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"Flüchtlingswelle war nur ein Warnschuss für die Europäer"

Von Dietmar Mascher, Hermann Neumüller   28.Oktober 2016

Die Entscheidung der deutschen Bundeskanzlerin im Vorjahr, die Grenze zu öffnen, sei richtig gewesen, sagt Professor Christian Dustmann im Gespräch mit den OÖNachrichten. Merkel habe aber die politischen Auswirkungen völlig unterschätzt. Trotzdem ist er zuversichtlich, dass Europa die Krise bewältigen werde.

 

OÖN: Die Flüchtlingsströme des Vorjahres haben die Politik auf dem falschen Fuß erwischt. Davor wurde das Thema verdrängt. Was ist Ihrer Meinung nach seither schief gelaufen?

Dustmann: Vor 2015 hat die EU das Flüchtlingsthema vernachlässigt. Man hätte die Zeichen der Zeit früher erkennen und die Politik innerhalb der EU besser koordinieren können. So gesehen hat die Krise die Politik auf dem falschen Fuß erwischt.

Hat sich die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel mit ihrem "Wir schaffen das!" etwas zu viel vorgenommen?

Kanzlerin Merkel hat richtig entschieden. Die Leute waren ja schon vor den Grenzen der mittel- und nordeuropäischen Länder. Denen musste geholfen werden. Sie hat aber die politischen Konsequenzen nicht richtig eingeschätzt. Ich beschäftige mich seit 25 Jahren wissenschaftlich mit dieser Thematik. Es gibt immer das gleiche Muster: Zuerst verhalten sich die Länder sehr human, dann werden sie von der politischen Realität eingeholt.

Was heißt politische Realität?

An den Rändern des politischen Spektrums versuchen Parteien, ihre Wahlchancen zu verbessern. Dann reagieren die etablierten Parteien, indem sie ihre Politik restriktiver machen. Deutschland beispielsweise ist jetzt sehr restriktiv.

Wie kommt es, dass die Länder innerhalb der EU und sogar innerhalb des Schengen-Raumes so unterschiedlich mit dieser Herausforderung umgehen?

Die Genfer Konvention, die alle Länder verpflichtet, persönlich Verfolgten zu helfen, ist bei Kriegsflüchtlingen nicht eindeutig. Entsprechend unterschiedlich wird sie ausgelegt. Umso wichtiger wäre es für die EU, klare Richtlinien zu setzen, wie mit den Kriegsflüchtlingen umzugehen ist, welche Herkunftsländer als sicher gelten, und vor allem auch die Asylverfahren zu koordinieren.

Jetzt sind diese Flüchtlinge bei uns. Wie muss die Integration laufen?

Grundsätzlich ist der Arbeitsmarkt der besten Integrator. Es gibt hier aber einen Widerspruch: In vielen Fällen ist nicht klar, wie die Zukunft dieser Menschen aussehen wird. Im Zuge der Balkan-Krise kamen 300.000 Flüchtlinge nach Deutschland. 80 bis 85 Prozent dieser Menschen wurden wieder rückgesiedelt. Die Situation der Syrer ist nicht unähnlich. Wir wissen aber nicht, wann diese Menschen wieder in ihr Land zurück können.

Welche Konsequenzen hat das bei der Integration?

Ich habe kürzlich mit einem Bäcker in Deutschland gesprochen, der syrische Flüchtlinge aufnehmen wollte. Wenn diese Menschen aber keine langfristige Perspektive sehen, ergibt es keinen Sinn, eine dreijährige Bäckerlehre zu machen. Die ist in Deutschland von Vorteil, in Syrien ist sie wertlos.

Die Asylwerber werden bei uns von vielen als Konkurrenten auf dem Arbeits- und Wohnungsmarkt gesehen. Was kann man hier tun?

Was den Arbeitsmarkt angeht, ist das eine alte Diskussion. Sie ist ökonomisch falsch. Wenn eine Volkswirtschaft wächst, dann entstehen Arbeitsplätze. Was den Wohnungsmarkt angeht, gibt es demografische Prognosen. Die Politik muss entsprechend Maßnahmen setzen.

Mittel- bis langfristig müsse man die Fluchtursachen bekämpfen, heißt es jetzt. Wie könnte das funktionieren?

Das sagen wir schon lange. Die Bevölkerung Afrikas wird innerhalb von wenigen Jahrzehnten von derzeit 1,1 auf 2,8 Milliarden Menschen wachsen. Wir werden also Wanderungsbewegungen wie im Vorjahr noch öfter erleben. Das war nur ein Warnschuss für die Europäer. Hauptgrund für diese Wanderungsbewegungen ist die schlechte Sicherheitslage in den jeweiligen Ländern. Und daran sind nicht zuletzt auch einige EU-Länder schuld. In Libyen haben Frankreich und Großbritannien interveniert, ohne einen Plan zu haben, was danach passieren soll. Die Länder Afrikas brauchen Sicherheit und Stabilität.

Manche sehen die EU an ihren Krisen – und nicht zuletzt an der Migrationskrise – zerbrechen. Schafft das Europa?

Auf jeden Fall, ich bin das sehr optimistisch. Ohne die EU hätten wir die gleichen Krisen, aber die EU kann damit besser umgehen. Mit der Einbindung der Staaten, ob Griechenland oder Ungarn, kann es gelingen, die Krisen zu mildern und in eine positive Richtung zu drehen.

 

Die Eckpunkte des neuen Arbeitsprogrammes
Die Migration soll "gedämpft" werden - mit mehr Grenzschutz, schnelleren Verfahren, Rückkehr-Anreizen und Verlängerung der Schubhaft auf 18 Monate.

 

MIGRATIONSEXPERTE CHRISTIAN DUSTMANN

Christian Dustmann ist Professor am University College London (UCL) und Gründungsdirektor des "Centre for Research and Analysis of Migration, CReAM). Dort erforscht der gebürtige Deutsche die Auswirkung von Zuwanderung auf die Gesellschaft des Gastlandes.Gestern hielt er auf Einladung des Instituts für Volkswirtschaftslehre die 19. Kurt W. Rothschild-Vorlesung an der Johannes Kepler Universität Linz.Dustmann studierte Betriebswirtschaftslehre an der Universität Bielefeld. 1985 erhielt er seinen Master in Volkswirtschaftslehre von der University of Georgia (Athens, USA). Er promovierte 1992 am European University Institute in Florenz in Volkswirtschaftslehre. Seit 2004 ist er Professor für Volkswirtschaftslehre am UCL und Leiter des CReAM.

 

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