Den Deckmantel des Schweigens in Stücke reißen

Von Daniel Rudlstorfer   24.Juni 2014

Landstraße 32. Seit dem 18. Jahrhundert thront hier das Palais Mannstorff. Oben im zweiten Stock verbrachte Adolf Eichmann neun Jahre seiner Kindheit. Adolf wer?

Eichmann war Kumpan Adolf Hitlers, im Nationalsozialismus verantwortlich für die Durchführung der "Endlösung der Judenfrage". Eichmann, der Logistiker und Schreibtischmörder, trägt Mitschuld, dass Millionen Juden in Gaskammern deportiert und dort getötet wurden.

Um gegen das kollektive Vergessen anzukämpfen und den Deckmantel des Schweigens zu zerreißen, luden Herwig Strobl und Ivo Truhlar am Wochenende Interessierte zu Musikrundgängen durchs jüdische und "braune" Linz. Die Musiker der Gruppe "10 saiten TACHELES" unterhielten dabei mit Klezmer-Musik, historischem Wissen, Witzen und persönlichen Erfahrungen, stets ein Kamerateam an ihrer Seite. Zu dem Projekt wird es bald einen Film geben.

Dass Eichmann (und nicht nur er) immer mehr in Vergessenheit gerät, sehen die Musiker als bedenklich. "Ich habe einmal eine Ärztin gefragt, die im Eichmann-Haus ordiniert, was ihr dieser Name sagt", erzählt der 73-jährige Strobl, "sie hat ihn nicht gekannt."

Das Beispiel Eichmann ist eines von vielen zur jüdischen Kultur und ihren nationalsozialistischen Widersachern, die es heute in Linz noch gibt. Die Synagoge in der Bethlehemstraße, die in der "Reichskristallnacht" Flammen zum Opfer fiel, wurde 1965 neu errichtet. Davidsterne zieren ein Haus in der Spittelwiese. Am Alten Markt sind die Grundfesten einer mittelalterlichen Synagoge sichtbar.

Spätestens als die Nationalsozialisten 1938 in Linz einmarschierten, wurde die Situation für Juden unerträglich. 20 von ihnen sollen damals Selbstmord begangen haben. Von einer Vorfahrin wisse er aber, so Strobl, dass zumindest vier von ihnen in Wirklichkeit von der SA erhängt worden seien.

Heute noch gebe es in einem jüdischen Heim in Wien Personenkontrollen beim Eingang, weil die Bewohner Angst haben, erzählt ein Teilnehmer. Wie sollte man je einen Schlussstrich ziehen? Strobl weiß von einem Mann, dem 41 Jahre lang verschwiegen wurde, dass sein Vater Jude war.

Die Musiker selbst sind keine Juden. Die Liebe ließ Strobl für die jüdische Kultur brennen. Sein Vater war überzeugter Antisemit, weshalb sich Strobl im jungen Erwachsenenalter gegen ein angeblich jüdisches Mädchen entschied. "Daraus habe ich viel gelernt."

Zu weiteren Rundgängen laden die Musiker im Herbst. Mehr auf www.herwigstrobl.net

 

Geschichte der Juden in Linz

"Leopold Mostny war ein jüdischer Industrieller und Wohltäter. Er schenkte der Stadt Linz das Gelände des Urfahraner Markts. Dennoch wurde er mit fast 100 Jahren nach Theresienstadt deportiert, wo er wenige Tage später starb.“ - Herwig Strobl, Geiger „10 saiten TACHELES“

0,8 Prozent der Bevölkerung im „Großdeutschen Reich“ vor 1938 war jüdisch. Um 1900 war in Linz die Anzahl mit 1200 Juden (bei 100.000 Einwohnern) am größten. 1938 blieb etwa die Hälfte hier, die anderen wanderten aus. Nach dem Krieg und der Vernichtung der Juden kamen nur 13 Linzer Juden zurück. 5000 Juden waren zwischenzeitlich in Camps in Linz stationiert. Heute zählt die Kultusgemeinde Linz 45 Mitglieder aus ganz Oberösterreich.

"Antisemitismus und der Hass gegen andere Völker ist immer dort am größten, wo man über diese Menschen am wenigsten weiß – es reicht, sie als Sündenböcke brandzumarken. Sechs Millionen Juden wurden bis 1945 industriell vernichtet.“ - Ivo Truhlar, Gitarrist „10 saiten TACHELES“