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Die Russen im Mühlviertel

28. Juni 2008, 12:25 Uhr

Das Mühlviertel unter Hammer und Sichel

Die ersten zehn Jahre nach dem Krieg bescherten dem Landesviertel Übergriffe und Bedrohungen, aber auch einen enormen wirtschaftlichen Rückschlag, von dem sich die Region nur sehr langsam erholte.

 Nach Inkrafttreten der am 7. Mai 1945 in St. Martin im Innkreis unterfertigten Kapitulation der Heeresgruppe Süd wurde die zwischen Amerikanern und Sowjets ausgehandelte Demarkationslinie wirksam, die vorerst von Freistadt die Bahnlinie, später die Bundesstraße entlang zur Donau und südlich davon die Enns entlang verlief. Die Sowjets hatten also vorerst nur etwa 40 Gemeinden Oberösterreichs in ihrer Gewalt, die Amerikaner etwa 400.

Anfang August 1945 besetzte allerdings die Rote Armee laut Zonenabkommen vom 9. Juli 1945 das ganze Mühlviertel. Ab 8. August war die Donau eine vorerst fast unüberschreitbare, streng kontrollierte Grenze geworden. Die Befürchtung, dass das Mühlviertel von Oberösterreich abgetrennt und Niederösterreich zugeschlagen würde, war sehr real.

Unikat der Gesetzgebung

Mit dem „Verfassungsgesetz vom 7. August 1945 über die Ordnung der staatlichen Verwaltung in der russischen Besatzungszone von Oberösterreich“ wurde von der Regierung Renner die Zivilverwaltung Mühlviertel eingerichtet und der Landwirt Johann Blöchl per Gesetz ad personam zum Staatsbeauftragten für das Mühlviertel ernannt – ein Unikat in der Gesetzgebung. Die erste Sitzung der drittelparitätisch besetzten Zivilverwaltung (ÖVP, SPÖ, KPÖ) fand am 13. August 1945 statt. Die Amtsräume befanden sich in der Rudolfstraße 2.

Nach den Wahlen vom November 1945 und der Bildung einer demokratisch legitimierten oö. Landesregierung am 15. Dezember betrachtete Blöchl seine Funktion als erloschen. Die sowjetische Militärkommandantur untersagte aber die Umwandlung der Zivilverwaltung in eine Außenstelle des Landes Oberösterreich. Eine verwaltungsmäßige Teilung konnte aufgefangen werden, indem Blöchl in der neuen, demokratisch legitimierten Landesregierung als Landesrat ohne Ressort an allen Entscheidungen mitwirkte. Später wertete Heinrich Gleißner das Festhalten Oberösterreichs an der Landeseinheit als wesentlichen Beitrag zur Verhinderung einer Teilung Österreichs ähnlich der Deutschlands.

Was Blöchl leistete und in welch unsicheren Lage er amtierte, immer mit einem Fuß in Sibirien stehend, verdeutlichen Lageberichte der Gendarmeriekommandanten: Zwischen dem 15. August und dem 31. Dezember 1945 wurden von den Gendarmen im Mühlviertel 70 Morde dokumentiert, 1946 immer noch 33, 1947 nur noch 14, 1948 wieder 24 und 1949 weitere 17. Jene Todesopfer, die in den ersten Monaten nach dem Waffenstillstand ermordet, von Zwangsarbeitern und KZ-Häftlingen aus Rache erschlagen oder von Amerikanern und Russen bei Übergriffen erschossen wurden, sind in diesen Zahlen nicht inbegriffen.

Willkürliche Gründe

In 82 (bekannten) Fällen wurden Mühlviertler aus mehr oder weniger willkürlichen Gründen in die Sowjetunion verschleppt. Beispielhaft ist der Fall der Lokomotivführer und Zugbegleiter jenes Güterzuges, der am 22. November 1945 am Saurüssel wegen Überladung entgleiste, wobei mehrere russische Soldaten ums Leben kamen. Obwohl die Eisenbahner auf die Gefahr hingewiesen und nur unter Zwang gefahren waren, wurden sie wegen Sabotage verhaftet. Der Zugführer Mistelbacher kam 1953 aus Sibirien heim, der Lokführer Klein starb in Russland. Von den verschleppten Mühlviertlern kamen 16 erst nach sieben bis zehn Jahren zurück, 20 blieben vermisst, 20 starben in Russland.

Neben den Besatzern machten selbst ernannte Rächer die Gegend unsicher. Männer dubioser Herkunft, die das Vertrauen der Besatzer errangen. Zum Beispiel der selbst ernannte Fahnder Friedrich Bösse oder der als „Oberingenieur Alexander Kuropatkin“ auftretende Mann, der seine Kontakte zu den Russen für Erpressungen und Vergewaltigungen nutzte und bis 1947 oft in Schwertberg auftauchte.

Frauen und Mädchen versteckten sich aus Angst vor Übergriffen russischer Soldaten nachts auf Heuböden, in Feldern und Kellern. Andere verkleideten sich als hässliche alte Frauen oder täuschten Krankheiten vor. Vergewaltigungen sind auch – allerdings in geringerem Maße – von Amerikanern bekannt.

Zu Kindern – so die heutigen Erinnerungen – waren die Russen stets nett und freundlich. Sie fielen im Gegensatz zu den „gebenden“ Amerikanern durch „Nehmen“ auf. Mit Plünderungen, Demontagen von Betrieben, Beschlagnahme des Deutschen Eigentums und Einbringung in den Komplex der USIA blieben die Sowjets in Erinnerung.

Wirtschaftlich ausgehöhlt

Mit Befehl Nr. 17 vom 27. Juni 1946 wurde das deutsche Vermögen in Ost-österreich von der Sowjetunion übernommen und in die sogenannten USIA-Betriebe eingebracht. Diese wurden wirtschaftlich völlig ausgehöhlt. Von der US-Marshallplanhilfe für den Wiederaufbau erhielt das Mühlviertel gar nichts.

Mit Mut, Taktik und Geschlossenheit verhinderten die führenden Männer eine endgültige Teilung des Landes. Nach dem Staatsvertrag gab es am 11. August 1955 die letzte Sitzung der Zivilverwaltung. Das Mühlviertel war endgültig frei.

Während der Süden durch die Besatzung die Chance bekam, zum Industrieland aufzurücken, blieb das Mühlviertel eine Krisenregion. Der Dank oder gar die Entschädigung für das, was es ertragen und geleistet hat, blieb spärlich.

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