuzinerkresse und ein paar Weinstöcke gepflanzt. Im Herbst sammelt sie Pilze und Kastanien. Sie schreibt Gedichte, strickt Pullover, Taschen und Geldbörsen, die sie an Wanderer verkauft, die sich hierher verirren. So kommt sie an ein wenig Geld. "Den wahren Luxus habe ich hier in diesem kleinen Paradies gefunden. Geld ist das letzte, was mich interessiert."

In den sechs Jahren als Einsiedlerin hat Francine gelernt, mit wilden Tieren ihren Alltag zu teilen. "Den ersten Monat schlief ich noch in einem Zelt. Die Wölfe waren ständig um mich herum. In einer Grotte hier oberhalb von El Corralín ziehen sie ihre Jungen auf", erzählt sie. "Angst hatte ich nie." In einem der verfallenen Bauernhäuser richtete sie sich eine Wohnung ein. "Irgendwann habe ich noch einen Bären im Bett, wenn er mir durch das Dach bricht. Die Tiere sind hier eben zu Hause. Erst kürzlich war eine Bärenmutter mit ihrem Jungen zu Besuch, sie ließ es bis auf einen Meter an mich heran. Die Marder stehlen vom Katzenfutter, und ein Steinadler hat in meinem Garten das Fliegen gelernt."

Die letzte Bäuerin im Park

Nicht alle in der Cordillera teilen die Begeisterung von Francine für wilde Tiere. Immer wieder werden Wölfe illegal von Jägern und Viehzüchtern getötet. Sie behaupten, die Wolfsbestände und Angriffe auf Weidevieh nehmen zu. Wissenschaftlichen Untersuchungen halten diese Anschuldigungen nicht Stand.

Umweltbiologen sehen die Wölfe als bedroht. "Es gibt bereits zu viele Wölfe", entgegnet Covadonga Fernández Alonso, "sie töten immer mehr Schafe und Ziegen. In einem Winter haben Wölfe elf meiner Schafe gerissen. Es sah aus wie auf einem Schlachtfeld." Die Almhirtin steht vor ihrem Steinhäuschen auf einer saftig grünen Schafweide. Dahinter erhebt sich die zerklüftete Bergkette des Picos de Europa-Nationalpark. Wenn sie über ihre Schafe spricht, strahlt sie.

Covadonga ist die letzte Bäuerin im Park, die den Almkäse Gamonéu del Puerto nach einem aufwändigen Verfahren aus einer Mischung aus Kuh-, Schaf- und Ziegenmilch herstellt. Für den Blauschimmelkäse zahlen Feinschmecker viel Geld. Im Sommer verbringt sie manchmal Wochen allein hier oben in den Bergen." Wer weiß schon, was nach mir aus der Tradition wird", sagt die 57-Jährige. "Immer mehr Milchbauern haben aufgegeben. Als ich ein Kind war, waren es noch 60. Die Wolfsangriffe, die Milchpreise und die Auflagen der EU zwingen sie dazu."

Der Picos de Europa-Nationalpark wurde 1918 von König Alfonso XIII. als erster Nationalpark Spaniens eingeweiht. 50 Zweitausender formen hier eine der schönsten Bergkulissen Spaniens. Picos de Europa wurden die schneebedeckten Gipfel einst von den spanischen Seefahrern genannt. Sie waren das erste, was sie bei ihrer Rückkehr von dem alten Kontinent zu sehen bekamen. Aus ihrer Mitte ragt abenteuerlich zerklüftet das Zentralmassiv Los Urrieles mit dem 2650 Meter hohen Torre de Cerredo auf. Über den kargen Felswänden kreisen Gänsegeier und Schlangenadler.

Die einzige Rangerin

"Hier drüben ist es passiert", sagt Sara González Robinson und deutet auf das Waldland unterhalb des Pico Jano, "genau an der Grenze zum Nationalpark." Die Rangerin mit den kurzen schwarzen Haaren zieht den Wollschal über beide Ohren. Oberhalb des Deva-Flusses weht ein eisiger Wind. Auf Facebook stieß sie auf ein Foto von fünf erschossenen Wölfen im Wald von Camaleño. Mit Freunden durchkämmte sie tagelang das Gelände, bis sie die Kadaver fand. "Eine komplette Wolfsfamilie", sagt die Umweltbiologin. "Die Täter sind noch immer nicht zur Verantwortung gezogen."

Seit 18 Jahren ist Sara die einzige Rangerin im Nationalpark unter 50 männlichen Kollegen. Für die Wölfe kämpft die 42-Jährige gegen eine mächtige Jäger-und Schäfer-Lobby und die korrupte Lokalregierung. "Manche meiner Kollegen aus den Dörfern haben Freunde, die selbst Jäger sind, und so verläuft sich ein Fall wie dieser einfach häufig." Noch immer dürfen einzelne Wölfe in Kantabrien nach bestimmten Auflagen geschossen werden. "Die Wilderei geht weiter", sagt sie mit trauriger Stimme. "Die Jäger sagen, die Zahl der Wölfe nehme überhand. Es gehe um Bestandsregulierung. Dabei weiß niemand, wie viele Tiere es gibt. Im Nationalpark sind es wohl sechs Rudel. Wegen des Drucks durch die Jagd sind sie ständig auf Wanderschaft. So entsteht der Eindruck, es gäbe viel mehr von ihnen."

Konfliktpotenzial

Zu Saras Aufgaben gehört es, Viehkadaver zu untersuchen, ob sie Opfer von Wölfen geworden sind. Für jedes gerissene Tier erhalten die Halter eine Entschädigung. Oft hat dies aber den umgekehrten Effekt, dass die Schäfer ihre Verluste gerne dem Wolf zuschreiben und dieser noch unerbittlicher verfolgt wird. "Ich bin bei den Bauern nicht sehr beliebt", sagt Sara, "Wir stehen im Mittelpunkt des Konflikts. Wenn ich nur ein paar Knochen und Fellreste sehe, will ich einfach nicht sagen: Es war ein Wolf!"

Die Rangerin glaubt, dass sich die Situation nur ändern wird, wenn die Bevölkerung mehr über ihre Umwelt lernt. "Früher wussten die Menschen viel mehr über die Natur. Leider lernt der Mensch oft erst zu schätzen, was er hatte, wenn er es verliert." Aber so weit soll es mit den Wölfen und Bären nicht kommen.

 

Gute Tipps für die Reise

Unterkünfte: In einem Bergdorf unweit des Walds von Muniellos ist die Casa Quei Vitorino eine Unterkunft mit regionaler Küche. Besitzer Victor Garcia Rodriguez bietet Führungen ins Bärenrevier an.
Casa de Aldea Quei Vitorino 33812 Tablado; info@queivitorino.com.
www.queivitorino.com

Idealer Ausgangspunkt für Wanderungen im Picos de Europa-Nationalpark in der Cares-Schlucht ist das Hostal Poncebos.
info@hostalponcebos.es;
www.hostalponcebos.es

Essen und Trinken:
Wer vom Bergkäse Gamonéu und lokalen Spezialitäten probieren möchte, ist in Cangas de Onís richtig: DOP Gamonéu Plaza de Camila Beceña: Los Arcos Restaurante Plaza Jardines del Ayuntamiento, 3 33550 Cangas de Onís; eventos@grupo-nature.com; www.restaurantelosarcos.es;

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