„Ich möchte zeigen, dass in Ebensee auch eine andere Jugend existiert“
EBENSEE. Die 18-jährige Ebenseerin Lisa Neuhuber arbeitet ein Jahr lang in der Anne-Frank-Stiftung in Amsterdam und leistet dort einen freiwilligen Beitrag, die Erinnerung an die Opfer der NS-Zeit zu bewahren.
OÖN: Sie absolvieren einen Gedenkdienst im Anne-Frank-Haus aus? Was kann man sich darunter vorstellen?
Lisa Neuhuber: Das ist sehr offen gehalten. Ich unterstütze von hier aus Projekte österreichischer Schulen, die sich mit dem Schicksal Anne Franks beschäftigen, ich führe deutschsprachige Gäste durch das Anne-Frank-Haus oder arbeite ganz einfach organisatorisch im Haus mit.
OÖN: Wie sind Sie auf Anne Frank gestoßen?
Neuhuber: Im Zeitgeschichte-Museum Ebensee gab es vor einigen Jahren eine Ausstellung über Anne Frank. Ich habe dann ihr Tagebuch gelesen, und das hat mich sehr berührt. Sie war 13, als sie ihr Tagebuch begann und wurde mit 15 von den Nazis ermordet.
OÖN: War Anne Frank für Sie ein Vorbild, als Sie ihr Tagebuch lasen?
Neuhuber: Eine Identifikationsfigur war sie auf jeden Fall. Sie schreibt ja auch über alltägliche Dinge, die einen beim Erwachsenwerden selbst auch beschäftigen.
OÖN: Ihre Heimatgemeinde Ebensee erlangte in der jüngsten Vergangenheit traurige Berühmtheit wegen rechtsextremer Umtriebe von Jugendlichen. Wie schätzen Sie die Situation in Ebensee ein?
Neuhuber: Ich halte sie für ziemlich bedenklich. Vor allem aus den Hauptschulen hört man schlimme Dinge. Manche Jugendlichen fallen dort mit rechtsextremen Schmierereien auf, mit einem einschlägigen Dresscode und Musik aus der rechten Ecke.
OÖN: Könnte das auch eine Trotzreaktion auf die politisch korrekte Welt der Erwachsenen sein?
Neuhuber: Das kann schon sein. Es wird ja für jugendliche immer schwieriger, zu provozieren. Früher genügte es, schwarze Fingernägel zu haben, aber das reicht heute nicht mehr, um die Erwachsenen zu herauszufordern. Aber das ist trotzdem keine Rechtfertigung für die Dinge, die in Ebensee passiert sind. Ehrlich gesagt fällt es mir schwer, die Vorgänge in Ebensee zu beurteilen. Ich glaube, wenn es so einfach wäre, hätte man die Probleme auch schon längst im Griff. Wichtig ist in jedem Fall Aufklärung. Und da sind die Schulen gefordert. Ich selbst bin ins Bad Ischler Gymnasium gegangen. Viel haben wir dort nicht über die NS-Zeit gesprochen. Auch von Anne Frank hörte ich dort nie.
OÖN: Sind die traurigen Ereignisse in Ebensee auch eine Motivation für Ihren Gedenkdienst in Amsterdam?
Neuhuber: Ja, schon auch. Ich finde, Jugendliche sollten Verantwortung zeigen. Ich habe deshalb bei einer Kundgebung gegen die rechten Umtriebe in Ebensee eine Sprecherfunktion übernommen. Ich finde, es ist wichtig, zu zeigen, dass es in Ebensee auch eine andere Jugend gibt.
OÖN: Jetzt sind Sie in Amsterdam. Wie gefällt es Ihnen?
Neuhuber: Es ist wunderbar hier, die Stadt ist extrem schön. Das Wetter nicht so (lacht). Aber es ist herrlich, Amsterdam mit dem Rad zu erkunden.
OÖN: Was vermissen Sie an Ihrer Ebenseer Heimat?
Neuhuber: Schwarzbrot! Das Brot hier ist – vorsichtig gesagt – ganz anders. Das Kino Ebensee fehlt mir auch und die Kulturszene dort. Aber sonst geht mir hier nichts ab.
OÖN: Was werden Sie nach diesem Jahr machen?
Neuhuber: Ich möchte nach Wien gehen und studieren. Irgendetwas in Richtung Geschichte und Politikwissenschaft. Aber darüber muss ich noch nachdenken.
Danke, dass Sie die Gedenkdienerin aus Ebensee zu Wort kommen lassen.
Ich habe den Gedenkdienst 1992 nach dem Vorbild von Aktion Sühnezeichen Friedensdienste mit Unterstützung vom Innenminister Franz Löschnak gegründet.
Es freut mich besonders, dass diese Möglichkeit auch Frauen nützen!
Dr. Andreas Maislinger
Innsbruck
Für nähere Infos zu diesem von Dr. Andreas Maislinger gegründeten Verein besuchen Sie unsere Homepage: www.gedenkdienst.at