Lade Inhalte...
  • NEWSLETTER
  • ABO / EPAPER
  • Lade Login-Box ...
    Anmeldung
    Bitte E-Mail-Adresse eingeben
    Bitte geben Sie Ihre E-Mail-Adresse oder Ihren nachrichten.at Benutzernamen ein.

gemerkt
merken
teilen

Wie geht es eigentlich den Griechen?

24. Mai 2014, 00:04 Uhr
Wie geht es eigentlich den Griechen?
Bild: EPA

Nach Jahren der Austeritätspolitik Europas prägen Arbeitslosigkeit, Armut, Enttäuschung und Ausweglosigkeit den Alltag vieler Griechen. Berichte aus erster Hand gesammelt von Klaus Buttinger.

Er ist überzeugter Europäer und blickt auf die Krisenauswirkungen in Griechenland aus der ersten Reihe: Wirtschaftssoziologe Alexandros-Andreas Kyrtsis von der Universität in Athen.

OÖN: Wie sehen die Arbeitslosenzahlen derzeit aus?

Kyrtsis: Eineinhalb Millionen der erwerbsfähigen Bevölkerung sind arbeitslos, das macht 28 Prozent. Bei den unter 25-Jährigen gibt es umstrittene Schätzungen, die von 25 bis 65 Prozent reichen.

Was tun die Jungen in dieser fatalen Situation?

Sie versuchen sich irgendwie mit Kleinjobs durchzuschlagen, bei denen sie nicht angemeldet sind. Das ist schwierig, weil die Schwarzarbeitskontrollen verschärft wurden.

Inwieweit hilft die Arbeitslosenversicherung?

Beschränkt. Wer sie beziehen will, muss zuerst einmal gearbeitet haben. Nach einem, allerspätestens nach zwei Jahren ist damit Schluss.

Notstandshilfe, Sozialhilfe?

Gibt es nicht. Die meisten Leute sind einfach ungeschützt. Allerdings ist die Fähigkeit der Leute, solche Zustände zu ertragen, in den südlichen Ländern höher als in den nördlichen. Im Süden springen die Solidaritätsnetzwerke von Familien und Freunden eher ein. Das ist zwar keine Lösung der Probleme, zeigt aber, dass die Leute kurzfristig besser überleben können.

Wie weit hat sich Armut bereits breit gemacht.

Zur hohen Arbeitslosigkeit kommt, dass 35 Prozent der Griechen offiziell als arm gelten. 14 Prozent sind stark verarmt. Das heißt: Ein großer Teil der Bevölkerung lebt in permanenter Enttäuschung und Ausweglosigkeit.

Wie wirkt sich das aus?

Hunger gibt es nicht in Griechenland. Jeder findet zu essen. Städte, Gemeinden, Kirchen und viele private Organisationen springen ein.

Der Mensch lebt nicht vom Brot allein. Wie sieht es aus mit dem Gesundheitssystem?

Da gibt es große Probleme. Das Niveau der Dienstleistungen in den Spitälern ist stark gesunken. Wobei es hier vor der Krise Effizienzprobleme und Korruption gegeben hat. Es gibt Hoffnung, dass es noch zu Verbesserungen kommt. Wir haben keine amerikanischen Zustände, jeder bekommt im Notfall Hilfe. Probleme gibt es bei den chronisch Kranken und älteren Menschen.

Stimmt es, dass die Suizidrate gestiegen ist?

Früher war Griechenland Schlusslicht bei der Suizidrate im Europavergleich. Die Suizidrate hat sich seit Ausbruch der Krise verdoppelt.

Was passiert in einer krisengeschüttelten Gesellschaft auf politischer Ebene?

Kommt darauf an, wem man die Schuld gibt an der Situation. Interpretiert man sie innenpolitisch und selbstkritisch, oder rein außenpolitisch Richtung EU und Troika. Letztere Interpreten neigen zu nationalistisch-populistischen Ansichten. Wer meint, die Griechen seien mitverantwortlich für die Schuldenkrise, zeigt ein gemäßigtes politisches Verhalten. Das Problem der Politik in Griechenland war die Reformunwilligkeit der Eliten.

Von welchen Reformen sprechen Sie?

Das Geld, das nach Griechenland geflossen ist, haben Politiker zum Teil an privilegierte Gruppen, etwa Beamte, verteilt, was zu einer falschen Anreizstruktur geführt hat, zum Beispiel erhielten Angestellte der Athener Verkehrsbetriebe viel mehr Gehalt als Wissenschafter. Viel Geld wurde verschwendet, indem es verteilt wurde ohne sinnstiftende Investition. Den Armen kann man nicht helfen, indem man Geld unter ihnen verteilt, sondern indem man Investitionen tätigt und über den Sozialstaat und eine gerechte Lohnstruktur die Verhältnisse ändert.

Wie lange können sich Griechenland und die EU die auseinanderdriftende Einkommenssituation leisten?

Es wird in den nächsten zehn Jahren sehr schwierig sein, die relative Gleichheit der Einkommen wieder herzustellen. Die Ungleichheit wird eine Belastung für das System sein.

Die Foto-Ausstellung "Athen, 25. Oktober 2013" von Walter Blumberger im Oö. Presseclub (U-Hof) in Linz nimmt Bezug auf die Krise

Die Hoffnung auf ein humanes Europa

Griechischer Gewerkschafter zu Gast bei den „3. Internationalen ArbeiterInnentagen“ in Linz

Die Krise werde nicht in Griechenland bleiben, prognostizierte George Papakonstantinou, Vorstandsmitglied des Griechischen Gewerkschaftsbundes GSEE. „Was in Griechenland passiert, wird langsam nach Norden kommen und in ganz Europa passieren. Das ist kein schlechter Film, der sich in der Dritten Welt abspielt, das ist kein politischer Fehler, sondern ein politischer Plan, der sehr gut läuft, für die, die das organisiert haben. “

Anlässlich des länderübergreifenden Treffens von Gewerkschaftern der GPA-djp aus Österreich, ver:di aus Deutschland und CGT aus Frankreich sagte Papakonstantinou: „Die Errungenschaften der Arbeiterklasse, die in den letzten Jahrzehnten erreicht wurden, sind mit dieser einen Krise aus der Welt geschafft worden.“ Griechenland sei als Versuchskaninchen missbraucht worden und konkursreif. Die größten Produktionsstätten seien bankrott. Die Privatisierungswelle umfasse nicht nur die Industrie, sondern auch Flug- und Eisenbahnverkehr, die Energie- und Wasserversorgung.

Niederlage der Gewerkschaft

„Die Gewerkschaften haben in Griechenland eine Niederlage erlitten“, sagte der Funktionär, der 30 Jahre als Ingenieur in der Erdöl-Raffinerie von Saloniki gearbeitet hatte. Die Gewerkschaft sei zu nahe bei der alten Regierung gestanden und zu weit weg von den Problemen der Menschen. „Wir müssen uns auch selbst die Schuld geben, dass diese Politik stattgefunden hat“, so Papakonstantinou.

Das Sozialsystem in Griechenland sei zerstört worden, befindet der Gewerkschafter. Dahinter stünde nicht einfach nur eine falsche Politik, „sondern ein durchdachtes Verbrechen“. Dies müsse man erkennen und in ganz Europa etwas dagegen unternehmen. „Je größer die Lücken, die in unserer Solidarität klaffen, desto mehr Raum wird von der Rechten und dem Faschismus erobert.“ Deshalb seien mehr Solidarität und Kampfgeist von den Gewerkschaften gefordert.

„Abgesehen vom Widerstand gegen den Angriff des Kapitalismus müssen wir auch wieder Wege finden, die den Leuten neue Hoffnung machen“, sagte Papakonstantinou, „Hoffnung auf ein humanes Europa.“

1 Million Menschen in Griechenland sind aus der Sozialversicherung herausgefallen. 28 % der erwerbsfähigen Bevölkerung sind arbeitslos. Das sind 1,5 Millionen Menschen. Doppelt so viele Selbstmorde wie vor der Krise werden in Griechenland derzeit verzeichnet.

mehr aus Wirtschaft

Verdi ruft vor Ostern zu Warnstreiks bei Lidl und Kaufland auf

Weiter Kritik an Ukraine-Importen

Pegasus: Firmen als Vorreiter

Familie Benko Privatstiftung mit gut 1 Milliarde überschuldet

Lädt

info Mit dem Klick auf das Icon fügen Sie das Schlagwort zu Ihren Themen hinzu.

info Mit dem Klick auf das Icon öffnen Sie Ihre "meine Themen" Seite. Sie haben von 15 Schlagworten gespeichert und müssten Schlagworte entfernen.

info Mit dem Klick auf das Icon entfernen Sie das Schlagwort aus Ihren Themen.

Fügen Sie das Thema zu Ihren Themen hinzu.

1  Kommentar
1  Kommentar
Neueste zuerst Älteste zuerst Beste Bewertung
gegenstrom (16.154 Kommentare)
am 24.05.2014 06:42

Diesen Artikel 1 Tag vor der EU-Wahl zu platzieren ist schon ungewöhnlich.
Aber er beschreibt die "Zukunft" die auch uns erwartet, ganz gut.

lädt ...
melden
antworten
Aktuelle Meldungen