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"Wings of Kilimanjaro": Einer statt alle

Von Christoph Zöpfl, 23. Februar 2013, 00:04 Uhr
Einer statt alle
Bild: chz

Anfang Februar wollten 86 Gleitschirmpiloten aus 22 Nationen am Gipfel des höchsten freistehenden Berges der Welt starten und sich so eine n Traum erfüllen. Das Projekt „Wings of Kilimanjaro“ (WOK) wäre fast zum Albtraum geworden.

Einige Jahre hat der Australier Adrian McRae daran gearbeitet, eine mutige Vision wirklich werden zu lassen. Der Kilimanjaro ist aufgrund der rigorosen Bestimmungen der Behörden für Gleitschirmpiloten ein verbotener Flugplatz, der Start vom Gipfel des höchsten freistehenden Berges der Welt damit zwangsläufig umso reizvoller. Wenige Abenteurer haben es in den vergangenen Jahren quasi als Luftpiraten geschafft, die Nationalparkverwaltung auszutricksen. Adrian dachte bei seinem Projekt „Wings of Kilimanjaro“ aber nie an eine illegale Nacht-und-Nebel-Aktion, sondern machte den Behörden offen und ehrlich (und vielleicht auch etwas blauäugig) ein Angebot, das diese nicht ablehnen konnten. Jeder Pilot, der sich in seine Seilschaft einklinken möchte, sollte mindestens 5000 Dollar für drei verschiedene Hilfsprojekte in der Kilimanjaro-Region sammeln. Die Verbindung zwischen der fliegerischen Selbstverwirklichung und dem Charity-Gedanken mobilisierte weltweit tatsächlich viele wagemutige Idealisten. Letztendlich ist fast eine halbe Million Dollar Spendengeld zusammengekommen.

Das offizielle Tanzania stempelte daraufhin den Wings-of-Kilimanjaro-Piloten eine viertägige Erlaubnis auf eine sehr, sehr offiziell wirkende Urkunde. Jambo! Wir durften es tatsächlich probieren. Das Startfenster war vom 5. bis 8. Februar offen. Rein statistisch betrachtet sei Anfang Februar die beste Zeit, auf dem Dach Afrikas mit dem Gleitschirm zu starten. Hieß es. Hakuna Matata (= alles in bester Ordnung).

Spätestens beim Aufbruch am Machambe-Gate ist dann jedem bewusst geworden, welche geradezu groteske Dimension unser Unterfangen angenommen hat: Rund hundert offizielle Wings-of-Kili-Leute (Piloten, Tandem-Passagiere, Kamera-Teams) versammelten sich am Fuße des Berges, unsere Transport-Logistik beschäftigte mehr als 600 Träger. Man hatte das Gefühl, dieser Trip sei die größte organisierte Berg-Expedition seit dem zweiten Punischen Krieg, als Hannibals Armee die Alpen überquerte. Der Kolonnenverkehr auf der Machambe-Route, die längst kein Geheimtipp mehr ist, war streckenweise unvorstellbar. Eine so gigantische und vor allem chaotische Gruppe hat der Kilimanjaro wohl noch nie hinauf hatschen sehen.

Der Berg schickte uns umgehend die ersten Warnungen: Er tümpfelte uns in Regengüssen, blitzte, donnerte, machte uns mit zornigen Böen eine Sturmfrisur und verwandelte zwischendurch mit unbarmherzigen Sonnenstrahlen ein paar Bleichgesichter zu Rothäuten. Vor dem Sani-Zelt der WOK-Doktoren stellten sich reihenweise die Leute an. Das Pillenarsenal war fast unerschöpflich. Vor allem Amerikaner und Australier schluckten wie die Spechte, Diamox wurde präventiv gegen die gefürchtete Höhenkrankheit verabreicht, einige hatten sogar Sauerstoff-Flaschen im Gepäck. Manchmal hatte man das Gefühl, man sei in einen Betriebsausflug eines Pharma-Konzerns geraten... Dem Dünnpfiff war es übrigens völlig egal, ob jemand Tabletten nimmt oder nicht. Er hat uns uns alle erwischt.

Der Träger-Aufstand

Die routinierten Piloten und Alpinisten verband nach den ersten vier, fünf Tagen am Berg ein gemeinsames Merkmal: tiefe Sorgenfalten. Anstatt sich an der Partystimmung in den Lagern zu beteiligen, beobachteten sie lieber das Wetter und erkannten, dass der Kili-Gipfelbereich täglich vom Jetstream gebürstet wird. Blöderweise aus nördlichen Richtungen. Der ideale Wind am Startplatz? Süd. Die offizielle Wetter-Info der Organisation stützte sich hauptsächlich auf statistische Werte der Vergangenheit. Wir sollten uns offenbar nicht an einer aktuellen Wetter-Vorschau orientieren, sondern am hundertjährigen Kalender.

Kein Wunder, dass es einem da den Magen umdrehte. Wenigstens sah der Plan vor, dass wir uns möglichst lange im Krater-Camp rund 150 Meter unter dem Gipfel einnisten, um darauf zu warten, dass sich ein Startfenster öffnet... Ein Plan, der offenbar nicht ganz zu unseren Trägern durchgesickert war. Für viele von ihnen ist das Krater-Camp ein No-Go. Dort oben würden die teilweise erschütternd mangelhaft ausgerüsteten Gepäckträger ihr Leben riskieren.

Am Gipfeltag fetzte zuerst eine Sturmböe eines der größeren Mannschaftszelte weg, dann rannten uns fast die Hälfte unserer Träger davon, als sie hörten, sie sollen unsere Sachen hinauf ins Krater-Camp auf 5730 Meter schleppen, um dort mit uns womöglich mehrere Tage auf gutes Flugwetter zu warten. Während noch hektisch verhandelt wurde, stiegen die meist uninformierten Piloten mit leichtem Gepäck hinauf auf den Kili-Gipfel und erlebten dort ein wahres Hochgefühl. Abgesehen vom starken Nordwind herrschte bestes Wetter, einige blieben stundenlang im Windschatten der Felsen liegen und genossen das einzigartige Panorama auf dem Dach Afrikas. Die Wolkentürme, die da unten in die Höhe schossen, verhießen zwar nichts Gutes, aber dieses Thema wollte niemand anschneiden. Der Kili-Tourismus hat inzwischen unappetitliche Auswüchse angenommen, aber der Uhuro-Peak bleibt ein magischer Ort. Vor allem dann, wenn man so lange dort oben bleiben darf wie wir.

Das Chaos

Nach dem Abstieg in das Krater-Camp war die Gipfel-Euphorie wie fortgeblasen. Ohne Träger war unsere Logistik kollabiert, neben verschiedenen Ausrüstungsgegenständen funktionierte plötzlich unsere Lebensversicherung nicht mehr: Wasser und Nahrung waren verdammt knapp geworden. Trotzdem übernachteten wir dort oben im eiskalten Kaltluftsee, in aller Früh wollten wir ja sowieso mit dem Gleitschirm flüchten... Aber der Kilimanjaro ließ uns nicht aus.

Am Startplatz herrschten nach einer schlaflosen Nacht unfliegbare Bedinungen. Sogar ein Hubschrauber, der uns Wasser bringen sollte, musste umdrehen. Viele Gleitschirm-Piloten wurden daraufhin zu Fußgängern und stiegen 3900 Höhenmeter in die Zivilisation hinunter.

Die sturen Hunde beschlossen, doch noch länger oben zu bleiben. In der Früh nach der zweiten Nacht in der Kili-Gefriertruhe, wurde es dann wirklich eng. Einige Leute kippten um, entkräftete Träger wollten nur noch weg, das Wetter war wieder bescheiden... Wir hechelten noch einmal zum Startplatz hinauf, aber anstatt ein Geschenk des Himmels zu bekommen, wurden wir dort von Sturmböen abgewatscht. Ungläubiges Staunen gab es nur, als es dem Heli-Piloten im x-ten Anlauf wirklich gelang, seinen Hubschrauber so gut über den Stella-Point zu manövrieren, dass einige Kisten mit Wasser und Schoko-Snacks abgeworfen werden konnten. Unten im Tal stellte er eine 5000-Dollar-Rechnung für diese Luftbrücke aus.

Schließlich verließ auch der Rest der Wings-of-Kili-Piloten den Startplatz seiner Träume, um rund sieben Stunden später unten am Mweka-Gate auf dem Boden der Realität anzukommen. Dumm gelaufen...

Babu schafft‘s doch noch

Nur eine Handvoll Optimisten blieben noch eine Nacht tausend Höhenmeter unter dem Gipfel im Barafu-Camp auf Stand-by, um tags darauf auch von dort den Rückzug anzutreten. Alle, nur einer nicht: Sano Babu Sunuwar, 2012 von National-Geographic-Magazin zum Abenteurer des Jahres gewählt, ging, als die Aktion längst abgeblasen war, noch einmal zum Gipfel hinauf. Die Bedingungen waren wieder absolut unfliegbar. Babu hängte sich trotzdem als lebenden Ballast einen Träger ins Gurtzeug, kam nach mehr als 40 Startversuchen irgendwie in die Luft, kämpfte fast eine Stunde in den Wolken um die Orientierung und landete später unten auf einer Wiese zwischen ein paar Kühen. Zum Leidwesen der australischen Film-Crew hat der Nepalese, der bereits vom Mount Everest mit dem Gleitschirm hinunter gesegelt ist, darauf verzichtet, sich eine Kamera auf den Helm zu schrauben, um seinen Wahnsinnsflug aufzuzeichnen. Der offzielle Wings-of-Kilimanjaro-Film wird somit ohne dokumentiertes Happy End bleiben. Der 29-jährige Babu war ein bescheidener und ruhiger Teilnehmer der lauten WOK-Expedition. Er begegnete dem Kilimanjao nicht mit Übermut, sondern mit Demut. Keiner hat es sich so verdient wie er, vom höchsten freistehenden Berg der Welt zu fliegen. Und ich bin ehrlich heilfroh, dass ich bei dieser Wahnsinnsaktion nicht sein Passagier sein musste.

Das Happy End

Die Tage danach: Im Teamhotel schlurfen wir wie Zombies durch die Gegend. Nach dem fluchtartigen Non-Stop-Abstieg zwickte jeden der Muskelkater. Viele von uns fuhren trotzdem auf das Land hinaus, um die Hilfsprojekte zu besuchen. Unsere Spenden bekamen Gesichter und Stimmen. Die Menschen empfingen uns mit einer Herzlichkeit, die uns alle sprachlos machte. Man zeigte uns stolz Gemüsegärten, Stallungen, Hütten, Brunnen. Man erklärte uns ein Mikrokredit-System, das, würde man es auf die Weltwirtschaft übertragen, mit einem Schlag jede Finanzkrise lösen könnte. Jeder von uns durfte einen Baum pflanzen. Die stolzen Menschen sangen Volkslieder und umarmten uns zum Abschied.
In ihren Dörfern wohnt keine Armut mehr, hier wohnt die Hoffnung.

Am Ende des Tages waren wir alle irgendwie fix und fertig, gerührt und zufrieden. Der Traum vom Fliegen blieb unerfüllt, aber unsere Bäume am Fuße des Kilimanjaro werden Früchte tragen.


Das Projekt:

Die Idee: Der Australier Adrian McRae verknüpfte seinen Plan, mit dem Gleitschirm vom Gipfel des Kilimanjaro zu fliegen, mit einem großen Charity-Projekt. Um eine Starterlaubnis zu bekommen wurden weltweit Spenden gesammelt.

Die Teilnehmer: 86 Piloten aus 22 Nationen lukrierten insgesamt knapp 500.000 Dollar für drei Hilfsorganisationen, die in der Kilimanjaro-Region aktiv sind. Die Behörden in Tansania erteilten die Freigabe für einen einen Start auf dem Gipfel zwischen dem 5. und 8. Februar.

Der Aufstieg: Um eine optimale Akklimatisierung zu gewährleisten, entschied man sich für einen siebentägigen Aufstieg auf der landschaftlich reizvollen Machame-Route (Machame-Camp, Shira Camp, Moir Camp, über Lava Tower und Arrow Glacier ins Barranco-Camp, Karanga-Camp, Barafu-Camp, Gipfel bzw. Crater-Camp). Inklusive Träger umfasste die Wings-of-Kilimanjaro-Gruppe knapp 800 Personen. Alle Piloten erreichten den Gipfel.

Der Überflieger: Obwohl Weltklasse-Piloten wie der Vorarlberger Gleitschirm-Profi Mike Küng dabei waren, gelang nur einem der Flug vom Gipfel: Sano Babu Sunuwar (29) ist vorher bereits vom Mount Everest geflogen (um anschließend mit dem Kajak 850 Kilometer weit zum indischen Ozean zu paddeln) und wurde vom National- Geograhic-Magazin als „Abenteurer des Jahres 2012“ ausgezeichnet. Auf dem Kilimanjaro herrschten während seiner Aktion miserable Flugbedingungen. Der Nepalese („Ohne Abenteuer spüre ich das wahre Leben nicht“) riskierte Kopf und Kragen.

Die Hilfsprojekte: Folgende Organisationen wurden von Wings of Kilimanjaro unterstützt: Plant with Purpose (Landwirtschaft, Wiederaufforstung, Mikrokredite), One Foundation (Schulen), Worldserve (Brunnenbau).
 

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4  Kommentare
4  Kommentare
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Loreley (431 Kommentare)
am 24.02.2013 14:20

als hätte es der Berg nicht gewollt!

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( Kommentare)
am 24.02.2013 14:42

durch die Wand, wird nicht immer gehen.
Schon gar nicht beim Paragleiten, u. erst recht nicht in solch exponierter Lage.
Immerhin sinds um einige Erfahrungen reicher.

Habe meinen Schirm vor über 10 Jahren verkauft. Nicht billig, das Vergnügen.

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Loreley (431 Kommentare)
am 24.02.2013 15:03

bei so an Wetter tät i mi a ansch.....!
Aber sonst schön mitzufliegen! zwinkern selber ned

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( Kommentare)
am 24.02.2013 13:49

einem Trophäenjäger ist nichts zu teuer.....
Wenigstens viel für die Heimischen etwas ab.

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