"Sorgen sollen aufrütteln und zum Handeln führen"

Von Valentina Dirmaier   31.Dezember 2016

2016 war geprägt von Terroranschlägen, von Schreckensmeldungen, von tragischen Ereignissen. Vielen von uns gehen die Bilder der Attentate nicht aus dem Kopf. Das verunsichert, macht Angst. Wie sollen wir damit umgehen? Der Linzer Psychologe und Psychotherapeut Hans Morschitzky gibt dazu Antworten.

 

OÖN: Herr Morschitzky, heute ist Jahreswechsel. Müssen wir uns nach den vielen erschütternden Ereignissen im heurigen Jahr vor 2017 fürchten?

Jahrelange Umfragen belegen, dass die Menschen zu Jahresbeginn eher das Negative fürchten, als das Positive erhoffen. Aber wir können nicht wissen, was die Zukunft bringt. Wir können uns nur grundsätzlich entscheiden, ob wir zuversichtlich-optimistisch oder kritisch-pessimistisch auf 2017 vorausblicken.

Zuversichtlich sein fällt vielen Menschen in Anbetracht der Schreckensmeldungen der vergangenen Monate schwer.

Ja, kurzfristig sind die Menschen blockiert. Aber je mehr wir uns vor möglichen Anschlägen fürchten, desto mehr spielen wir Terroristen in die Karten. Besser ist es zu sagen: Es gibt ein gewisses Restrisiko. Wenn wir alles vermeiden, dann brauchen wir nicht mehr außer Haus gehen und verlieren die Lebensfreude.

Es ist unwahrscheinlicher bei einem Anschlag ums Leben zu kommen, als bei einem Autounfall getötet zu werden. Warum fürchten wir uns weniger davor, ins Auto zu steigen, als vor Terrormeldungen und den Folgen eines möglichen Anschlags?

Weil wir uns an viele Risiken, etwa dass wir bei einer Autofahrt sterben können, gewöhnt haben. Ein Vergleich: Leute in Paris haben weniger Angst als unsereiner. Die Leute dort haben sich an ihre Situation gewöhnt. Aber das Ungewöhnliche, das Neue macht uns Angst. Auch wenn es selten ist.

Haben Sie den Eindruck, dass die Menschen heute mehr Angst haben als noch vor 50 Jahren?

Die Wissenschaft geht davon aus, dass Angst und Angststörungen gestiegen sind. So merkwürdig das klingt, denn es gab noch nie so wenig kriegerische Auseinandersetzungen wie jetzt. Trotzdem fürchten wir uns, haben Angst.

Ganz allgemein gefragt, wovor fürchten wir uns?

Jeder, der einen gewissen sozialen Standard hat, hat Angst, diesen zu verlieren. Am meisten machen wir uns Sorgen über Situationen und Ereignisse, die wir nicht kontrollieren können. Das ist in Zeiten wie diesen normal. Sorgen sollen zum Handeln führen und den Einzelnen und die Gesellschaft aufrütteln, alles zu unternehmen, um mögliches Unheil abzuwenden.

Was macht das mit uns und mit der Gesellschaft, wenn wir uns ängstigen und sorgen?

Wenn du dich immer mit unlösbaren Sachen beschäftigst, machst du dich halb verrückt. Es ist destruktiv, wenn sich die Leute gegenseitig mit Ängsten anstecken. Man sollte sich mit dem beschäftigen, was man machen kann.

Und was können wir machen?

Jeder sollte sich im Leben konkrete Ziele setzen und sich zum Jahreswechsel fragen: Was möchte ich im neuen Jahr erreichen? Als Einzelner und in einer Gruppe.

Also sollten wir uns mehr auf uns konzentrieren und Terror und Anschläge ausblenden?

Wenn ich ständig alles ausblende, was mich verschreckt, ist das ein Vermeidungsverhalten. Es ist daher besser wahrzunehmen, was in der Welt passiert. Aber ich muss akzeptieren, dass ich nur Einfluss in meinem Bereich habe. Es hilft niemandem, wenn ich theatralisch auf Vorfälle in Berlin reagiere. Weder den Angehörigen noch mir selbst. Es ist traurig, was alles passiert, aber trotzdem darf ich mich auf die Neujahrsfeier freuen.

Stichwort Silvester. Mit welchen Gedanken werden Sie heute das alte Jahr verabschieden und 2017 beginnen?

Angstbefreit. Auch wenn ich im kommenden Jahr 65 Jahre alt werde und an Diabetes Typ 2 erkrankt bin und mich deswegen verrückt machen könnte. Aber stattdessen werde ich daran denken, dass ich im neuen Jahr wieder die Chance habe, viel Neues zu erleben.