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Abgedreht auf Amerikanisch

Von Win Schumacher, 06. September 2016, 00:04 Uhr

In Oregon liegt die schrägste Metropole der USA. Portland ist stolz darauf, ganz anders zu sein als der Rest der Nation.

Er trägt eine Darth-Vader-Maske und einen Schottenrock. Wenn Brian Kidd auf seinem Einrad durch die City kurvt und dabei Dudelsack spielt, jubeln ihm die Portlander zu wie einem Football-Star. Zum Dank stößt der bizarre Star-Wars-Radler Feuerflammen aus den Röhren seiner Sackpfeife. Seine Fans applaudieren überschwänglich.

The Unipiper ist so etwas wie das lebende Maskottchen Portlands in Oregon, einer Stadt, die alles Abgedrehte liebt. Der inoffizielle Slogan der Metropole "Keep Portland weird!" steht in riesigen Buchstaben an einer Wand im Stadtzentrum, und so mancher malt ihn sich bei den im Sommer allgegenwärtigen Straßenfesten und Paraden auf die nackte Haut.

 

Abgedreht auf Amerikanisch
Darth Vader im Schottenrock ist ein lokales Maskottchen. Bild: Schumacher/Malis

Darth Vader im Schottenrock ist ein lokales Maskottchen.

 

Brian Kidd ist nicht der einzige abgefahrene Bewohner der US-Alternativen-Hochburg. "Ich bin das beste Beispiel. Diese Stadt ist einfach schräg!", sagt Dragqueen Darcelle XV. "Weird is fun! Wir Portlander nehmen uns einfach selbst nicht allzu ernst. Hier gibt es nicht diesen Bullshit wie im Süden, der Transgendern vorschreibt, auf welche Toilette sie zu gehen haben."

Als Walter Cole sich zum ersten Mal falsche Augenwimpern auf die Lider klebt, mohnroten Lippenstift aufträgt und sich in ein schwarzes Rüschenkleid zwängt, ist Lyndon B. Johnson Präsident der USA, und in den Kinos läuft gerade Disneys Dschungelbuch an. In Kalifornien folgt auf den Summer of Love ein kühler Herbst. An der Ostküste predigt Martin Luther King gegen den Vietnamkrieg. Und in Portland steigt eine Dragqueen auf einen Tisch in einer dunklen Taverne in Chinatown, die sie gerade für 5000 Dollar gekauft hat, und singt vor einer Gruppe betrunkener Lesben.

"Damals habe ich mich natürlich so nicht vor die Tür getraut", erzählt Walter Cole und zupft an seiner wasserstoffblonden Perücke. "Dabei war Portland schon immer sehr liberal und für Leute wie mich eigentlich nie gefährlich." Unter einer dicken Schicht Schminke lächelt der Kabarettist herzlich. Dass er in diesem Jahr seinen 85. Geburtstag gefeiert hat, lässt sich kaum erahnen.

Im ältesten Drag-Lokal Amerikas

Wer genau hinsieht, mag erraten, dass die in die Jahre gekommene Königin der Portlander Nacht im weinroten Glitterfummel ihre Auftritte auf künstlichen Kniegelenken durchsteht, jede Woche am gleichen Ort, seit 1967. Das "Darcelle XV" ist damit wohl das älteste Drag-Kabarett der USA.

 

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Drag-Queens seit Jahrzehnten Bild: Schumacher/Malis

Drag-Queens seit Jahrzehnten

 

Als der Attentäter Omar Mateen am 12. Juni im Orlandoer Schwulenclub Pulse um sich schoss und dabei 49 Menschen tötete, stand Cole gerade auf der Bühne im Darcelle XV. Auf der Portland Pride Parade in der Woche darauf trat er demonstrativ als Queen of the Night auf. "Nein, Orlando ist nicht weit weg. Aber ich habe keine Angst. Wir sind so fucking stupid in den USA, dass man wegen dieser blöden Republikaner einfach an jeder Ecke eine Knarre kaufen kann." Spätestens seit dem Zuzug von Hippies in den 60ern und 70ern gilt Portland als Mekka der Alternativen. Die größte Stadt in Oregon hatte seit 1980 ausschließlich linke und demokratische Bürgermeister. In den letzten Jahren zieht Portland vor allem Zuwanderer an, für die New York und San Francisco zu groß und zu teuer und der Rest der USA zu bieder und angepasst ist: Musiker, Künstler, Aussteiger, linke Studenten, aber auch Start-up-Unternehmer, Hightech- und Computer-Freaks. Niederlassungen von Firmen wie Intel, IBM und Yahoo haben der Region um Portland den Spitznamen Silicon Forest eingebracht. Die beliebte Satire-Fernsehserie Portlandia nimmt die Bewohner der Stadt auf die Schaufel: Hier prallen die verschrobenen Weltsichten von Nerds und Geeks, radikalen Veganern und feministischen Buchhändlerinnen aufeinander. Im Stadtbild Portlands findet man sie alle wieder, die Ökos, Hipsters und Weirdos, vor allem im Sommer, wenn sich das Leben auf Bauernmärkten, Kunst-Festivals und Straßendemonstrationen tummelt.

Der Welt-Nackt-Radausflug

Höhepunkt des Jahres ist der World Naked Bike Ride. Portland beansprucht für sich, jährlich das weltgrößte Nacktradler-Treffen ins Rollen zu bringen. In London kamen in diesem Jahr Hunderte Radler zum Protest gegen Rohstoffverschwendung und Verkehrssicherheit zusammen. In Portland waren es um die 10.000.

 

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In Portland findet jährlich das weltgrößte Festival der Nacktradler statt. Teilnehmer protestieren für ein ökologisches und fahrradfreundliches Portland. Bild: Schumacher/Malis

In Portland findet jährlich das weltgrößte Festival der Nacktradler statt. Teilnehmer protestieren für ein ökologisches und fahrradfreundliches Portland.

 

Im schrillen Kostüm oder einfach splitterfasernackt demonstrieren sie für ein ökologisches und radfahrerfreundliches Portland und nebenbei auch gegen Krieg, Gewalt gegen Minderheiten und Donald Trump.

 

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Donald Trump, aber nur als Verkleidung Bild: Schumacher/Malis

Donald Trump, aber nur als Verkleidung

 

"Schon George Bush Senior nannte uns Little Beirut wegen der scharfen Proteste während seines Besuchs hier", erzählt Tres Shannon. "Man stelle sich erst einmal vor, was hier los wäre, wenn Trump Präsident würde." Shannon betreibt den Donut-Laden Voodoo Doughnut im Stadtzentrum. Als im März Bernie Sanders Station in Oregon machte, buk er "Vote for Bernie"-Donuts für sein Wahlkampf-Team. Zum Auftritt des linken Präsidentschaftskandidaten im Portlander Moda Center kamen etwa 28.000 Menschen, mehr als zu jeder anderen seiner Wahlkampf-Veranstaltungen. Auch nachdem sich der Senator aus Vermont Hillary Clinton geschlagen geben musste, flatterten in den Vorgärten der Wohnviertel noch immer ein paar "Feel the Bern!"-Fähnchen. Wäre Portland die USA, der 45. Präsident der Vereinigten Staaten hieße weder Clinton noch Trump.

Mit rosa Hemd und NASA-Kappe

Im rosa Hemd, mit orangefarbener NASA-Schildkappe und Nerd-Sonnenbrille begrüßt Tres Shannon Touristen in seinem Laden. Mit seiner Band "Karaoke from Hell" tritt er seit 15 Jahren jeden Montag im benachbarten Dante’s auf. Sein Voodoo Doughnut ist seit 2003 so etwas wie ein kulinarisches Aushängeschild für eine ganze Reihe an Küchen und Backstuben, in denen Portlander möglichst schräge Rezepte ausprobieren. Am Anfang experimentierte Shannon noch mit Schlaftabletten und Koffein, bis die Lebensmittelüberwachungsbehörde anrief. "Aber nein, wir mischen kein Ziegenblut in unsere Donuts, eigentlich sind unsere Backmischungen recht konservativ. Nur was draufkommt, ist etwas abgefahren." Zur Wahl stehen mit Speck belegte Ahornsirup-Riegel und der leuchtend violette Grape Ape Doughnut mit Lavendel-Hagelslag.

 

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Viel Buntes auch in der Stadt Bild: Schumacher/Malis

Viel Buntes auch in der Stadt

 

"Irgendwann hatten wir Anfragen, ob man bei uns auch heiraten kann", erzählt Shannon. "Nun ja, inzwischen haben sich etwa 500 Paare hier bei Kaffee und Donuts getraut. Warum sollte man auch 30.000 Dollar für eine Hochzeit bezahlen, wenn sie wie bei uns für 300 zu haben ist?" Von Shannons Voodoo Doughnut sind es nur ein paar Gehminuten zum Pagodentor vor der Chinatown, in den belebten Pearl District mit seinen hippen Gourmet-Eateries, Kunstgalerien und Boutique-Hotels und zum kunterbunten Samstagsmarkt am Ufer des Willamette River. In den Vierteln ringsum reihen sich nun Bio-Restaurants und Designer-Boutiquen aneinander. Je näher man in Richtung Fluss schlendert, desto mehr Obdachlose und Junkies betteln um ein paar Dollar.

Eine Stadt verändert sich

"Noch vor kurzem waren wir hier zwischen einem Strip-Club und einem Porno-Kino", erzählt Shannon. "Das Kino hat nun zu. In Portland ändert sich gerade alles." Viele Portlander klagen, dass Zuwanderer aus Kalifornien und anderen südlichen Bundesstaaten ihre Stadt zunehmend verändern. Die Neuankömmlinge kaufen in attraktiven Vierteln die Wohnungen auf. Immobilienmakler werben für Neubauten in Innenstadtnähe, die sich viele Portlander längst nicht mehr leisten können. "Was mich verrückt macht, ist, dass genau die Leute, die neu kommen und hier alles toll finden, dann aber nichts anderes tun, als alles verändern zu wollen."

Was für die Berliner die Schwaben, sind für viele Portlander die Kalifornier. Und so verteilen manche "No Californians"-Sticker und wehren sich so gegen die Gentrifizierung. "Vielleicht wird es uns in zehn, fünfzehn Jahren so gehen wie jetzt schon Seattle und San Francisco", sagt Tres Shannon, "Den Künstlern und all den Leuten, die die Stadt so besonders machen, wird es dann einfach zu teuer. Aber ich will hier nicht wie ein mies gelaunter Jammerlappen rüberkommen und glaube einfach, dass Portland sich seinen verschrobenen Geist bewahrt."

 

Heiße Tipps für die Reise nach Portland

Anreise: Zum Beispiel mit KLM über Amsterdam oder Icelandair über Reykjavik.

Unterkunft: Das Ace Hotel liegt perfekt, um Downtown und den Pearl District zu erkunden; www.acehotel.com
Wer den Osten Portlands mit Alternativszene und buntem Nachtleben erfahren will, wird im Jupiter Hotel kaum zum Schlafen kommen; www.jupiterhotel.com

Essen und Trinken: Donuts mit Ahornsirup und Speck oder doch lieber klassisch? Voodoo Doughnut hat eine schrille Auswahl. www.voodoodoughnut.com
Das Screen Door ist ein Restaurant mit lokaler und organischer Küche. www.screendoorrestaurant.com

Veranstalter: FTI hat viele Angebote nach Oregon; www.fti.de

Weitere Informationen: www.travelportland.com

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