Nahost-Expertin: "Eine Zuwanderung ins Sozialsystem"

Von Dieter Seitl   10.Februar 2016

Ohne beschönigende Worte zeichnete Nahost-Expertin Karin Kneissl ein Bild über die Lage in der Region, den Zustrom an Flüchtlingen und dessen Folgen für das heimische Sozialgefüge – im Rahmen eines Vortrags im Rieder Stadtsaal, der bis auf den letzten Platz gefüllt war.

Der syrische Mittelstand, der mit den dortigen Verhältnissen unzufrieden war, sei vor Jahren längst ausgewandert. Nun komme in der Hauptsache einfache Landbevölkerung, gepaart mit Folgen für den Arbeitsmarkt. Jobs, die diesen Voraussetzungen entsprechen, gebe es bei uns praktisch nicht mehr. Unter dem Strich handle es sich um eine Zuwanderung ins Sozialsystem, so Kneissl am Rande des Vortrags. "Faktum ist, es wird für unseren Arbeitsmarkt schwierig werden." Zudem gebe es auch in den höheren Segmenten große Unterschiede. "Ein Hochschulabschluss an der Technischen Uni Damaskus ist nicht vergleichbar mit einem Abschluss an der Technischen Uni Wien."

Kinder werden vorgeschickt

Bislang kamen überwiegend junge Männer zu uns. Nun versuche man verstärkt, Kinder im Alter zwischen acht und zwölf Jahren alleine vorauszuschicken. Zumal sich die Kunde von Plänen für verschärften Familiennachzug verbreite und man sich so bessere Chancen ausrechne.

In den Herkunftsländern gebe es einen massiven Bevölkerungsdruck, bei der jungen Bevölkerung. "Viele der jungen Männer, die jetzt hier sind, sind keine Flüchtlinge im direkten Sinn." Der Zustrom an jungen Männern drohe massive Auswirkungen auf die demografische Entwicklung in den Zielländern zu haben, so Kneissl beim Vortrag in Ried.

Gewöhnlich gebe es bei den Geburten und in weiterer Folge einen ganz leichten Überhang an Buben. In Schweden betrage das Verhältnis im Segment der 16- bis 18-Jährigen bereits 125 (Burschen) zu 100 (Mädchen). Das bringe die Demografie durcheinander, mit allen verbundenen Folgen. Für die Gesellschaft werde das äußerst schwer zu verkraften sein. Das demografische Problem werde aus den Herkunftsländern nach Europa exportiert. Eine Rücknahme werde sich mangels Bereitschaft der Herkunftsländer schwierig gestalten. Ankündigungen an die Bevölkerung dürften eher eine Art von Placebo sein, so Kneissl. Bei den früheren Abwanderungstendenzen dominierte der Wunsch, aus dem repressiven System weg zu gelangen, Europäer zu werden.

Nun komme die Religion mit. In den Herkunftsländern entwickle sich ein geistiger Paradigmenwechsel weg vom Nationalstaat hin zur Religion. "Religiöse Gesetze werden wichtiger als staatliche Gesetze." In Frankreich sei die Islamisierung bereits ein massives Problem. "Dort gibt es Viertel, in denen Frauen nicht mehr im Rock auftreten – ein ungeschriebenes Gesetz. Es handelt sich um die teilweise Auflösung der republikanischen Strukturen. Was in Frankreich stattfand, kam in der Vergangenheit mit Zeitverzögerung auch bei uns an", so Kneissl.

Bei uns seien die Afghanen derzeit die größte Gruppe. Wie man diese wieder "wegbringen" kann, wisse sie nicht, so Kneissl. Wer einen Abschiebebescheid erhalte, werde vermutlich untertauchen. Die Türkei sei derzeit die Drehscheibe für die Migration auch aus afrikanischen Staaten. "Die Türkei müsste die Billigflüge aus Nordafrika ins Land einstellen und Visapflicht einführen." Wenig Verständnis habe sie vor einem Kniefall der EU vor dem türkischen Präsidenten Erdogan, so Kneissl. "Eigentlich müssten die Leute dagegen auf die Straße gehen."

Arabisten an Grenze holen?

Auf die Frage eines Zuhörers, wie an Österreichs Grenzen zu verfahren sei, sagte Kneissl in Ried: "Ich würde alle verfügbaren Arabisten auf Werkvertragsbasis holen, um direkt an der Grenze die Sprache und somit die tatsächliche Herkunft abzuklären." Die Stimmung in der Bevölkerung sei gekippt – bei den von der Politik angekündigten Maßnahmen sei aber zu befürchten, dass es sich vorerst um Ankündigungspolitik handle.

Zum Abschluss ihres Vortrags in Ried appellierte Kneissl: "Das Gewaltmonopol des Staates muss wieder zurückerobert werden, für Polizei und Bundesheer. Hinter Polizei und Bundesheer stehen!" Ein Appell, der in Ried mit großem Applaus bedacht wurde.

 

Wachsende Gefahr durch IS-Rückkehrer, so Expertin

In Bezug auf den Islamischen Staat, der in Syrien wütet, rechne man mit 12.000 IS-Kämpfern, die aus dem EU-Raum kommen, so Nahost-Expertin Karin Kneissl bei einem Vortrag in Ried. Bei der ersten Gruppe der IS-Rückkehrer habe man es mit psychosozialer Betreuung und Justiz versucht. Bei der zweiten Gruppe gehe es bereits um Anschläge, die trotz der Anschläge in Paris in Summe eher mäßig erfolgreich vorbereitet und im Vorfeld vereitelt wurden. „Ich habe die Befürchtung, dass die nächste Gruppe der IS-Rückkehrer professioneller sein wird“, so Kneissl.