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"Die Euro-Währungsunion begann mit einem kollektiven Versagen"

Von Monika Graf aus Brüssel, 22. Jänner 2018, 00:05 Uhr
"Die Euro-Währungsunion begann mit einem kollektiven Versagen"
Thomas Wieser wird am 1. Februar vom Niederländer Hans Vijlbrief als Chef-Koordinator der Eurogruppe abgelöst. Bild: EU

Kritischer Rück- und Ausblick des Noch-Eurogruppen-Koordinators Thomas Wieser.

Thomas Wieser, die graue Eminenz der Eurogruppe, hat in den vergangenen sechs Jahren mit enormem Fachwissen und diplomatischem Geschick die Eurozone durch ihre schwerste Krise geführt. Ende Jänner tritt er ab.

OÖN: Sie gelten als "das Scharnier der Eurozone" und "ein ehrlicher Makler". Bei Ihrer letzten Pressekonferenz haben Ihnen die Journalisten applaudiert. Das ist ziemlich unüblich in Brüssel.

Wieser: Bruno Kreisky hat einmal gesagt: "Sie glauben gar nicht, wie viel Lob ich ertrage." Ich habe versucht, die Beweggründe aller Eurostaaten zu verstehen, und nie eine eigene Agenda verfolgt. Ich habe persönliche Wert- und wirtschaftspolitische Vorstellungen, aber das hilft nicht, wenn man versucht, sich über ein makroökonomisches Programm, einen Fiskalpfad oder eine Bankenregulierung zu einigen.

In Ihre Zeit fiel die größte Krise der Eurozone. Ist sie heute stabiler oder fragiler?

2009 hat die EU-Kommission ein Büchlein mit dem Titel "10 Jahre Euro. Eine Erfolgsgeschichte" herausgebracht. In der Retrospek-tive waren das zehn Jahre voller Euphorie und Wachstum. Vergessen waren die anfängliche Obsession wegen der Euroschwäche zum Dollar und die unfassbaren Streitereien wegen des Bruchs des Stabilitätspakts durch Deutschland und Frankreich. So wie man dem Euro im ersten Jahrzehnt zu viel vom Erfolg zugeschrieben hatte, hat man ihm im zweiten, das ja noch läuft, zu viel von den Problemen zugeschrieben, etwa die Kreditblase oder die Anpassungsprogramme der Länder, die eine falsche Wirtschaftspolitik betrieben haben. Der Euro hatte an Teilen davon Anteil.

Was ist falsch gelaufen?

Faktum ist, dass die Währungs-union 1998 wesentliche Flecken auf der wirtschaftspolitischen Landkarte weiß gelassen hatte. Das war ein kollektives, analytisches Versagen. Man hat die grenzüberschreitend destabilisierende Wirkung des Finanzsektors unterschätzt. Natürlich waren sich hunderte Ökonomen und Politiker der Finanzblase bewusst, aber die institutionellen Konsequenzen hat keiner gezogen. Dass ein Finanzmarktproblem die Finanzierung einzelner Mitgliedsstaaten unmöglich macht – in dieser Dimension sah das niemand.

Es folgten Hilfspakete, Eurorettungsschirm, Bankenabwicklung …

Die Stoßrichtung der vergangenen acht, neun Jahre war die Beseitigung von wirtschaftlichen Ungleichgewichten in Irland, Portugal, Spanien, Zypern und Griechenland. Zugleich ging es aber um eine Eindämmung dieses Teufelskreises zwischen Bankbilanzen und Staatsfinanzen. Allein durch die Einrichtung der Bankenaufsicht in Frankfurt und des Bankenabwicklungsmechanismus hier in Brüssel ist außerordentlich viel geschehen. Wenn es irgendwann so weit ist, dass eine maßgebliche Bank insolvent werden kann, ohne dass sie den Mitgliedsstaat mit in den Abgrund reißt, dann ist die größte Lücke geschlossen. Fertig sind wir damit aber noch nicht.

Die EU will die Eurozone reformieren und einen Euro-Finanzminister, der Eurogruppenchef und Währungskommissar in einem ist. Unmöglich?

Natürlich. Es ist europarechtlich unmöglich und hat eher den Charakter "Die Sessel auf der Titanic umstellen". Mit belanglosen Vorschlägen simuliert man Reform und Erneuerung.

Was kann man verbessern?

Es gibt Verbesserungsmöglichkeiten, die der Brexit notwendig macht, etwa die künftige Position der Eurozone in der EU. Wenn die Engländer weg sind und der eine oder andere dazukommt, verschiebt sich das Gleichgewicht. Eine Möglichkeit wäre, die gesamte wirtschaftspolitische Diskussion künftig in der Eurozone zu führen und lediglich die legislativen Materien im Ecofin zu behandeln. Daran könnten ruhig alle teilnehmen, nur eben nicht darüber abstimmen.

Braucht die Eurogruppe mehr demokratische Kontrolle?

Ich halte die Einbindung der nationalen Parlamente für verbesserungsfähig. Dänemark, England und Schweden (drei Nicht-Euroländer, Anm.) haben in Sachen EU-Themen schon hochinformierte Parlamente, während andere offensichtlich primär auf heimische Medien zurückgreifen. Das Parlament, das sich auf dem höchsten Niveau mit der Eurozone beschäftigt, ist das House of Lords (Großbritannien). Die Ausschüsse sind mit brillanten Mitgliedern bestückt, die laufend nach Brüssel kommen und sich schlau machen, nicht erst seit dem Brexit.

Wird es einen eigenen Euro-Haushalt geben oder nur eine Art Notgroschen im EU-Budget im Krisenfall?

Ich sehe nicht, wie ein signifikanter Euro-Haushalt innerhalb eines EU-Budgets unterbringbar wäre, wenn gleichzeitig einer der größten Nettozahler abhanden kommt und alle weniger einzahlen und mehr herausbekommen wollen – mit Ausnahme Deutschlands. Die Meinungen in den Mitgliedsstaaten gehen extrem auseinander, die Diskussion ist noch ganz am Anfang. Auch bei der Frage eines Europäischen Währungsfonds.

Sollte es ein Eurozonen-Budget geben?

Es wird letztlich eines geben, aber nicht in den nächsten zwei, drei Jahren. Im Moment gibt es die Vorstellung im Norden, dass manche nur Solidarität einfordern, ohne sich an Soliditätssregeln zu halten, und im Süden die Vorstellung, dass nur Solidität gefordert wird ohne Solidarität. Beides ist falsch. Sinnvoll wäre es, das fiskalpolitische Regelwerk, das ohnehin keiner versteht, zu entschlacken. Das heißt, die Mitgliedsstaaten bekommen mehr Freiheiten. Aber man muss die Verantwortung für eine verfehlte Fiskalpolitik dann deutlicher ausfallen lassen.

Steht die EU vor der großen Reform oder wird sie zerbrechen?

Beides ist Blödsinn. Die einen möchten sich wichtig machen, indem sie sagen: ‘Das ist die ultimative Reform, die das Geschick Europas entscheidend ändern wird, und ich war mitten drin.’ Die anderen machen sich mit dem drohenden Untergang wichtig, weil sie befürchten, ansonsten in der Anonymität verharren zu müssen – für manche offensichtlich nicht so leicht. Weil sich die Welt ändert, müssen sich die Institutionen ändern.

Was werden Sie nach Ihrer Aufgabe als Chef-Koordinator der Eurogruppe machen?

Zunächst Skifahren, das erste Mal seit Jahren nicht nur im Dezember.

 

Zur Person

Der Österreicher Thomas Wieser war ab 1989 im Finanzministerium in Wien – zuletzt als Sektionschef – und dort unter anderem an der Euro-Einführung und am Aufbau der Europäischen Zentralbank (EZB) beteiligt. Von 2009 bis 2011 war er Vorsitzender des Wirtschafts- und Finanzausschusses in Brüssel, ab 2012 Vorsitzender der Eurogruppe-Arbeitsgruppe. Was Wieser nach dem 1. Februar machen wird, sagt er noch nicht.

 

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6  Kommentare
6  Kommentare
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forensik (859 Kommentare)
am 22.01.2018 12:54

Der beruhigende Ton soll uns aber nicht hindern, Wirtschaft endlich neu zu denken, und zwar nicht nur die Realwirtschaft, das Tauschen der Waren,
sondern die Finanzwirtschaft, die den allergrößten Teil ausmacht, und die sich jenseits einer demokratischen Kontrolle befindet.

Die Frage nach der finanziellen Stabilität der Eurozone ließ er unbeantwortet, der Hinweis auf die notwendige Entflechtung, da keiner mehr die Verknüpfungen versteht, lassen ahnen, wie sehr der Finanzmarkt entfesselt worden ist und damit unkontrollierbar.

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jago (57.723 Kommentare)
am 22.01.2018 12:23

> Steht die EU vor der großen Reform oder wird sie zerbrechen?
> Beides ist Blödsinn. ...


Vielen Dank an die Redaktion, dass sie auch die dumme Frage und die gute Antwort drauf stehen lassen hat!

Der ganze Artikel ist ein Glücksfall im Wirtschaftsteil.

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forensik (859 Kommentare)
am 22.01.2018 13:08

Ein Lichtblick vielleicht!

Die Probleme der Finanzwelt von innen gesehen, ein geschlossenes System, in dem es stabile Wertesysteme gibt, aber ohne den politischen Auftrag, die Grundbedürfnisse der Bevölkerung zu stillen.

Makroökonomische Programme werden nach ihrem Erfolg in Bezug auf die Stabilität des Euros bewertet, eine Wirtschaftspolitik der Länder ebenso.

Die katastrophalen Auswirkungen der Politik auf die Bevölkerung in Griechenland oder in Ungarn etwa, interessiert sie nicht.

Seine Aussage steht da, ein Fragment, zur Rechtfertigung des Bestehenden,
ohne die unschöne Kehrseite des Systems.

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Gugelbua (31.900 Kommentare)
am 22.01.2018 11:46

pleite ist pleite ganz gleich wie man es wissenschaftlich formuliert zwinkern

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jago (57.723 Kommentare)
am 22.01.2018 12:30

Nojs, pleite sind erst einmal die Einzelstaaten.

a) Die Ex-Comeconstaaten besonders.
b) die Südstaaten mit ihren Ex-Militärdiktaturen und
c) die völlig überschuldeten "Sozialstaaten" im Westen auch, die ideologisch mit dem Finger auf den "Neo"liberalismus zeigen, auch.

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u25 (4.939 Kommentare)
am 22.01.2018 08:17

Wieso begann ?

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