"Nicht demütig warten, bis wir Marktanteile verlieren"

Von Dietmar Mascher und Susanne Dickstein   24.Juni 2017

Im Juli 2016 folgte Andreas Matthä dem jetzigen Bundeskanzler Christian Kern an der Spitze der Österreichischen Bundesbahnen (ÖBB). Im Interview zieht Matthä eine wirtschaftliche und eine persönliche Bilanz.

 

Sie sind ein Jahr ÖBB-Chef. Wie fällt Ihre Bilanz aus?

Matthä: Wir hatten 244 Millionen Fahrgäste in unseren Zügen und damit noch nie so viele wie im Vorjahr. Das zeigt, dass der schienengebundene öffentliche Verkehr in Österreich wichtiger wird. Wo attraktive Verbindungen sind, fahren Pendler lieber mit dem Zug, als mit dem Auto im Stau zu stehen. Ich bin heute von Wien nach Schärding mit dem Zug gefahren, man kann arbeiten und spart Nerven, das ist geschenkte Lebenszeit.

Und Ihre persönliche Bilanz?

Nachdem ich das Unternehmen gut kenne – ich habe mein Leben lang in unterschiedlichen Funktionen im Konzern gearbeitet –, finde ich die Internationalität, die wir mittlerweile haben, spannend. Wir sind heute im Güterverkehr in 18 Ländern unterwegs. Hinter der Deutschen Bahn sind wir die Nummer zwei in Europa. Ein Viertel der Menge, die wir transportieren, geht sogar nach Oberösterreich.

Der Güterverkehr ist aber ein umkämpftes Gebiet.

Es ist ein hartes Pflaster. Wir freuen uns, dass die Wirtschaft nach oben geht, das merken wir in den Mengen. Leider sehen wir es nicht in den Margen. Es ist ein enormer Margendruck, weil durch die Treibstoffpreise die Lkw-Fahrten sehr günstig sind. Aber nicht nur zwischen Schiene und Straße ist ein harter Wettbewerb, sondern auch innerhalb der Schiene gibt es mittlerweile 30 Mitbewerber. Dennoch haben wir im Güterverkehr einen Marktanteil von deutlich über 70 Prozent in Österreich, und wir sind die Einzigen von den großen europäischen Güterbahnen, die Gewinne schreiben.

Der Güterverkehr war lange Zeit die größte Baustelle der ÖBB, was ist es jetzt?

Herausfordernd ist die Regelung des Personenverkehrs in Österreich. Die Zahl der Passagiere steigt, allein in Oberösterreich durch die Einführung des S-Bahn-Systems von 16 auf 17 Millionen Passagiere. Und da ist noch Luft nach oben. Unser Ziel für die Zukunft ist die digitale, integrierte Mobilität, also der Transport eines Kunden von A nach B mit den verschiedensten Fortbewegungsmitteln wie etwa Zug, Car-to-go, Fahrrad, was auch immer.

Die ÖBB haben einen Gewinn präsentiert. Kritiker sagen, das sei bei den hohen Subvention nicht schwer. Was sagen Sie?

Dieser Unterschliff der Subvention, Steuergeld für Nichtleistung zu bekommen, stimmt so nicht: Es handelt sich um klare Leistungsverträge, die mit den unterschiedlichsten Verkehrsunternehmen erstellt werden. Im Busbereich zum Beispiel haben wir einen Marktanteil von 48 Prozent. Bekommen die anderen 52 Prozent auch Subventionen, oder werden die für ihre Leistungen sauber abgerechnet?

Die Direktvergabe von Verkehrsdienstleistungen wackelt. Was bedeutet es für die ÖBB, wenn die derzeit gängige Praxis verändert wird?

Das ist nicht nur für die ÖBB von Relevanz. Es gibt elf Eisenbahnunternehmen, die betroffen wären, in Oberösterreich zum Beispiel Stern & Hafferl. Wir würden uns natürlich bemühen, die Lose zu gewinnen. Möglicherweise würden wir mit Tochtergesellschaften ins Ausland gehen und das tun, was wir derzeit den anderen staatlichen Unternehmen vorwerfen. Umgekehrt muss man sich fragen, was tut man im Ennstal, wenn die Preise plötzlich doppelt so hoch wären? Es kann ja preislich auch in eine andere Richtung gehen.

Eine herbe Niederlage mussten die ÖBB mit dem Einstieg in das Fernbusgeschäft hinnehmen. Nicht einmal ein Jahr nach Start von "Hellö" ist bereits wieder der Rückzug erfolgt. Ist man zu blauäugig in den Markt gegangen?

Das ist ein wahnsinnig dynamischer Markt geworden, der sich in den vergangenen Monaten signifikant verändert hat. Das zeigt das Beispiel Deutschland. Man muss zur Kenntnis nehmen, dass es einen einzigen Marktanbieter gibt, der mehr als 90 Prozent Marktanteil hat. Wir wollten als Gesamtmobilitätsanbieter den Fernbusmarkt nicht einfach unbesetzt lassen. Wir haben aber die Preise, die wir uns in der Planungsphase erwarten durften, am Ende des Tages so nicht durchsetzen können. Irgendwann muss man Entscheidungen treffen, bevor man wirklich viel Geld verliert. In derselben Zeit haben wir den Nachtzug "Nightjet" implementiert, und der geht gut. Ich glaube, die ÖBB müssen auch etwas probieren dürfen und nicht nur demütig darauf warten, ob uns nicht jemand Marktanteile abnehmen möchte.

Warum ist eigentlich die Zugverbindung von Linz nach Graz, also von der dritt- in die zweitgrößte Stadt Österreichs, so schlecht?

Linz–Graz hat im Güterverkehr eine wichtige Bedeutung, daher gibt es einen selektiven Ausbau entlang des Pyhrns. Im Personenverkehr ist die Nachfrage zu gering. Sie beschränkt sich auf die Pendlerstrecken im Großraum Linz und Graz. Nur ein minimaler Prozentsatz fährt durch.

Die ÖBB nehmen in den kommenden Jahren 10.000 neue Mitarbeiter auf. Wie viele Lokführer wird es noch brauchen, wann fahren die Züge autonom?

Wir haben schon Bedarf im Güter- und Personenverkehr. Was wir aber vermehrt brauchen, sind Fahrdienstleiter, die Züge lenken und leiten, und Mitarbeiter, die im Kundendienst arbeiten. Das ist ein Prozess, der seit langem läuft. Als ich 1982 begonnen habe, waren wir 72.000 Mitarbeiter, heute sind es im vergleichbaren Bereich 30.000.