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Ulrich Brand: Wirkliche Veränderungen stehen an

Von Klaus Buttinger, 28. Mai 2011, 00:04 Uhr

„Ein sozial-ökologischer Umbau unserer Gesellschaft ist dringend notwendig“, sagte kürzlich der Wiener Univ.-Prof. Ulrich Brand bei einem Vortrag in Linz. Er referierte über Strategien aus der multiplen Krise des Kapitalismus.

OÖN: Wir stecken in einer Finanz-, Wirtschafts-, Schulden,- Nahrungs- und Energiekrise … Fehlt noch eine?

Brand: Man könnte noch die politische Krise der Repräsentation dazunehmen, wonach sich Menschen im politischen System nicht mehr repräsentiert fühlen. Aber es wäre ein Fehler, die Krisen nur nebeneinander zu stellen.

OÖN: Weil sie eine gemeinsame Ursache haben?

Brand: Es gibt unterschiedliche Dynamiken. Die Wirtschafts- und Finanzkrise kann man heute nicht verstehen, wenn man nicht die Liberalisierungs- und Deregulierungspolitiken, die Privatisierungen, sprich die neoliberale Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik bestimmter Akteure sieht. Das hat eine andere Dynamik als die Klimakrise, die Folge des industriellen Kapitalismus ist. Trotzdem gibt es einen Zusammenhang zwischen neoliberaler Gesellschaftspolitik und der Klimakrise. Letztere wird sehr stark mit Marktinstrumenten bearbeitet; über Emissionshandel und Börsen. Doch das funktioniert nicht.

OÖN: Wenn das nicht funktioniert, warum wird dann weitergemacht wie bisher?

Brand: Die Austeritätspolitik (staatliche Sparpolitik, Anm.) kommt bald an ihr Ende, ebenso wie eine keynesianische Politik, die nur auf rasche Verschuldung und kurzfristige Krisenintervention setzt. Gerade aber geht das noch munter weiter.

OÖN: Wie lange noch?

Brand: Man ist überrascht, wie lange das dann doch geht, wie schnell die Regierungen mitmachen. Aber irgendwann kommen Austeritätspolitik und Neuverschuldung an ihr Ende.

OÖN: Was passiert dann?

Brand: Es gibt den starken Horizont eines grünen Kapitalismus. Dass starke gesellschaftliche Kräfte Investitionen in erneuerbare Energien, alternative Verkehrssysteme, Gebäudedämmung etc. vorantreiben. Das erklärt den Wahlsieg der Grünen in Baden-Württemberg und in Bremen. Da sehen wir eine starke Handlungsorientierung von Grünen, Teile der Sozialdemokratie und auch der Konservativen. In Österreich wäre das der Fischler Flügel mit seiner ökosozialen Marktwirtschaft. Das wird die Krise nicht bearbeiten, zeigt aber eine Orientierung, die nicht mehr rein neoliberal ist.

OÖN: Ist damit der Ausweg aus der multiplen Krise des Kapitalismus auszumachen?

Brand: Den Masterplan dafür gibt es nicht, aber drei Ansätze. Wenn wir an eine solidarische, nachhaltige, aber auch produktive Lebensweise denken, gibt es erstens einen Horizont, der grundlegend anders sein muss. Die Natur ließe sich dann nicht mehr so vernutzen wie bisher. Der Weltmarkt wäre nicht mehr so brutal organisiert, dass nur einige Volkswirtschaften gewinnen – unter anderem Österreich – und die anderen nicht. Nur von unten nach oben umzuverteilen hätte keine Basis.

OÖN: Wie müsste dieser Prozess gestartet werden?

Brand: In vielen gesellschaftlichen Debatten. Die zweite Ebene wären die vielen konkreten Ansätze, die es schon gibt. Es gibt ja wissenschaftlich erarbeitete und umgesetzte alternative Verkehrs- oder Ernährungspolitiken. Es gibt die Möglichkeit, eine Stadt ökologisch umzubauen. Drittens müssten sich die Horizontebene und die konkrete Ebene in ganz konkreten Konflikten verdichten – in Auseinandersetzungen um das Bessere. Es ginge darum, die Konflikte über sich selbst hinaus zu treiben. Das ist gerade das Spannende in Nordafrika. Sind die Akteure in der Lage nicht nur zu sagen, weg mit Mubarak oder Gaddafi, sondern schaffen sie etwas Neues?

OÖN: Sind wir auf dem Weg, diese Auseinandersetzungen auch in Europa zu führen: angesichts der Proteste in Griechenland und Spanien?

Brand: Es geht nicht immer nur um globale Aufstände. Ich stelle mir Konflikte eher konkret vor. Wenn zum Beispiel eine rot-grüne Regierung in Linz sagen würde, wir machen eine autofreie Stadt, dann stehen Konflikte an. Ob das dann ein einmaliger Protest bleibt, in Institutionen geht, sich Parteien darauf einlassen oder darüber Politiker abgesetzt werden, ist eine Frage, die sich aus dem ersten Moment nicht bestimmen lässt. Ich weiß auch nicht, wie es in Spanien weiter- geht.

OÖN: Wie würden Proteste in Österreich aussehen?

Brand: Zu befürchten ist, dass Hackler, Menschen die nicht zur Elite oder Mittelklasse gehören, ihre Wut nicht gegen das Oben, das Kapital, die Regierenden richten, sondern gegen andere Menschen: gegen Migranten etwa oder andere Schwache in der Gesellschaft.

OÖN: Was führt Sie zu dieser Einschätzung?

Brand: Zum einen gibt es eine rechtspopulistische Tradition in Österreich, während man in Spanien einen viel stärkeren Linkspopulismus hat. Es gibt in Österreich keine Erfahrung, dass gesellschaftliche Mobilisierung von unten wirklich auch zu progressiven Veränderungen führt. Das rote Wien war diesbezüglich die letzte starke Erfahrung. In Spanien gibt es einen wesentlich aufgeklärteren Diskurs über die Verteilungsfragen in der Gesellschaft.

OÖN: Aber noch ist Österreich eine Insel der Seligen, oder?

Brand: Viele Menschen hier sind nicht selig. Es gibt durchaus Armut in Österreich. Unsere Gesellschaft funktioniert auch deshalb, weil eine imperiale Lebensweise herrscht: Billige Ressourcen, billige Produkte werden aus anderen Ländern hergeschafft und beim Diskonter verkauft, weshalb viele davon profitieren. Österreich ist insofern noch eine Insel, als der Staat noch mehr zu verteilen hat als Griechenland oder Spanien.

OÖN: Wird sich das ändern?

Brand: Das hängt von den gesellschaftlichen Auseinandersetzungen ab. Wird das sozialdemokratische Milieu die ökologische Frage ernster nehmen? Wird das konservative Milieu die soziale Frage ernster nehmen? Und: Gibt es progressive, politisch-ökonomische Eliten, wie damals beim New Deal in den USA der 1930er-Jahre, die einsehen, dass es so nicht weitergeht und ihre kurzfristigen Interessen hintenanstellen. Schaffen sie es, Bündnisse innerhalb der Eliten und mit der Gesellschaft gegen die anderen Eliten zu schmieden, die nur kurzfristig denken, nur an die Verzinsung ihres Vermögens. Diesen Elitendissens sehe ich nicht.

OÖN: Muss sich der aufgeklärte Staatsbürger über die Zustände mehr und lauter empören?

Brand: Das muss man immer. Die Gefahr besteht allerdings, dass das Lautwerden zum Teil des Betriebs wird. Pamphlete, Aufrufe und Essays wie „Indignez-vous!“ („Empört Euch!“) von Stephane Hessel gibt es ja laufend. In der NGO-Landschaft ist es ja dauernd laut. Ich sehe aber den Moment nicht, in dem ein Hessel oder sonst wer mit seiner Intervention glaubwürdig aufschreit und etwas fordert, was nicht sofort vom Betrieb kleingearbeitet werden kann. Das wäre die Kunst eines klugen Lautseins. Wenn einer aus der Elite laut ist und die Staatsbürger gehen auf die Straße, dann funktioniert das. Da verbindet sich eine öffentliche, intellektuelle Intervention, die den Betrieb unterlaufen kann, und Menschen aus allen Schichten, die sagen „Jetzt reicht es uns“, und dann demonstrieren. Als Beispiel wäre zu nennen: Stuttgart 21.

OÖN: Und wie geht’s nach der Demo weiter?

Brand: Man kann so etwas nicht richtig planen. Nach Umfragen sagen 80 Prozent der Deutschen: „Es läuft etwas grundlegend schief in unserer Welt.“ Die Menschen wollen nicht mehr abstrakt diskutieren, sondern fragen nach konkreten Alternativen. Das gehört gebündelt in gesellschaftlichen Diskursen, in politischen Institutionen und Betrieben, um dann die Alltagspraxen umzuarbeiten. Das Denkmuster „Am Sonntag bin ich mal schön radikal und am Montag mache ich weiter wie bisher“ wird sich auflösen. Es verändert sich nämlich wirklich etwas: politisch, ökonomisch, kulturell. Das steht an.

Biografie

Ulrich Brand (44), geboren in Mainau, studierte Betriebs- und Volkswirtschaft sowie Politikwissenschaft. Forschungsaufenthalte führten ihn in die USA, nach Mexico und Kanada. Brand ist Mitglied im Wissenschaftlichen Beirat von Attac Deutschland und in der Deutschen Vereinigung für Politische Wissenschaft sowie der Österreichischen Gesellschaft für Politikwissenschaft. Seit 2007 unterrichtet Brand Internationale Politik am Institut für Politikwissenschaft der Universität Wien. Schwerpunkte seiner Forschung: Umwelt- und Ressourcenpolitik, Globalisierung, NGOs. Brand sitzt in der Enquete-Kommission „Wachstum, Wohlstand Lebensqualität“ des Deutschen Bundestags.

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