Junger alter Knabe
Ich muss erst einmal meine Schreibhemmung überwinden, denn ich habe mir eines fest vorgenommen: So alt ich eventuell auch einmal werde, nie werde ich einstimmen in den Chor der Dauersuderanten, die verkünden, dass früher alles besser war: das Fernsehprogramm, das Krusterl vom Schweinsbraten und das Benehmen der Jugend sowieso.
Denn diese frühere Jugend, die von vorgestern, das waren ja wir selbst! Und wir waren sowieso die Besseren.
Nun gibt es aber zwei Anlassfälle, die mein Vorhaben ins Wanken bringen. Der erste Fall sind die Linzer Donaubrücken. Als es mich aus dem Innviertel nach Linz verschlagen hat, also vor 40 Jahren, gab es hier drei Donaubrücken, und die Zeitungen schrieben damals, dass Linz dringend eine vierte braucht. Derzeit haben die Linzer zwei, ab Jänner eher eineinhalb Donaubrücken. Wenn da einer sagt, dass es früher brückenmäßig in Linz besser war, ist das schwer zu widerlegen!
Aber mein Hauptproblem ist derzeit die Höflichkeit der Jugend. Wir waren ja angeblich die ungezogenen Achtundsechziger mit den Beatles-Frisuren. Aber dass man in öffentlichen Verkehrsmitteln alten Menschen den eigenen Sitzplatz anbietet, diese Benimmregel haben wir jungen Innviertler noch gelernt und widerstandslos in der Lebenspraxis umgesetzt, denn sozial wollten wir schon sein. Damals war "sozial" nämlich auch "fortschrittlich".
In Oberösterreich benutze ich ja selten die Öffis, aber in den Wiener U-Bahnen sitzen die Jugendlichen aller Nationalitäten in gemütlicher Weltvergessenheit auf den Plätzen und starren hingebungsvoll auf ihre Handys. Dass da neben ihnen ein älterer, obendrein übergewichtiger Herr jenseits der Sechzig auf seinem Stehplatz hin- und hergeschleudert wird, geht ihnen an dem Körperteil vorbei, auf dem sie gerade sitzen. Gehört sich das?!
Aber ich will nicht sudern, sondern mein Stehplatzdasein positiv interpretieren. Wahrscheinlich schaue ich so jung aus, dass sie mich für einen Gleichaltrigen halten oder sagen wir: für fast gleichaltrig. Maturant mit zwei Wiederholungsjahren.