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Zehn Tote bei Zugunglück: "Kein dringender Verdacht" gegen Fahrdienstleiter

Von nachrichten.at/apa, 10. Februar 2016, 13:56 Uhr
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Bildergalerie Schweres Zugunglück in Bayern
Bild: (Reuters)

BAD AIBLING. Zehn Tote forderte das schwerste Zugunglück in Bayern seit 40 Jahren. Nach ersten Vernehmungen der Polizei ergibt sich kein dringender Verdacht gegen den Fahrdienstleiter. "Wir wehren uns vehement gegen dieses Gerücht", sagte Polizeisprecher Jürgen Thalmeier.

Zeitungen des Redaktionsnetzwerks Deutschland hatten unter Berufung auf Ermittlerkreise berichtet, ein Bahnmitarbeiter habe möglicherweise das automatische Sicherheitssystem außer Kraft gesetzt, um einen verspäteten Triebwagen durchfahren zu lassen.

"Kein dringender Verdacht"

Nach ersten Vernehmungen der Polizei ergibt sich kein dringender Verdacht gegen den Fahrdienstleiter. "Wir wehren uns vehement gegen dieses Gerücht", sagte Polizeisprecher Jürgen Thalmeier am Mittwoch am Unglücksort im Hinblick auf entsprechende Berichte.

Zwar könne ein Fehler oder Vergehen des Diensthabenden auch nicht ausgeschlossen werden; die Ermittlungen stünden noch am Anfang. Doch sei der Fahrdienstleiter bereits unmittelbar nach dem Zusammenstoß zweier Regionalzüge am Dienstag befragt worden. Daraus ergebe sich "noch kein dringender Tatverdacht", betonte Thalmeier.

Die Deutsche Presse-Agentur hatte aus zuverlässiger Quelle erfahren, dass die Tragödie auf der Strecke Holzkirchen-Rosenheim durch menschliches Versagen ausgelöst worden sei. Derzeit ermitteln die Beamten auch im Stellwerk von Bad Aibling. Wie Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) bekannt gab, arbeitet inzwischen eine 50-köpfige Sonderkommission der Kriminalpolizei an dem Fall.

Neun Opfer identifiziert

Zudem steht inzwischen die Identität von neun der zehn Opfer fest. Dabei handelt es sich ausschließlich um Männer im Alter von 24 bis 60 Jahren, sagte Thalmeier. Sie alle stammten aus der Region. Unter ihnen seien auch die zwei Lokführer sowie ein Lehr-Lokführer, der routinemäßig einen der beiden Männer auf seiner Fahrt begleitete.

Die Polizei rechnet nicht mehr mit weiteren Todesopfern. "Es wird niemand mehr vermisst", sagte ein Sprecher des Polizeipräsidiums Oberbayern Süd am Mittwochfrüh. Nachdem alle Personalien abgeglichen worden seien, dürfte sich kein weiteres Opfer in den beiden havarierten Zügen befinden. Der Sprecher war zudem zuversichtlich, dass alle Verletzten überleben werden. "Wir dürfen optimistisch sein."

Im Rathaus von Bad Aibling liegt ein Kondolenzbuch aus. Dort können Angehörige oder trauernde Bürger ihr Beileid bekunden oder auch Mut zusprechen.

Suche nach dritter "Blackbox"

Der deutsche Verkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) rechnete damit, dass die dritte sogenannte Blackbox aus den verunglückten Zügen in Bayern noch am Mittwochnachmittag geborgen werden könnte. Ohne eine Analyse der Daten dieses Fahrtenschreibers, der ähnlich wie in Flugzeugen Informationen über das Fahrzeug sammelt, sei eine Klärung des Hergangs schwierig.

Zwei dieser Boxen seien bereits geborgen worden. Nach der bisherigen Auswertung gebe es keine Hinweise auf einen technischen Fehler oder Fehler bei der Signalbedienung durch einen der Lokführer, sagte Dobrindt am Mittwoch in Bad Aibling im Sender n-tv vor einer Pressekonferenz. "Das sagt aber noch nichts darüber aus, was am Ende der Untersuchung stehen wird", sagte Dobrindt. Bisher sei die Ursache noch unklar.

In den Führerständen der in Bayern verunglückten Züge waren nach Angaben der Lokführergewerkschaft GDL jeweils zwei Lokführer anwesend. Die regulären Lokführer seien in beiden Zügen von Lehrlokführern begleitet worden, sagte der GDL-Vorsitzende Claus Weselsky in Berlin. Lehrlokführer sind Ausbilder. Einer von ihnen besaß nach Worten Weselskys die Berechtigung, Prüfungen abzunehmen.

Bergung der Züge angelaufen

Die Bergung der Unglückszüge wird nach Einschätzung der Rettungskräfte noch mindestens zwei Tage dauern. Am Mittwochvormittag wurden zwei Bergezüge mit Kränen aus Fulda und Leipzig erwartet, sagte der Einsatzleiter der Feuerwehr, Wolfram Höfler.

Schweres Zugunglück in Bayern
Mit diesem Kran sollen die schweren Wrachteile von den Gleisen gehoben werden. Bild: (dpa)

 

Zunächst sollten Mitarbeiter des Technischen Hilfswerks (THW) mit schwerem Schneidegerät versuchen, die Triebköpfe auseinanderzuschneiden und danach die Züge voneinander zu trennen. Ungefähr hundert Helfer sind im Einsatz.

Bahngewerkschaft fordert genaue Prüfung

Beim Zugunglück müsse "genau überprüft werden, ob hier nicht systemische Sicherheitsmängel vorliegen", forderte Roman Hebenstreit, Vorsitzender des Fachbereichs Eisenbahn in der österreichischen Gewerkschaft vida. Er hob zudem den Stellenwert einheitlicher, hoher Ausbildungsstandards im europäischen Eisenbahnwesen hervor.

Das Grundprinzip im Eisenbahnwesens laute: "Ein Fehler eines Einzelnen darf nicht zur Katastrophe führen." Wie es beim Unfall in Bad Aibling dazu kommen konnte, dass alle Schutzmechanismen versagt haben, müsse geklärt werden. Vorschnell die Schuld auf einen einzelnen Mitarbeiter abzuwälzen, sei der falsche Weg. Die Eisenbahn als "industrialisierte Form des Verkehrs" bedeute ein arbeitsteiliges Zusammenwirken von mehreren Personen im Betrieb, der Führer des Fahrzeuges verfüge immer nur über einen Teil der Informationen. Umso wichtiger sei die fundierte Ausbildung der Mitarbeiter. Österreich sei hier vorbildhaft.

Auf europäischer Ebene sehe die Sache anders aus: "Die bisherigen Aktivitäten der Europäischen Kommission gehen hier leider den genau gegenteiligen Weg", kritisierte Hebenstreit. Einheitliche Ausbildungsstandards, etwa für einen Fahrdienstleiter, suche man vergebens. Die European Railway Agency (ERA) versuche, die Anforderungen an Grundqualifikation beim Triebfahrzeugführer auf Volksschulniveau zu senken.

"Ich fordere einheitliche, modulare Ausbildungen im europäischen Eisenbahnwesen", sagte Hebenstreit. "Ich halte überhaupt nichts davon, dass Unter-20-Jährige bereits einen voll besetzten Schnellzug steuern dürfen sollen." Künftige Ausbildungsstandards müssten sich am höchsten Niveau orientieren.

Kein Österreicher unter den Toten

Außenamtssprecher Thomas Schnöll teilte am Mittwoch unter Berufung auf Informationen der deutschen Behörden mit, dass keine Österreicher ums Leben gekommen oder schwer verletzt worden sind. Ob sich Landsleute unter den sonstigen Verletzten befanden, war vorerst unklar.

Indes zollte der Einsatzleiter und Gesamtkoordinator der Tiroler Hilfskräfte bei dem Unglück, der Kufsteiner Bezirksrettungskommandant Gerhard Thurner, seinen bayerischen Kollegen im Gespräch mit der APA ein großes Lob. "Ich war sehr überrascht über die Organisation und die Struktur vor Ort. Hut ab vor den bayerischen Kollegen", sagte Thurner, der die 135 Tiroler Rettungskräfte aus den Bezirken Kufstein, Kitzbühel und Schwaz koordinierte.

Die Tiroler Einsatzkräfte waren um 7.30 Uhr alarmiert worden. Zunächst war von "100 Betroffenen" die Rede, schilderte Thurner. Es seien zunächst jedenfalls mehr Opfer befürchtete worden, da die beiden Züge auf der Strecke normalerweise um ein Vielfaches mehr an Fahrgäste befördern würden.

Bis direkt an die Unfallstelle gelangten die Tiroler Helfer dann nicht. Diese sei aufgrund der örtlichen Gegebenheiten nur sehr schwer zugänglich gewesen. Bergretter mussten sich laut Thurner mit Booten über einen Fluss zu den Verunglückten durchkämpfen. Die Tiroler Helfer hätten dann vor allem Shuttledienste durchgeführt."Wir haben etwa die mit Hubschraubern von der Unfallstelle transportierten Schwerstverletzten übernommen und mit den Autos zu weiteren Hubschraubern gebracht", erklärte der Bezirksrettungskommandant. Von dort seien die Verletzten dann in die umliegenden Krankenhäuser gebracht worden.

Am späten Dienstagvormittag war der Einsatz für die Tiroler Rettungskräfte wieder beendet. In Bayern seien zu der Zeit "alle Kräfte aus allen Landkreisen" mobilisiert worden. Da die Tiroler Helfer nicht direkt an der Unfallstelle im Einsatz waren, seien ihnen auch die schrecklichsten Bilder erspart geblieben, so Thurner.

Bahnexperten: Sicherheitstechnik zuverlässig

Auch nach dem Zugunglück halten Experten die Sicherheitstechnik bei der Bahn in Deutschland grundsätzlich für zuverlässig. "Sie können kaum mehr tun, als auf dieser Strecke getan wurde", sagte der Ehrenvorsitzende des Fahrgastverbandes Pro Bahn, Karl-Peter Naumann. Das sogenannte punktförmige Zugbeeinflussungssystem, das Züge im Notfall zwangsweise abbremsen kann und auch die Unfallstrecke gesichert hat, sei "relativ stabil". "Man kann natürlich nie einen technischen Defekt ausschließen. Aber im Großen und Ganzen ist es ein altbewährtes System, das immer wieder etwas verbessert worden ist und das ohne riesige Elektronik auskommt", sagte Naumann. Die Möglichkeit, dass sich Fehler einschleichen, sei relativ gering.

Jochen Trinckauf, Professor für Verkehrssicherungstechnik an der Technischen Universität Dresden, sagte dem Deutschlandfunk: "Es ist praktisch ausgeschlossen, dass zwei Signale gleichzeitig Fahrt zeigen können." Das Zugbeeinflussungssystem könne aber auch umgangen werden - etwa bei einer Störung. In diesem Fall übernehme der Mensch die Verantwortung.

Verletzungen: Knochenbruch bis Schädel-Hirn-Trauma

Ein behandelnder Arzt hat sich unterdessen über die Art der Verletzungen der Opfer geäußert. "Es war das ganze Spektrum vorhanden, Knochenbrüche, innere Verletzungen, alles." Auch schwere Schädel-Hirn-Traumata seien bei solch schweren Unfällen üblich. Mit Rücksicht auf den Schutz der Betroffenen wollte sich das Krankenhaus Agatharied in Hausham am Mittwoch nicht konkret zu den Verletzungen der bei ihnen behandelten Patienten äußern. Generell gelte mit Blick auf die Dauer des Krankenhausaufenthaltes bei vergleichbaren Verletzungen: "Zwei Wochen aufwärts, da ist aber keine Grenze gesetzt - je nach Verlauf." Agatharied ist etwa 20 Kilometer von der Unfallstelle bei Bad Aibling entfernt.

Schwerstes Unglück seit 40 Jahren

Am Dienstagmorgen waren zwei Nahverkehrszüge auf der eingleisigen Strecke zwischen Holzkirchen und Rosenheim frontal ineinander gerast. Zehn Menschen starben, 17 wurden schwer, 63 Reisende leicht verletzt. Die Katastrophe ist das schwerste Zugunglück in Bayern seit mehr als 40 Jahren.

Als die Züge am Morgen gegen 6.45 Uhr zusammenstießen und sich die Triebwagen ineinander verkeilten, entgleiste einer der Züge und mehrere Waggons kippten zur Seite. "Der eine Zug hat sich förmlich in den anderen hineingebohrt und die Kabine des zweiten Zuges komplett auseinandergerissen", berichtete Verkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) sichtlich betroffen vor Journalisten. "Das sind Bilder, die einen natürlich auch sehr stark emotional belasten, weil man sich nicht vorstellen kann, dass solche Unglücke auch bei uns vorkommen können."

Die Rettungs- und Bergungsarbeiten gestalteten sich extrem schwierig, weil die Unglücksstelle in einem Waldstück an einer Hangkante neben dem Flüsschen Mangfall liegt. Rund 700 Rettungskräfte kümmerten sich um die Verletzten. Helikopter brachten die Schwerverletzten in Krankenhäuser, wo sämtliche geplanten Operationen sofort abgesagt wurden, um Kapazitäten für die Versorgung der Opfer zu schaffen. Wasserwacht und Bergwacht waren ebenfalls im Einsatz. Zum Teil zogen die überwiegend ehrenamtlichen Helfer die Opfer auch in Bergungssäcken mit Winden an den Hubschraubern hoch und flogen sie an das andere Ufer der Mangfall.

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