Lade Inhalte...
  • NEWSLETTER
  • ABO / EPAPER
  • Lade Login-Box ...
    Anmeldung
    Bitte E-Mail-Adresse eingeben
    Bitte geben Sie Ihre E-Mail-Adresse oder Ihren nachrichten.at Benutzernamen ein.

gemerkt
merken
teilen

Am Eisernen Vorhang ist Geschichte in Bewegung geraten

Von Von Johannes Jetschgo, 12. Dezember 2009, 00:04 Uhr
Am Eisernen Vorhang ist Geschichte in Bewegung geraten
Das Geschäft mit der Prostitution floriert nach wie vor. Bild: dpa

So einschüchternd monoton und gleichgeschaltet die Landschaft des Eisernen Vorhangs vor zwanzig Jahren, kurz vor der Öffnung Ostmitteleuropas, war, so vielfältig erscheint sie heute.

Wer heute eine Reise entlang dieses Grenzstreifens unternimmt, der erfährt im doppelten Wortsinn diesen Wandel. Er trifft auf Spurensucher, Geschäftsleute, Naturschützer. Der Dokumentarist und Filmemacher Vaclav Reischl legt ebenso wie der Salzburger Fotograf Kurt Kaindl Spuren verschwiegener Vergangenheit frei. „Rozhrani – Grenzzone“ heißt jener Dokumentarfilm, in dem Reischl das verschwundene Dorf Buchers/Pohori porträtiert.

Für Reischl, der 1973 nach Deutschland ging, blieben viele Fragen offen: Als Schüler in Südböhmen aufgewachsen, lernte er in den fünfziger Jahren die tote Grenze von tschechischer Seite kennen. „Wir sind geschickt worden, um Erdäpfel zu sammeln, wir haben in den verfallenen Häusern gestöbert. Wir dachten, dass der Grenzbereich eine Art groteskes Disneyland sei, wo niemand lebt. Es war schräg.“

Vaclav Reischls Film, der die Vergangenheit und Gegenwart des Grenzlandes kurzschließt, ist erfolgreich, in Karlsbad genauso wie in Bayern. Sein Verdienst ist, dass er Vorurteile auflöst, Stereotypen, die bis 1989 in den Köpfen vorherrschten.

Mit denen auch Peter Honka aufgewachsen ist. Er kam in den 70er Jahren, als Reischl schon in Deutschland war, aus der Slowakei nach Vyssi Brod/Hohenfurth und brachte es bis zum Major der Grenztruppen. Er empfängt uns freundlich in seiner bescheidenen Plattenbauwohnung. Honka spricht bei Fluchtversuchen von „Anhaltungen“. Der Eiserne Vorhang sei nur ein Drahtverhau gewesen. Manche, die das Hindernis überwunden hätten, hätten sich noch vor der österreichischen Staatsgrenze, die weit dahinter lag, verlaufen und hätten froh sein können, wenn Soldaten oder vielmehr die Wachhunde sie gefunden hätten. Honka arbeitet heute bei einer Security-Firma.

Vorsicht, Starkstrom!

Zwischen 1948, der kommunistischen Machtübernahme, und 1950 zählt die offizielle Statistik mehr als 23.000 Geflüchtete. Der Begriff „Eiserner Vorhang“ war schon vorher von Winston Churchill in einem Telegramm an US-Präsident Truman als Metapher verwendet worden. Anfang der fünfziger Jahre erhält er Gestalt, als dreifach gebauter Drahtverhau, der mittlere mit 5000 Volt Spannung. 1967 werden die Starkstromleitungen durch Signaldrähte mit 24 Volt Spannung ersetzt, quasi Bewegungsmelder, die Scheinwerfer und Hundestaffeln auslösten. Ein Kolonnenweg wird gebaut, Wachtürme werden errichtet.

Fluchtversuche sind nicht zuletzt deshalb aussichtslos, weil die Grenzgemeinden in die Observation des Geländes eingebunden werden. Es gab 1100 registrierte Helfer in der sogenannten „überprüften zivilen Einwohnerschaft“ am Eisernen Vorhang. Auch Jungpioniere, Kindergruppen wurden geschult, Verdächtige zu melden. Ein in die Zukunft wirkendes Klima des Misstrauens entsteht.

Am Südufer des Moldausees wurde die ehemalige Ortschaft Glöckelberg nach der Vertreibung der deutschsprachigen Bewohner in den sechziger Jahren geschleift. Heute stehen Kirche und Friedhof saniert mitten im Wald. Es war das erste derartige Projekt, das der damalige Bischof von Budweis und heutige Prager Kardinal Miloslav Vlk 1992 als Gedenkstätte einweihen konnte. Eine Privatinitiative des Linzer Unternehmers Horst Wondraschek, der damit ein von Menschen aus Österreich, Tschechien und Bayern getragenes Versöhnungsprojekt schuf.

Wondraschek bietet heute über Google-Map virtuelle Begehungen von Glöckelberg an. Er ist überzeugt, dass sich so viele persönliche Lebensgeschichten wieder schließen können, dass aber auch junge Leute aus Tschechien hier Zugang finden zu einer tabuisierten Vergangenheit.

Die neuen Shopping-Center

Die ehemalige Sperrzone ist zwar geschichts-trächtig, aber das erschließt sich auf ihrem heutigen Terrain eher selten. Augenfälliger ist da schon das Factory Outlet in Chvalovice an der niederösterreichischen Grenzstation Kleinhaugsdorf. Hier gründete Ronnie Seunig im ehemaligen Niemandsland die Einkaufsoase „Excalibur City“. Wer anreist, erlebt schon im Vorfeld der Staatsgrenze auf Plakaten den Preiskampf um billige Essensportionen. Im Shopping Center frequentieren wochentags vor allem Pensionisten aus Wien Restaurant, Beauty Shop, Apotheken.

Nebenan hat sich schon die nächste Generation etabliert. Jan Prohaska ist Direktor im benachbarten Outlet Center Freeport, das mit dem Slogan „grenzgenial“ arbeitet. 200 Weltmarken biete man auf 22.000 m2 Verkaufsfläche an. Freeport ist seit 2003 geöffnet, der Umsatz konnte allein im Vorjahr um 34 Prozent angehoben werden.

Seit die Grenze nach dem Schengener Abkommen für den Personenverkehr freigegeben ist, es war kurz vor Weihnachten 2007, liegen die Grenzstationen und ihre Anlagen verwaist. Seit September 2006 fahren Johann Gabriel, Jürgen Pinthar und Alois Kranzl gemischte Streife mit ihren tschechischen Kollegen. Sie gehören zu jenen Grenzpolizisten, die die Staatsgrenze nördlich von Freistadt kontrollieren: Monatlich zwölf Streifen, je sechs auf österreichischem und tschechischem Gebiet, bewusst unregelmäßig angesetzt.

Kleiner Grenzverkehr

Der kleine Grenzverkehr in Wullowitz dient unterschiedlichen Geschäften. Casinos laden ein, daneben prangt großflächige Plakatwerbung für diverse Etablissements, Prostitution im Grünen. Auch das liegt im Blickwinkel der gemeinsamen Streife: Olga Gruber begleitete als Russisch- und Tschechisch-Dolmetscherin ein Streetworker-Sozialprojekt der Caritas Linz und der Caritas Budweis. Die Aufgabe: zu zweit die Clubs abzuklappern und die Frauen zu beraten.

Die Kunden kommen großteils aus Ober- und Niederösterreich. Gruber lernt die Hierarchie kennen, die diese Prostitution an der grünen Grenze entwickelt hat: „Die Mädchen in den Bordellen stehen in der Hierarchie höher als jene am Straßenstrich, die – vielfach Sinti und Roma – der Gewalt schutzlos ausgeliefert sind. Was uns schockiert hat: Es waren viele Schwangere darunter, und vor den Clubs standen Autos mit Kindersitzen. Das waren alles Familienväter aus Österreich.“

Das „Grüne Band“

Zwischen Oberplan und dem benachbarten Ulrichsberg im Mühlviertel herrscht bestes Einvernehmen, die Bürgermeister Jiri Hulka und Wilfried Kellermann kommen gemeinsam, es gibt mit den Bayern sogar trilaterale Gemeinderatssitzungen, die Schulen und Kindergärten pflegen den Austausch.

Die Böhmerwald-Arena auf österreichischer Seite, ein Naturlehrzentrum, wäre ohne offene Grenze nicht entstanden, der Schwarzenbergsche Schwemmkanal wurde touristisch wiedererweckt. In jüngerer Zeit allerdings gibt es einen gemeinsamen Feind, der im Böhmerwald sitzt, wo auf tschechischer Seite der Nationalpark Sumava liegt: den Borkenkäfer. Hulka befürchtet, dass gerade der rauschende Hochwald bedroht ist. Das Bild des vom Schädling zerstörten Walds vertreibe die Besucher.

In Leopoldschlag, im Informationszentrum des „Grünen Bandes“, sieht Josef Limberger vom Naturschutzbund gerade in den jahrzehntelang unberührten Zonen einen Anziehungspunkt für sanften Tourismus. Hier entdeckt der Besucher in den Wiesen an der Maltsch eine Pflanzen- und Tierwelt, die anderswo ausgestorben ist. Im „Green Belt Camp“ treffen sich jährlich Aktivisten aus ganz Europa, um diese Region, die jahrzehntelang der Zivilisation entzogen war, als Biotop zu kultivieren. Hier führt eher die Natur als die Zeitgeschichte Menschen zueinander.

Gemeinsame Kultur

Als Platz der Begegnung möchte sich auch das Zisterzienserkloster Hohenfurth profilieren. Es war bis in die Zwischenkriegszeit ein wichtiges Wirtschafts- und Bildungszentrum des Böhmerwalds. Zweimal, im Nationalsozialismus und im Kommunismus, wurde das Kloster aufgehoben, es beginnt wieder von vorne, unterstützt durch einen Verein, der Mitglieder aus fünf Staaten versammelt. Klaus Zerbs, der seine beruflichen Kontakte aus der Wirtschaftskammer OÖ. heute in der Pension als Pionier grenzüberschreitender Kulturarbeit einsetzt, hat in ähnlicher Weise schon die Renovierung der Kirche in St. Thoma bei Wittinghausen im ehemaligen Sperrgebiet zustande gebracht.

Der „Eiserne Vorhang“ ist ein Begriff der Geschichtsbücher geworden. So wie seine Errichtung die Beseitigung einer jahrhundertealten Kulturlandschaft nach sich gezogen hat, so sind nach seinem Fall die augenfälligen Baureste einer befestigten Grenze verschwunden.

Der Slawist und Historiker Karl Schlögel meint, „die Imposanz der Befestigungsanlagen besagt nur, dass das, was sie schützen sollen, hinfällig ist“. Die Grenzregion wandelt sich. Sie lässt Austausch zu, begünstigt nicht nur wirtschaftliche Erfolge im Land, sondern erzeugt auch besondere soziale Milieus vor Ort, Handelsplätze dort, wo sie frequentiert wird und Biotope, wo sie mangels Infrastruktur Randlage bleibt. Jeder dieser Plätze am einstigen Eisernen Vorhang macht Entwicklungen sichtbar. Die verfestigte Geschichte ist in Bewegung geraten. Wohin, bleibt offen.

mehr aus Oberösterreich

Auto von Zug erfasst: Todesopfer bei Unfall in Schalchen

Franz Schramböck: Ein außergewöhnlicher Medienmacher

Tierärzte: Studienplätze sollen reserviert werden

Mutprobe oder nur verfahren? Immer wieder fahren Autos durch Linzer Straßenbahntunnel

Lädt

info Mit dem Klick auf das Icon fügen Sie das Schlagwort zu Ihren Themen hinzu.

info Mit dem Klick auf das Icon öffnen Sie Ihre "meine Themen" Seite. Sie haben von 15 Schlagworten gespeichert und müssten Schlagworte entfernen.

info Mit dem Klick auf das Icon entfernen Sie das Schlagwort aus Ihren Themen.

Fügen Sie das Thema zu Ihren Themen hinzu.

0  Kommentare
0  Kommentare
Zu diesem Thema wurden noch keine Kommentare geschrieben.
Neueste zuerst Älteste zuerst Beste Bewertung
Aktuelle Meldungen