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Millionäre an der Zeitenwende

Von Klaus Buttinger, 19. Oktober 2013, 00:04 Uhr
Millionäre an der Zeitenwende
In den Jahren vor dem Ersten Weltkrieg brummte die Wirtschaft und das gesellschaftliche Leben in Wien. Rund 1000 Milliardäre leben in der Kaiserstadt. Bild: Styria Verlag

Eine „Traumzeit für Millionäre“ ortet der Linzer Historiker Roman Sandgruber in den Jahren vor dem Ersten Weltkrieg – und er sieht Parallelen zum Heute. Mit dem Autor sprach Klaus Buttinger.

Knapp vor dem Zusammenbruch der Habsburger-Monarchie konzentrierten sich in der Kaiserstadt Wien die Vermögen – und die Ungleichheit. Ein Dienstmädchen verdiente 300 Kronen im Jahr, Baron Albert von Rothschild, der reichste Wiener und wohl auch Europäer, mehr als 25 Millionen. In seinem neuen Buch leuchtet Historiker Roman Sandgruber die Millionärsszene aus.

 

OÖNachrichten: Ihr Buchtitel „Traumzeit für Millionäre“ klingt wie ein aktueller Befund ...
Sandgruber: Wir reden von der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg, von der Ringstraßenzeit, dem Fin de siècle, vom letzten großen Höhepunkt österreichischer Kultur. Wien war die viertgrößte Stadt Europas. Hier traf sich alles, was Rang und Namen hatte. Am Ende des Buches stellt sich aber durchaus die Frage: Wiederholt sich die Geschichte?

Was machte Wien zum guten Boden für schnelles Geld?
Wien war die Haupt- und Kaiserstadt von Österreich-Ungarn. Dieser Staat zählte mit 52 Millionen Einwohnern zu den größten der Welt. Alles war auf Wien konzentriert. Es war eine Zeit des wirtschaftlichen Wachstums, der Dynamik. In Deutschland waren die großen Einkommen breiter gestreut – neben Berlin auch München, Frankfurt, Hamburg, das Ruhrgebiet. Von den rund 1500 Millionären der Habsburger-Monarchie wohnten fast 1000 in Wien. In Oberösterreich gab es nur 19 Millionäre.

Wie setzte sich die Millionärsszene zusammen?
Sehr spezifisch. Es waren fast keine Katholiken, aber viele Juden und auch viele Evangelische darunter. Es war eine multikulturelle und mobile Gesellschaft aus Zuwanderern, die aus Deutschland, Böhmen, Mähren, Galizien, selbst aus Russland stammten.

Hatte dieser Aufschwung auch technische Hintergründe?
Vieles war neu: die Elektrizität, das Fahrrad, das Automobil, das Flugzeug, der Film, die Schallplatte. Damit konnten Leute reich werden. Etwa die berühmte Opernsängerin Selma Kurz, die mit Plattenaufnahmen ein Millioneneinkommen verdiente. Andere sind reich geworden durch das Gasglühlicht oder legten den Grundstein für späteren Reichtum, wie Porsche, der damals die großen Automobile konstruierte, die für diese Gesellschaft charakteristisch waren.

Welche Rolle spielte der Adel noch?
Es war die Zeit des untergehenden Adels. Zehn Prozent der Millionäre waren Adelige, die überwiegend von ihren Grundbesitzungen lebten. Es war die Zeit der Banken. Unter den Reichen sind hunderte Bankdirektoren und der Reichste der Reichen: Albert Rothschild.

Welche Namen von damals sind uns sonst noch geläufig?
Viele: von Mayr-Melnhof über Meindl und Mautner bis zu Manner – da könnte man noch viele aufzählen. Die Familie Glatz etwa, heute noch reiche Getreidehändler.

Eines Ihrer Kapitel übertiteln Sie mit „Katastrophe Holocaust“ ...
Indem ein exzeptionell hoher Anteil der Millionäre einen jüdischen Background hatte, führte das gerade in Österreich zu einem Kahlschlag in der NS-Zeit. Der Antisemitismus ist zu einem beträchtlichen Teil vom Neid des späten 19. Jahrhunderts gesteuert gegen den Aufstieg der jüdischen Gesellschaft. 1850 lebten 2000 Juden in Wien, 1910 gibt es zehnmal so viele. Unter den Millionären waren sie überproportional vertreten.

Warum war das so?
Die für mich plausibelste Hypothese ist die, dass die Juden seit langem in jene Geschäftsbereiche, die im Verlauf des 19. Jahrhunderts besonders erfolgreich wurden – Banken, Handel und freie Berufe – hineingedrängt worden waren. Landwirtschaft und gewerbliche Tätigkeiten waren ihnen meist untersagt worden. Dann waren da noch die ungeheure Mobilität der Juden und ihre Mehrsprachigkeit. Das waren ungeheure Vorteile.

Sie schreiben vom Kapitalismus als Glaube, der sich damals entwickelte. Wie meinen Sie das?
Es entwickelten sich damals Vorstellungen, wie sich ein Kapitalist zu verhalten habe. Er müsse zum Beispiel sparsam sein, um reich zu werden – was in Wahrheit ja nicht zutrifft. Er muss investieren. Dann kam auch noch die Idee dazu, wohltätig zu sein.

Wie hielten es die Reichen mit dem Zahlen von Steuern?
Meine Daten stammen aus der progressiven Einkommenssteuer, die 1898 eingeführt wurde, und die wir heute noch haben. Sie war damals eine sehr umfassende. Besteuert wurde das Lohneinkommen genauso wie Grundrenten oder Unternehmergewinne, ja selbst entgangene Mieten – wenn man etwa im eigenen Palais wohnte. Andererseits war der Steuersatz sehr niedrig, von 1,5 Prozent bis zum Höchststeuersatz von 5 Prozent.

Vom heutigen Standpunkt aus betrachtet, war das damals ein Paradies für Reiche, oder?
Das waren sicherlich paradiesische Zustände. Aus den Steueraufzeichnungen lässt sich herauslesen, welchen Anteil am Gesamteinkommen das oberste eine Prozent der Bevölkerung erzielte, nämlich etwa 25 Prozent. Das ist vergleichbar mit der Situation in den USA von heute.

Trug die Einkommenssteuer die Hauptlast der Staatsausgaben?
Die Haupteinnahmen des Staates stammten aus indirekten Steuern. Die ertragreichsten Steuern waren die Tabaksteuer, die Wein- und Biersteuer, die Fleisch- und Zuckersteuer. Diese betrafen alle, und die niedrigen Einkommen überproportional.

Wie gestalteten die Reichen die Politik mit?
Der Zugang zur Politik war damals noch stärker als heute durch Geld bestimmt. Die Reichen und der Adel waren in der Politik überproportional vertreten, und sie verstanden es, diesen Einfluss auszuüben. Es gab aber auch sozial engagierte Politiker, etwa Aloys von Liechtenstein, der berühmte rote Prinz. Mit seinem hohen Einkommen setzte er sich für christlich-soziale Anliegen ein. Es gab auch eine Reihe von Millionären aus dem linksliberalen bis sozialdemokratischen Bereich. Der größere Anteil neigte allerdings dem deutschnationalen Lager zu.

Sie schließen Ihr Buch mit dem Kapitel über die „Wiederkehr der Ungleichheit“. Welche Parallelen sehen Sie zwischen einst und jetzt?
Die Spitzeneinkommen nehmen wieder zu; am deutlichsten in den USA. Ähnliche Tendenzen gibt es auch in einigen westeuropäischen Ländern. Wobei heute der Reichtum viel weniger sichtbar ist als damals. Ein Palais auf der Ringstraße oder ein Automobil waren ungeheure Statussymbole. Heute muss ein Porsche nicht mehr bedeuten, dass der Besitzer Millionär ist. Heute wären solche Statussymbole ein Schloss auf einer Insel in der Südsee und ein Privatflugzeug. Damals wurde Reichtum viel demonstrativer als heute zur Schau gestellt.

Wohin führte die zunehmende Ungleichheit bei den Einkommens- und Vermögenssituationen schlussendlich?
Die große Ungleichheit konnte einerseits ein starkes Aufblühen von privat geförderter Kultur und viele Innovationen bewirken. Andererseits hatte sie gefährliche soziale Folgen. Die aufgehende Schere zwischen Arm und Reich führte zu sozialen Spannungen, Neidkomplexen und Gewaltausbrüchen, die in den Ersten Weltkrieg, die Hyperinflation, die Weltwirtschaftskrise und zuletzt in den nationalsozialistischen Vernichtungsfeldzug gegen die Juden mündeten.

Welche Lehren lassen sich daraus ziehen?
Wir haben viele Lehren gezogen. Die Steuern versucht man um einiges gerechter zu halten. Vielfältige soziale Netze wurden eingezogen. Der gesellschaftliche und demokratische Konsens ist wesentlich stärker geworden. Und es gibt nicht mehr die kriegerische Aggressivität, die die Zeit vor Ausbruch des Weltkriegs kennzeichnete.

Biographie und Publikation

Roman Sandgruber (66) fungiert seit 1988 als Universitätsprofessor für Wirtschafts- und Sozialgeschichte an der JKU Linz. Er ist Träger des Goldenes Ehrenzeichen des Landes Oberösterreich, publizierte mehr als ein Dutzend Bücher und schreibt für die OÖN. Sandgrubers jüngstes Buch „Traumzeit für Millionäre“ beleuchtet in verständlicher Sprache und auf Basis zahlreicher Fakten das Leben der Creme de la Creme zum Fin de siècle. Verlag Styria Premium, 496 Seiten, 34,99 Euro.

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3  Kommentare
3  Kommentare
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Ameise (45.683 Kommentare)
am 20.10.2013 21:39

und der Reichste-Albert Rothschild.
Die Geschichte wird sich wiederholen...

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michaelbunny (1.002 Kommentare)
am 19.10.2013 11:01

Der Unterschied zwischen arm vs. reich manifestiert sich nicht in der Bewertung von Realvermögen. Das geht oft unter.

Das können die Sozis nicht auseinanderhalten oder geben es vor - wie z. B. die gute Lagarde. Wir haben eine Vermischung. Die neue globale Währung sind Realwerte, der Rest hat sich deklassiert. Das passt aber den Großbanken nicht wirklich (UBS, Deutsche Bank, Wallstreet Banken usw.).

Ein Palais macht keinen reicher und keinen anderen ärmer. Viel eher war das Problem die Landreform grad auch in Ungarn usw... das war Schachzug der Industriellen denen der Weg bereitet wurde Zugriff auf billiges Personal zu bekommen - die Systematik hat sich bis heute nicht geändert. Insbesondere auf der globalen Ebene - Off-Shoring. Es gibt kein Notwendigkeit für einheitliche Wärhungen ... auch keine Notwendigkeit westliche Werte in die Welt zu tragen, Kredite zu vergeben und Staaten 50% Zins des Budgets für Zins abzunehmen allein damit man seine Produkte verkauft.

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michaelbunny (1.002 Kommentare)
am 19.10.2013 10:48

in der Tat gibt es noch nicht lange. Denn weiß heißt denn eine höhere Einkommenssteuer aus Sicht der Steuerwirkung - Arbeite weniger verdiene weniger. Personenbezogene Steuern sind ein Umverteilungsthema aber der monatl. zu erwirtschaftende Zins für wahrlich zur Umverteilung. Denn jeder der nicht die Zinsen für die Staatsschulden monatlich aufs Konto bringt macht mal die Reichen im Land reicher von sämtlichen anderen Zinsanteilen ganz zu schweigen, je nachdem wohin die Kapitalerträge abfließen, zu wem und was derjene damit tut.

Naja - das von Gerhard Hoppe eher dem Thema etwas nachgelagert trifft aber teils noch zu
http://www.youtube.com/watch?v=LYEUHk16yk4
(The Economic Doctrine of the Nazis | Hans-Hermann Hoppe)

Das ist eine, zwar aus ökonomischer Sicht, aber durchaus interessante Betrachtung des Puvoirs einer Umverteilung ... aus sicht von Deutschland vs. U.S. von 30 bis Kriegesende WWII.

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