Keine Angst vor Mathematik: Leicht lässt sich deren Faszination entdecken
Albrecht Beutelspacher und sein "Mathematikum" stoßen neue Türen im Kopf auf. Einige Exponate sind derzeit im Welser Welios zu sehen.
Er ist Professor für Mathematik an der Justus-Liebig-Universität in Gießen und Gründer sowie Direktor des dortigen Mitmachmuseums "Mathematikum". Albrecht Beutelspacher hat sein Leben der Vermittlung von Mathematik verschrieben. Einige Exponate des "Mathematikums" sind derzeit im Welser Welios zu sehen.
Wie kommt es, dass sich die meisten Menschen an Mathematik bloß als Horrorfach erinnern?
Beutelspacher: Das kommt vom traditionellen Schulunterricht, der sehr stark auf Verfahren ausgerichtet ist. Man muss gut rechnen können, multiplizieren, dividieren, prozent- und bruchrechnen sowie Kurvendiskussionen aus dem Effeff beherrschen. Man muss funktionieren wie eine Maschine, die nicht weiß, was sie tut. So gewinnt man aber keine innere Beziehung zum Fach. Nur die wenigen Glücklichen, die sowieso gut in Mathe sind, finden Freude daran.
Obwohl das ganze Leben von Mathematik durchdrungen ist. Wie kann die Faszination dafür geweckt werden?
Wir verwenden dafür die Methode der Experimente, also Stationen, an denen man selber mathematische Erfahrungen machen kann. Das sind ganz niedrigschwellige Zugänge, etwa Knobelspiele, Spiegelexperimente, Seifenhautexperimente, Spiele zum Brückenbauen etc. Die haben alle irgendwo einen kleinen Haken, weshalb die Lösung nicht so klappt, wie man sich das vorstellt – und dann begint das Gehirn zu arbeiten. Wir denken nach, stellen Hypothesen auf, wir probieren etwas aus. Plötzlich macht es klick und wir wissen, wie die Sache funktioniert.
Knackpunkt Aha-Erlebnis?
Ja, das macht uns Freude, da werden Endorphine ausgeschüttet.
Es gab im Schulwesen schon bessere Tage für begreifbare Mathematik. Warum ist das vorbei?
Nach dem PISA-Schock, in dessen Folge sich der Mathematikunterreich geöffnet hat und neue Ideen geboren wurden, erleben wir heute wieder eine Tendenz zum Lernen für die Klassenarbeit (Schularbeit, Anm.), für den Vergleichstest, für das Abitur (Matura, Anm.). Das bestimmt den Lehrplan und ist ein Teufelskreis. Wenn ich gut für die Klassenarbeit lerne, bin ich als Schüler zufrieden, meine Eltern, der Lehrer, der Direktor und der Kultusminister sind zufrieden. Alle sind zufrieden, bloß richtig gelernt wird dabei nichts, denn das wird ja alles sofort wieder vergessen.
Wie können Eltern ihre Kinder mit der Freude an Mathematik anstecken?
Das geht mit der Freude am Beobachten, an der Neugier, daran, Dinge auszuknobeln und speziell bei der Mathematik denkerisch Dinge auszuprobieren.
Wie groß ist die Rolle des Lehrers bei der Förderung von Mathematik-Talenten?
Es geht schon auch darum, in der Schule Spitzenmathematiker herauszufiltern, aber vielmehr der großen Masse der Schüler Freude an der Mathematik zu vermitteln. Dabei ist die Rolle des Lehrers sehr wichtig, besonders in den höheren Klassen, in der Grundschule funktioniert das ganz gut.
Frei nach Loriot: Ist ein Leben ohne Mathematik vorstellbar, aber sinnlos?
Ein Leben im Sinne von Kultur und Zivilisation ist ohne Mathematik nicht denkbar. Das sieht man daran, dass alle modernen Produkte ohne Mathematik nicht funktionieren würden, kein Handy, kein Navi. Man müsste schon sehr viel Phantasie aufbringen, um sich eine Welt mit intelligenten Wesen vorstellen zu können, die ohne Mathematik auskommen.
Ausstellung im Welios
Die Sonderausstellung „Mathematik zum Anfassen“ ist bis 12. Juli im Welios in Wels zu erleben. Der Eintrittspreis ist im normalen Eintritt enthalten. Informationen zur Ausstellung auf www.welios.at