Heimat, ein verpöntes Gefühl?

Von Von Klaus Buttinger   21.August 2010

OÖN: Heimat, ein verpöntes Gefühl. Warum das?

Schmitt-Roschmann: Im deutschsprachigen Raum ist das ein schwieriges Thema. Die Geschichte ist sehr belastet, das Thema „Heimat“ schleppt eine Menge Ballast mit sich herum. Das ganze 20. Jahrhundert lässt sich letztlich auch begreifen als eine Serie von traumatischen Heimatverlusten und Erlebnissen mit dem Thema Heimat.

OÖN: Woran denken Sie da im Speziellen?

Schmitt-Roschmann: Der Erste Weltkrieg wurde begründet mit der Bedrohung der Heimat, der Zweite Weltkrieg ebenso, zwischendurch haben wir die sehr verquere Blut-und-Boden-Theorie, mit der die Nazis aufgetreten sind. Dazu kommen die Vertreibung und das Exil von sehr vielen Menschen – auch aus Österreich – die vor dieser Ideologie und den Morddrohungen der Nazis geflohen sind. Der Begriff Heimat ist davon nicht mehr so richtig zu befreien, seine Nutzung ist nicht mehr unbeschwert.

OÖN: Wie würden Sie „Heimat“ zeitgemäß und allgemeingültig definieren?

Schmitt-Roschmann: Ich glaube, dass sich Heimat nicht allgemeingültig definieren lässt. Heimat ist etwas ganz Individuelles und Kleines, ein Gefühl, das jeder für sich selbst hat und für sich selbst entdecken kann. Dem entsprechend kann Heimat heute alles Mögliche sein.

OÖN: Herkunftsfamilie, Heimatort, Sprache …?

Schmitt-Roschmann: In Umfragen geben sehr viele an, Heimat sei für sie Familie oder Freundeskreis. Ganz klassisch ist die Region, aus der man stammt, in der man sich zu Hause fühlt. Und für viele ist es einfach der Ort, wo sie wohnen. Darüber hinaus gibt es andere Dinge. Zum Beispiel der Fanclub des Fußballvereins, in den sehr viele Emotionen investiert werden. Oder es kann die Facebook-Gruppe sein.

OÖN: Was bedeutet Heimat für Sie persönlich?

Schmitt-Roschmann: Ich stamme aus einer Kleinstadt in der Mitte Deutschlands, wollte dort aber immer weg. Ich bin dann in die USA zum Studieren gegangen und fand die Weite und Größe dort auch toll. Trotzdem bin ich an einen Punkt gekommen, wo ich Fremdheit gespürt habe, die ich nicht mehr überwinden konnte. Da war eine Grenze, an der ich Vertrautheit vermisste. Das lässt sich ignorieren, man kann auch gut im Ausland leben. Aber ich hatte das Gefühl, ich will zurück nach Deutschland.

OÖN: Sie haben Ihre Heimat in Berlin gefunden – nicht gerade eine Kleinstadt …

Schmitt-Roschmann: Berlin ist eine Großstadt, die meinen Horizont weitet und trotzdem kleinteilig ist. Hier gibt es viele kleine Stadtteilzentren, die die Stadt mitunter dörflich machen – eine gute Mischung, die ich persönlich schön finde. Hier sind meine Kinder auf die Welt gekommen, das hat mich hier verwurzelt.

OÖN: Braucht der Mensch Heimat?

Schmitt-Roschmann: Ja. Ich vertrete die These, dass jeder in irgendeiner Weise eine Heimat braucht und sie sucht. Das kann auch in einer Gruppe oder in der virtuellen Welt sein, aber die Allermeisten brauchen etwas, das sie auch in der realen Welt verwurzelt. Viele springen zum Beispiel auf den Dialekt der Kindheit an. Wenn man den wieder hört, wird etwas freigesetzt; man fühlt sich irgendwie gebunden und geborgen in diesem Gefühl.

OÖN: Steigt in der Krise der Heimatbedarf?

Schmitt-Roschmann: Ich glaube schon. Wir durchleben die große Krise der Globalisierung, und damit wird alles sehr abstrakt. Es gelten Einflüsse in unserem Leben, die wir weder genau erkennen oder analysieren noch steuern oder abwenden können. Das Handeln an der Börse durchblickt doch keiner. Dieses Gefühl von Unsicherheit nährt das Bedürfnis nach einem kleinen Bereich, über den man Kontrolle hat und wo man sich gut auskennt und sich geborgen fühlt.

OÖN: Ein Platz, wo die Gemütlichkeit regiert?

Schmitt-Roschmann: Die Gemütlichkeit gehört für viele Leute dazu, bedeutet aber nicht zwangsläufig Wirtshaus und Berge und Blasmusik. Heimat geht auch im Flachland.

OÖN: Die Verknüpfung des Heimatbegriffs mit Blut-und-Boden-Ideologie war eine Spezialität der Rechten. Wo bleibt die Linke im Heimat-Diskurs?

Schmitt-Roschmann: Die Linke hat sich lange Zeit damit schwer getan, weil eben dieser politische Ballast vorhanden ist. Das ist ein heikles Terrain. Dort ist viel Unfug getrieben worden. Deshalb haben sich die Linken gesagt, das Thema fassen wir nicht an, wir legen es zu den Akten. Aber letztlich holt es einen ein. Das ist zum einen ein biografischer Prozess, zum anderen ein historischer. Man erkennt im Rückblick wie der Heimatbegriff überhöht, missbraucht und ausgeschlachtet wurde, aber dass darin doch ein kleiner, wahrer Kern liegt. Nämlich jener, der mit dem privaten, persönlichen und psychologischen Bedürfnis nach Heimat korrespondiert.

OÖN: Eine Frage, die sich angesichts von Migration und zunehmendem Integrationsdruck stellt: Was braucht es, damit eine neue Heimat entstehen kann?

Schmitt-Roschmann: Es gibt viele Beispiele von Menschen, die sich eine neue Heimat gesucht haben und dort auch angekommen sind. Der entscheidende Punkt ist, dass man sich auf dieses Ankommen einlässt; und dass das Ankommen vorgesehen ist. Wichtig ist, dass diese Menschen einen dauerhaften Aufenthaltsstatus bekommen, damit sie sich darauf einlassen können, dass dort Kinder geboren werden können, dass die Familie nachkommen kann. Und dass man nicht mit dem Hintergedanken leben muss, wieder zurückzugehen. Diese Illusion ist ja von vielen Familien über Generationen mitgetragen worden. Sie haben darauf geachtet, nicht zu heimisch zu werden. Die Illusion der Rückkehr sollte die Gesellschaft meines Erachtens zu den Akten legen. Die meisten Migranten bleiben und die Erfahrung lehrt, dass das Zurückgehen auch nicht leicht ist.

OÖN: Sollte in Zeiten gebrochener Biografien und vermehrter Flexibilität Heimat zum Mehrzahlwort werden?

Schmitt-Roschmann: Ich glaube schon. „Heimaten“ klingt zwar ungewohnt, aber viele haben eine alte und eine neue Heimat. Wie sie gewichtet werden, ob die alte Heimat schöner ist als die neue, bleibt jedem selbst überlassen. Fakt ist jedoch, dass man sich auch in einer neuen Umgebung heimisch fühlen kann. Wenn man sich voll auf sie einlässt, kann sie zur neuen Heimat werden.