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Herbstgesichter, Altweibersommer und Nebelfetzen

Von Martin Dunst, 20. Oktober 2012, 00:04 Uhr
Herbstgesichter Altweibersommer und Nebelfetzen
Der Herbst als Zeitpunkt für eine Standortbestimmung: Was habe ich gemacht, was will ich noch machen und vielleicht verändern? Beim Abstieg gewinnen langsam Wolken und Nebelfetzen die Oberhand über das Sonnenlicht. Bild: Dunst

Es geht ums Wahrnehmen, Innehalten und vor allem ums Zuhören. Eine Annäherung an den Herbst und an das Leben mit Märchenerzähler Helmut Wittmann.

Ein schmaler Pfad durch den Wald führt entlang des Grünau-Bachs zum Haus von Helmut Wittmann. Der Märchenerzähler wohnt so, wie es sich für seinen Berufsstand geziemt: abgeschieden, mitten in der Natur in einem gemütlichen Knusperhäuschen.

Wittmanns Markenzeichen ist ein braun-grüner Filzhut. Die Kopfbedeckung ist farblich abgestimmt mit dem Ausflugsziel der herbstlichen Märchenwanderung – einem der Hausberge der Grünauer, dem 900 Meter hohen Zuckerhut, von Einheimischen „Helong“ genannt.

Von dunkelgrün, safrangelb bis feuerrot reicht die Farbpalette des Zucker- und des Filzhuts, die das Herbstkleid tragen und im Sonnenlicht leuchten.

Ein Altweiber-Sommertag wie aus dem Bilderbuch. Die Luft ist klar, riecht nach feuchten Blättern, warmer Erde und erinnert noch leise an vergangene Sommertage. Sonnenstrahlen kitzeln die Blätter, die noch frischen grünen in den Baumkronen tanzen im Wind, das Laub unter den Füßen raschelt und knistert. Inmitten dieses Naturschauspiels spricht Wittmann mit wohltönender Erzählstimme und in oberösterreichischer Mundart von Leben, Tod, Glück und Herbst.

„In Herbst eini is natürli scho a bissl a Wehmuat dabei, weu langsam di Tag wieder a bissl kiazer werdn. Aber andrerseits gibt’s a des kloare Herbstliacht, diese Fülle von allem, die im Herbst – grod am Anfang – da is, der Gruch, die Fernsicht am Berg, a die feichte Luft, wann so die Nöbln ziang – für mei Stimm is des a Jungbrunnen.“

„I erinner mi ans letzte Joa, da san ma mitm Weltenwanderer Gregor Sieböck zu Allerheiligen a da aufi aufn Helong gaunga. Da woar a richtige Nöbl-Stimmung – aber woaßt wia angenehm. Du nimmst auf amoi ois ganz anders woar durch die Nöbl. Des kann ma natürli negativ seng: Um Himmelswilln, überall kriacht di feuchte Kältn eini! Intelligenter is, denk i ma, wann ma des würdigt, was halt grad da is. Diese Frische, dieses Wundersame, des Zauberhafte was’d hast im Nöbl.“

Viele Menschen jubeln über einen goldenen Herbst, können Nebelschwaden nichts Zauberhaftes abgewinnen – sie werden schwermütig und traurig, wenn sie in der dicken Nebelsuppe schwimmen.

„Natürlich geht’s ma a monchmal so, wanns richtig zua is, wannst so leicht depressive Anklänge host – dann frag i mi laut: „Na, wia geht’s da denn heit“? Es is wichtig, dass ma die eigenen Schattnseitn kenna lernt, di Seitn ghearn a wesentlich zum Lebn dazua. Wann, banal gsogt, immer nur di Sunn obalacht vom Himml, dann würd ma des ja nimma schätzen.“

 

Licht und Schatten – Sonne und Nebel – regen die vielen Gesichter des Herbstes dazu an, sich Gedanken zu machen, bewusst nach hinten und nach vorne zu schauen?

„Ma muaß des ja im gonzn Umfeld seng. Im Herbst san automatisch di Anläss und di Feste, wo si di Leit Gedanken übers Leben machen. Mit Allerheiligen, dem Totengedenken, des is oafach a Thema. A in da Natur is des zu derer Zeit a Thema. I find’s wichtig, a für sich söba, zu sogn, wia is da Stand der Dinge und hin und wieder a amoi zruckschaun. Da Tod is für mi a unheimlich wichtiger Ratgeber, der is des Maß aller Dinge.“

Was könnten wir vom Tod denn lernen?

„Mir hot des di Kroft gebn zum Märchenvazöhn, i war damals übern Dam 25 Joa oid und hob mi gfrogt, wann i wissat, i ligat morgn am Sterbebett: wia schauats dann aus, was wollt i nu machn, wia is die Bilanz, was würd i ändern?

Würd i sehr vü ändern, dann stimmat sehr vü net, und du woaßt as ja net, es kann sei, wir gengan da viari und zack bumms – aus und vorbei!

Mei Muatta is im 86. Lebensjoa gstorbn und i woar bei ihr Gott sei Dank, und wir ham so gredt über dies und dos und sie hat gsogt: Woaßt, hot’s gsagt, Bua, des Lebn geht so schnö vorbei. Sie hat net ghadert, aber wann dir a Mensch im 86. so was sogt – dann denk i ma, muaß ma si scho frogn: Was fang i mit meiner Zeit an?“

Spielwiese für Trolle

Indian Summer in Grünau. Wittmann – ein Freund der Berge – gibt ein ordentliches Tempo vor, „das ist die Tiefenatmung, die ich brauche“, sagt er und lacht. Doch es bleibt auch Zeit zum Verweilen, eine kugelrunde gelbe Spinne bei ihrem Verdauungsschlaf zu beobachten, einmal richtig durchzuschnaufen, auf der Irreralm eine einzelne Trollblume zu entdecken. Im Märchen wäre diese Umgebung wohl der ideale Spielplatz für Trolle, Feen und allerlei Fabelwesen. Ist in unserer schnellen, technokratischen Welt noch Platz für Sagen, Mystik und Ungewissheit?

„Grad heitzutog, wo a jeder wahnsinnig vü mit Maschinen zum tuan hot, is do entscheidend, den Kopf wieda frei zkriagn. In Märchen steckt vü Wahrheit drinnen, wenn ma des net gspiart, is gscheider, ma vazöhlt sie glei goar net. Es gibt aber a des genaue Gegenteil. Gschichtn, die so verruckt san, weil sie des rationale Denkn vollkommen aushebeln. Brachial gsogt, des putzt oan die Festplottn. Des is a Punkt, wo i ansetz mit de Märchen. Damit mechat i di Leit helfn, aus alltägliche Denkmuster aussa zum kema. D’Leit solln in Kopf frei kriagn, und anregende geistige Nahrung zum Küfln kriagn. Wann ma des a so siacht, hat ma viel zum Tuan in unserer Zeit.

Denkmuster sind wichtig, um den Alltag zu bewältigen, um Schritt halten zu können. Dennoch stecken viele Menschen im Hamsterrad fest, können kaum noch einen klaren Gedanken fassen, fühlen sich häufig überfordert.

„Des is meines Erachtens wirkli a große Gfahr auf de ma acht’n muaß, und net wirkli schlau, waunn ma des zualasst. Wovon lebt denn die Wirtschaft in Mitteleuropa? Von Ideen! Noch vor 13, 14 Johr woar „Apple“ am Abhausen. Da is der Steve Jobs zruckkemma, menschlich zwoar a Ungustl, glaubt ma die Beschreibungen, und hat so Sochn wie a iPhone in’d Wölt gsetzt. Hätt oaner vor 15 Johr gsogt, es gabat amoi sowas wia a iPhone oder a iPad, hättn alle gsogt, du bist a Spinner.

Und Apple ist heut wötweit des Unternehmen mit dem wertvollsten Markennamen. Ohne Idee kannst tuan wos’d wüllst, da is ois nur Beschäftigungstherapie. I siachs ja a bei mir, du wiarst mit Mail und durch des gonze Zeugs zuagschütt. I sog ma oft: Helmut, bist deppert, jetzt sitzt oiwei nu im Büro – außi mit dir. I kann im Büro drei Stund werkeln, wenn i da am Berg nur a guade Idee hob und a umsetz, is des 10 Mal, na, 30 Mal mehr wert.

I glaub, für a glücklichs Lebn is wichtig, dass du di von dem Radl net unterbuttern lasst. Es gibt da an wunderschen Spruch von Eugen Roth: Manch einer sagt und ist stolz darauf, er geht in seiner Arbeit auf, doch bald schon nicht mehr ganz so munter, geht er in seiner Arbeit unter.

Nach atemraubenden letzten 100 Metern Anstieg ist der Zuckerhut erklommen, der Blick ins Tal atemberaubend. In seinen Rucksack hat der Märchenerzähler genau das Richtige für diesen Augenblick gepackt – ein Gipfelbier. Zum Wohl! Nach einer Ode an die Freude und den schönen Herbsttag auf der Maultrommel geht es Richtung Tal.

„Es gibt a Gschicht“, sagt Wittmann, „wo oaner sogt, i versteh oans net: Die andern seng so viel schens im Leben und i schau mi um und denk ma, die Wöd is furchtbar. Sei Gegenüber sogt, schau, du kannst nur des seng, was in dir is und wann dei Lebn innerlich reich is, wirst a rundherum die Schönheit und den inneren Reichtum seng.“

Man bekommt gegenwärtig oft den Eindruck, als ob viele Menschen weder die Kraftquelle Natur noch den inneren Reichtum anzapfen könnten.

„Man derf net vergessn, so absurd des klingt, wann’s a Märchenerzähler vazöhlt: I glaub, mir lebn oafach in aner durchaus verwunschenen Welt. Der Punkt is: Du wirst ständig mit Botschaften berieselt, um glücklich zum sei, brauchst des, brauchst des, brauchst des. Bei manche fangt des scho in da Kindheit an. Da Vater nia Zeit, rackert unentwegt, d’Mutter vielleicht a. S’Kind kriagt als Ausgleich immer nur Materielles. Materielles wird mit Glück gleichgesetzt, was aber a schwarer Irrtum is. Und des hoaßt ober, der lernt des scho so, der wird später a so lebn. Des merkt ober jeder Mensch, ganz gleich wia er geprägt is, dass er mit dem net glücklich wird, dann entsteht a Suchtverhalten, der hat des Gfüh, es is halt imma nur zweng. Damit entsteht des Hamsterradl aus unerfüllter Befriedigung.“

Ist der Weg zu mehr Glück im Leben vielleicht in den alten Sagen, Geschichten und Märchen verborgen?

„I für mein Teil kann sogn, dass überwiegend scho a tiaferer Sinn in die Gschichtn drinnen steckt, es is aber a immer a Frage von Resonanz.

I denk ma des oft, wann du a Gschicht vazöhlst – je tiefer du in die Gschicht eintauchn kannst, desto tiefer kann a a Zuhörer eintauchn. Gleichzeitig redst du ja oft mit Leit, und wie du redst, werdn da wieder Sochn kloar. Es is weder so, dass in die Gschichtn unter Anführungzeichn der Stein der Weisen drinnen warat, nu hob i di Weisheit mitm Löffl gfressn. Sondern des is was, was so a Wechselwirkung is: Ma entdeckt wos, oder ma redt mit wem, und do kimmt ma oft auf neiche Sochn, die wieder neiche Türn zu an tiefan Verständnis aufmochn, und diese Türn gengan a wieder für die Zuhörer und Zuhörerinnen auf.“

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