Ruheloses Woodstock: Wo Stille der letzte Wille ist
ORT IM INNKREIS. Auch für Nicht-Musiker ein Spektakel: Das Blasmusikfestival in Ort im Innkreis zieht massenhaft Menschen an.
Ganz ehrlich, ich hab’ mit Blasmusik wenig am Hut. Ich bin leider unmusikalisch, was womöglich mit der Abneigung gegen meine Blockflöte in jungen Jahren zu tun hat. Also hab’ ich meine musikalische Karriere schon in der Volksschule aufgegeben. Seither hat sich auch das Interesse an diesem Musikgenre in Grenzen gehalten. Bis ein gewisser Herr Ertl aus St. Martin vor mehr als fünf Jahren auf die Idee kam, Blasmusik mit einem Open-Air-Fest massentauglich zu machen. Auch für Nichtmusiker. Das Woodstock der Blasmusik ist, erst im Sauwald, später in der Ebene neben der Antiesen ausgerichtet, zum Publikumsmagneten avanciert. Und ich wurde sukzessive zur Sympathisantin der Blasmusik. Weil sie viel mehr ist, als Blechtöne in überfüllten Bierzelten. Das verschrobene, verstaubte Ansehen ist passé. Blasmusik ist "in", wenn man so will.
Weniger Hektik, mehr Harmonie
Ein Abstecher zum "Woodstock der Blasmusik" reicht, um in die Welt der Trompeter, Klarinettisten und Tubisten abzutauchen. Noch bevor die Musikgruppen auf der Bühne die ersten Töne aus ihren Instrumenten schmettern, beginnt auf dem Caravan- und Campingplatz das große Tummeln. Donnerstagmittag und die ersten Zelte stehen. Hobbymusiker packen ihre mitgebrachten Instrumente aus, lassen sich im Liegestuhl sonnen und bejubeln Gleichgesinnte, die sich mit Sack und Pack durchs teilweise kniehohe Gras kämpfen. Das idyllische Bild trügt nicht: Hier, beim Woodstock der Blasmusik, dreht sich die Welt anders. Weniger Hektik, mehr Harmonie und Hilfsbereitschaft. Als seien alle gute Freunde.
Dieses Gefühl werde ich auch auf dem Weg zur Bühne nicht los: Wildfremde grüßen, laden einen zu Jause und Bier ein. Danke, ich lehne nur ungern ab, aber die Blaskapelle Josef Menzel auf der Hauptbühne wartet nicht. Schon gar nicht mit "Bayern des samma mir". Sie geigen großartig auf – meine ich als Premieren-Zuhörerin. Dem restlichen Publikum dürfte es der Jubelstimmung nach genauso gefallen haben. Noch bevor sich die eingefleischten Woodstocker über den Auftritt von HMBC ( bekannt durch ihren Hit "Von Mellau bis nach Schoppernau") wundern und jammern, dass die Künste von Liedsänger Philipp Lingg fehlen, trete ich die kurze Heimreise an. Aber versprochen, ich komm’ wieder.
Material für eine Weltreise
Am nächsten Tag mache ich mich mit Zelt, Gymnastikmatte, Schlafsack, Decke, Campingsessel, Jause und in Lederhose auf nach Ort. Ich komme mir vor, als würde ich auf Weltreise gehen. Und doch ist es nur Material für das erste Mal Campen am Woodstock. Nur was für Hartgesottene wurde im Vorfeld öfter erwähnt. Eine Gruppe mit Musikern aus Lambrechten, Geiersberg und Taiskirchen nimmt mich in ihr Zeltdorf auf, das rund um einen Plastikpavillon aufgebaut ist.
Stunden später lauschen wir gemeinsam den Liedern von Haindling. Den kritischen Blicken zufolge können nicht alle etwas mit der Musik anfangen. Der Frontmann – ein Blasmusiker in Hose mit Blumenmuster und weißen Sneakers – ist doch etwas skurril. Aber das Publikum taut mit jedem der eingängigen Lieder mehr auf und lässt sich zum Massen-Schunkeln hinreißen. Die Strophe "Stille ist mein letzter Wille" trifft dann den Nerv vieler. Applaus und Zurufe gibt’s als Dank.
Ehe bei Max the Sax aus Geboltskirchen und dem "Hot Pants Road Club" die Schar vor der Bühne komplett ausflippt, genehmigen sich einige Ermüdete ein Nickerchen, gut gebettet auf den Hackschnitzeln, die sich in den darauffolgenden Tagen als essentiell für die Veranstalter erweisen sollten. Nachtruhe ist auf der Arcowiese während des viertägigen Blasmusikfestivals nicht zu finden. Nur Wachskügelchen in den Ohren können etwas von den manchmal sehr falschen Tönen der Zeltstadtmusikanten ablenken und zum ersehnten Schlaf helfen.
Die kurze Nacht wird von einem verregneten Morgen beendet. Frisur und Stimmung halten trotzdem. Und so machen sich die Woodstocker kurz nach Mittag in Scharen auf zur Bühne. Angereiste Kapellen führen vereinzelt Showformationen auf, Stabführer gehen mit selbst gebastelter Schärpe und dirigieren mit einem Ast ihre Mannschaften. Heute geben nicht die Stars den Ton an, sondern das Publikum. Das Gesamtspiel, bei dem fünf Märsche von etwa 5000 Musikern angestimmt werden, erweist sich später für viele als Höhepunkt des Festivals. Auch für mich, die Nicht-Musikantin.
Sturm fegte Gelände leer
Noch bevor die Schlusstöne verhallen, schickt der Wettergott seine bereits vorangekündigten Grüße von oben. Innerhalb von Minuten ist der Platz leergefegt, alle eilen zu ihren Schlafplätzen, um zu sichern, was nicht niet- und nagelfest ist. Wer, wie ich, zu lange abgewartet hat, sucht verzweifelt nach einem Unterschlupf. In diesem Fall können auch der verkleidete Pfarrer und die Sternsinger-Mädchen mit ihrer frohen Botschaft nicht mehr weiterhelfen.
Nach gefühlten Stunden: kollektives Aufatmen und Aufräumen im knöcheltiefen Gatsch, Hackschnitzel drüber. Nur vereinzelt wird die Rückreise angetreten. Wer ein trockenes Zelt hat, bleibt. Rein in Gummistiefel, Dirndlgewand oder Bären-Kostüm und weiter geht das Musikfest. Sogar der Kaiser aus Bayern, ein glühender Woodstock-Fan der ersten Stunde, lässt sich die gute Laune nicht verhageln und zieht mit seinen Untertanen am Samstagabend auf das präparierte Gelände vor der Bühne.
Der Spruch, dass Regen Segen bringt, ist beim gefühlten einhundertsten Regenschauer verpönt. Nach Moop Mama und ihrem Lied "Liebe" war erneut Schluss. Übrig blieb am Sonntagmorgen ein Bild der Verwüstung. Die übermüdete, verschwitzte und vom Schlamm überzogene Masse will heim. Jene, die auch am vierten Tag von der absolut nicht faden Blasmusik noch nicht genug haben, zieht es noch einmal zurück auf den mit Hackgut präparierten Schlammboden, zu MaChlast und Ladislav Kubes. Frei nach dem Motto: Die Stille ist hier am Woodstock der letzte Wille.
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Super Artikel Valentina! =)
War wie jedes Jahr super
sehr guad, jetz ham de bauern a ihr eigenes festival