Den Deutschen um Jahre voraus
Deutscher Fiskus verlangt sechs Prozent Zinsen, bei uns sind es 1,38 Prozent.
Wenn ein deutsches Finanzamt Steuern nachfordert, muss der Steuerpflichtige mit einem satten Aufschlag rechnen. Sechs Prozent pro Jahr verlangt der Fiskus in unserem Nachbarland. Der Zinssatz ist seit Jahrzehnten gleich. Doch nun stellt der deutsche Bundesfinanzhof (BFH) diesen Zinssatz infrage.
Das Gericht hat "schwerwiegende verfassungsrechtliche Zweifel", ob der Zins nicht gegen das im Grundgesetz verankerte "Übermaßverbot" verstoße, schreibt die "Süddeutsche Zeitung" in ihrer gestrigen Ausgabe.
In dieser Hinsicht ist der heimische Fiskus dem deutschen um Jahre voraus. Bei uns orientiert sich der so genannte Nachforderungszinssatz am aktuellen Zinssatz der Europäischen Zentralbank (EZB) zuzüglich eines Aufschlages von zwei Prozent – und das schon seit 2005. Weil derzeit dieser EZB-Referenzzinssatz negativ ist, fallen nicht einmal zwei Prozent an, sondern aktuell 1,38 Prozent. Das sei "halbwegs fair", sagt dazu Verena Trenkwalder, Präsidentin der Kammer der Wirtschaftstreuhänder in Oberösterreich.
"Brisant" an der jüngsten BFH-Entscheidung sei, so die "Süddeutsche" weiter, dass der Neunte Senat des BFH mit seinem neuen Beschluss ein erst kürzlich gefälltes Urteil aus dem eigenen Haus über den Haufen wirft. Der Dritte Senat hatte zu einem ähnlichen Fall den Aufschlag als zulässig bezeichnet.
Der zuständige Richter meinte dazu, "eine Ärgerlichkeit" reiche nicht aus, damit der Zins verfassungswidrig werde. Die Richterkollegen hätten für ihre Entscheidung eine große Bandbreite von Zinssätzen für Einlagen und Kredite zugrunde gelegt. Die Spanne reichte von 0,15 bis 14,7 Prozent. Damit habe der Aufschlag von sechs Prozent "die Bandbreite realitätsnaher Referenzwerte nicht verlassen". Das sehen BFH-Präsident Rudolf Mellinghoff und die weiteren Richter des Neunten Senats anders.
Dass der einheitliche Zinssatz die Arbeit der Verwaltung vereinfache, ließen die BFH-Richter jetzt auch nicht mehr gelten.
Ein Gericht, auch ein Höchstgericht, muss sich ans Gesetz halten, nicht ans Gefühl.
Und das Gesetz muss aus der Legislative gekommen sein, nicht aus dem Finanzministerium und nicht aus einem Präzedenzfall.