Sankt Wolfgang: Eine Chronologie des Wegschauens

Von Markus Staudinger und Philipp Hirsch   10.Jänner 2018

Es sind klare Worte, die der Landesrechnungshof (LRH) in seinem Prüfbericht zu St. Wolfgang und der Rolle des Landes Oberösterreich findet. "Die Gemeinde galt in Prüferkreisen seit vielen Jahren als Problemfall." Der Bericht inklusive der Stellungnahmen der betroffenen Stellen erscheint am Freitag. Die OÖN haben den vertraulichen Rohbericht der Prüfer vorab zur Gänze gelesen.

Obwohl die "Prüfungshäufigkeit in St. Wolfgang überdurchschnittlich hoch war", wie der LRH feststellt, dauerte es bis 2015, bis Maßnahmen griffen. Aus dem Rohbericht ergibt sich eine Chronologie des Wegschauens:


1999 – eine erste Warnung: Eine Gebarungsprüfung durch die Bezirkshauptmannschaft (BH) Gmunden stellt fest, dass Gemeindebeiträge zu verjähren drohten, Finanzierungsgenehmigungen nicht eingeholt würden, der Prüfungsausschuss der Gemeinde kaum tage und der Amtsleiter zeitweise überlastet sei. (Der Beamte wird dennoch bis 2015 im Amt bleiben, Anm. d. Red.)

2000–2002 – wiederholte Kritik: In der jährlichen Prüfung des Rechnungsabschlusses durch die BH Gmunden wiederholen sich diese Kritikpunkte.

2003 – der erste LRH-Bericht: Aufgrund dieser Berichte beauftragt der für die Gemeindeaufsicht zuständige Landesrat Josef Ackerl (SP) den Landesrechnungshof mit einem Gutachten. Die Kritikpunkte werden darin bestätigt. Die Gemeindeverwaltung sei personell unterbesetzt, es gebe Mängel in Verwaltung, Personalführung und Finanzierungsfragen. St. Wolfgang sagt zu, die Kritikpunkte aufzuarbeiten.

2004 – ein Zwischenerfolg: Die Direktion "Inneres und Kommunales" des Landes (IKD) bestätigt dass St. Wolfgang den Empfehlungen des LRH "weitgehend nachkommt".

2007 – wieder grobe Mängel: Die BH Gmunden kritisiert erneut etliche Punkte – unter anderem den "äußerst großzügigen Umgang mit öffentlichen Geldern" und die mangelhafte Einhebung von Gemeindebeiträgen.

Der Bürgermeister von St. Wolfgang, Johannes Peinsteiner, wird im Mai 2007 zum VP-Bezirksparteiobmann in Gmunden gewählt. 2008 zieht er als VP-Mandatar in den Bundesrat ein.

2009 – BH Gmunden drängt: Eine Gebarungsprüfung der BH zeigt Mängel in "Gesamtorganisation, Finanzierung, Gebührenvorschreibungen" auf. Die BH Gmunden und die IKD drängen bei der Gemeinde auf Gegenmaßnahmen.

Bürgermeister Peinsteiner wird als VP-Mandatar in den Landtag gewählt.

2010 – die Lage spitzt sich zu: IKD und BH Gmunden verschärfen ihre Kontrollmaßnahmen, ein Gemeinderatsmandatar reicht Aufsichtsbeschwerde ein. Die IKD berichtet regelmäßig an die Gemeindelandesräte Max Hiegelsberger (Finanzierung, VP) und Josef Ackerl (Aufsicht, SP).

Ackerl schreibt an Landeshauptmann Josef Pühringer (VP), dass St. Wolfgang die Gemeindeordnung und die Gemeindeprüfordnung missachte, und ersucht um Unterstützung. Bürgermeister Peinsteiner ignoriere als Landtagsabgeordneter "Rechtsvorschriften jenes gesetzgebenden Organs, dessen Mitglied er ist", beschwert sich Ackerl.

2011/12 – eine Gemeinde stellt sich stur: Trotz mehrerer Urgenzen setzt St. Wolfgang die von den Aufsichtsorganen eingeforderten Maßnahmen nicht um – unter anderem geht es um die Einhebung ausständiger Gemeindebeiträge.

2013 – ein Auszahlungsstopp... St. Wolfgang hat die eingeforderten Maßnahmen immer noch nicht umgesetzt. Die IKD setzt eine Auszahlungssperre für zugesagte Landesmittel für die Sanierung der Volkssschule fest.

... der ignoriert wird: Diese Auszahlungssperre wird von den Gemeindelandesräten Hiegelsberger und Ackerl im März 2013 schriftlich zur Kenntnis genommen. Im April 2013 lässt Hiegelsberger die Landesmittel für Schulsanierung in Höhe von 430.000 Euro dennoch auszahlen. "Aus den vorliegenden Akten ist kein Grund ersichtlich, der die Auszahlung erklären würde", kritisiert der LRH. Im Oktober startet die IKD neuerlich eine intensive Prüfung in St. Wolfgang.

2014 – Verzögerungen: Der IKD-Bericht ist Mitte des Jahres fertig. Mittlerweile ist SP-Landesrat Reinhold Entholzer als Nachfolger von Josef Ackerl für die Gemeindeaufsicht zuständig. Entholzer gibt den brisanten und für St. Wolfgang desaströsen Prüfbericht erst im Dezember frei. Der LRH kritisiert die "ungewöhnlich lange Dauer der Prüfung" sowie die monatelange Verzögerung in Entholzers Büro.

2015 – die Dinge kommen ins Rollen: Im Februar wird der Bericht mit Vertretern der Marktgemeinde besprochen, im März geht der langjährige Amtsleiter in Pension. Unter seiner Nachfolgerin wird die Aufarbeitung "aktiv angegangen", wie der LRH lobend feststellt. Im Mai muss Bürgermeister Peinsteiner eine Kurzfassung des Berichts im Gemeinderat präsentieren. Die Kritikpunkte werden öffentlich, Peinsteiner tritt zurück. Sein Nachfolger Franz Eisl (VP) beginnt die Aufräumarbeiten.

2016 – der Bauskandal wird öffentlich: Die Gemeinde informiert im Februar darüber, dass mehr als 900 Bauverfahren offen sind. Im April erstattet das Land Disziplinaranzeige gegen den ehemaligen Amtsleiter und einen Sachbearbeiter. Der LRH kritisiert, dass das nicht schon früher geschehen sei.

Der Auslöser der vertieften Prüfungen und die Ermittlungen der Justiz

 

Bereits zum zweiten Mal binnen zweier Jahre widmet sich der Landesrechnungshof (LRH) der Marktgemeinde St. Wolfgang.

Grund für die intensive Beschäftigung mit dem Tourismusort ist der Bauskandal, über den OÖN und Ischler Woche im Frühjahr 2016 als Erste berichteten hatten. Unter Peinsteiners Amtszeit waren mehr als 900 Bauverfahren liegen geblieben.

Zunächst untersuchte der LRH den Bauskandal. „Wir stießen auf Mängel, die wir in dieser Form und Fülle selten finden“, sagte LRH-Direktor Friedrich Pammer bei der Präsentation vor einem Jahr.

Das warf die Frage auf: Warum hat das Land als Aufsichtsbehörde nicht früher Maßnahmen ergriffen? Das prüfte der LRH jetzt in jenem Bericht, der am Freitag veröffentlicht werden soll.

Demnach waren grobe Verwaltungs-Missstände in der Gemeinde seit 1999 bekannt, bis wirkungsvolle Maßnahmen des Landes griffen, dauerte es aber bis 2015, wie der Rechnungshof kritisiert. Keine Hinweise gibt es allerdings darauf, dass das enorme Ausmaß des Bauskandals bereits vor 2015 bekannt war. Der Fall St. Wolfgang warf auch die Frage auf, ob Prüfberichte des Landes vor der Veröffentlichung geschönt wurden, wie ein ehemaliger Prüfer behauptete.

Vorhabensbericht ist fertig

Auch dieser Frage ging der Rechnungshof nach - mit dem Ergebnis, dass eine Überarbeitung natürlich sinnvoll sei, manche Streichungen aber „nicht nachvollziehbar“ seien. Das betrifft nicht nur Prüfberichte von St. Wolfgang, sondern auch Prüfberichte anderer Gemeinden (darunter Freistadt und Kefermarkt - die OÖN berichteten).

In der Causa St. Wolfgang ermittelte auch die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft in Wien wegen des Verdachts auf Amtsmissbrauch. Die Staatsanwälte in Wien haben ihre Arbeit abgeschlossen. „Ein Vorhabensbericht wurde bereits an die Oberstaatsanwaltschaft Linz geschickt“, sagt eine Sprecherin. Noch im Laufe dieser Woche könnte eine Entscheidung fallen, ob es zu Anklagen kommt.