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Pater Ibrahim aus Aleppo: "Wir sind im Auge des Zyklons"

Von nachrichten.at/apa, 08. Juni 2016, 09:26 Uhr
Zerstörte Stadt Bild: (Reuters)

ALEPPO. "Wir sind im Auge des Zyklons." So beschreibt Pater Ibrahim Alsabagh die verzweifelte Lage der Christen in Aleppo. Fünf Franziskaner-Patres organisieren in der umkämpften syrischen Stadt den täglichen Überlebenskampf der verbliebenen 50.000 Christen.

"Niemand weiß, wohin sich die Lage entwickelt." Pater Ibrahim, der sich für einige Tage in Wien aufhält und Freitagabend in der "Langen Nacht der Kirchen" in der Schottenkirche über das Franziskaner-Hilfswerk in Aleppo berichten wird, sieht nach fünf Jahren Krieg keine Lösung. "Weder diplomatisch noch militärisch", sagt er im Gespräch mit der APA. "Doch wir Christen geben die Hoffnung nicht auf. Wir brauchen ein Wunder."

"Sicherlich ist das kein Bürgerkrieg", hält P. Ibrahim in seiner Analyse fest. Auch Papst Franziskus habe von einem "internationalen Krieg" gesprochen. Hinter den Nahost-Kriegen stünden ausländische Interessen - ökonomische zur Kontrolle von Öl und Gas und geografische zur Sicherung von Machtpositionen. Viele Staaten seien beteiligt. Technik und Wissenschaft machen es möglich, "dass wir das Kriegführen delegieren können".

Dazu komme das Element der Religionskonflikte, ausgehend vom Machtstreit der Akteure in der islamischen Welt, so der Pater. "Alle träumen davon, die muslimische Welt zu führen", arabische Staaten wie Saudi-Arabien, Katar und der Iran ebenso wie die Türkei mit ihrem "ottomanischen Traum". Die Jihadisten des Daesh ("Islamischer Staat") bezeichnet Pater Ibrahim als "ein Monster, das gezielt geschaffen wurde". Ein solcher Apparat mit modernster Technologie und Logistik "kann nicht aus dem Nichts entstanden sein".

Mitten drin liege Aleppo, resümiert der syrische Franziskaner, wo "zwei Löwen", die USA und Russland, kämpfen und "ein Schakal", die Türkei, auch ihren Anteil haben wolle. Nur 70 Kilometer trennen Aleppo von der türkischen Grenze, und von dort reisten die Islamisten ein. "Aleppo befindet sich im Auge des Zyklons." Die Christen-Bezirke im Westen sind unter Kontrolle der syrischen Regierungstruppen. Von wegen "gemäßigte Rebellen": "Das ist ein Witz. Für uns sind sie alle Terroristen. Wir beten, dass wir nicht unter deren Kontrolle geraten."

Bitterer Alltag

Der Alltag der Christen ist bitter. "Täglich fallen Raketen." Unzählige bewaffnete Gruppen bekämpften einander. "Aus Rache töten sie oft Zivilisten, werfen Bomben auf Häuser, Kirchen, Spitäler." Immer wieder würden Kirchen während Messfeiern beschossen, wenn sie gut besucht sind. "Jeder Tag ist eine Herausforderung. Wenn ich die Messe feiere, sind alle Koordinaten für einen Angriff gegeben", schildert der Priester seine Gefühle. Die Gläubigen ließen sich von der Gefahr nicht abschrecken, betont er. Etwa 60 Prozent der Kirchen sind beschädigt oder zerstört.

Zwei Drittel der Christen sind im Zuge des Krieges aus Aleppo geflüchtet, jetzt leben noch 12.000 Familien, etwa 50.000 Menschen dort. Sie gehören meist den ärmsten Schichten an, 85 Prozent sind ohne Arbeit, erzählt der Pater. Sie ernährten sich schlecht, das Geld für Arztbesuche fehle. Angehörige im Ausland könnten meist auch nicht finanziell helfen. Zurückgeblieben sind oft Eltern, Frauen und Kinder von Geflüchteten. "Wer soll sich um sie kümmern?" Für diese Menschen bauten die Franziskaner ein umfassendes Hilfswerk auf. Internationale Hilfsorganisationen seien kaum präsent.

Das Wirkungsgebiet der fünf Franziskaner in Aleppo umfasst mehrere Kirchen und fünf Zentren. Vor zwei Jahren wurde in Kooperation mit "Kirche in Not" eine große Hilfsaktion gestartet: Verteilung von Nahrungspaketen, Stromzahlung für 600 Familien, Bezahlung von Haus- und Wohnungskrediten sowie Schulgeld für Bedürftige, Finanzierung medizinischer Hilfe, von Arztbesuchen bis zu Operationen, Fürsorge für Schwangere und Babys, Instandsetzung beschädigter Häuser.

Wasser- und Stromversorgung sind ein Grundproblem. Ständig werden neue Brunnen gebaut, schildert der Pater. In vier Zentren verteilen die Franziskaner Wasser, besonders an ältere Menschen und kinderreiche Familien, und stellen Container bereit. Die Patres zahlen vielfach auch den Treibstoff für den Betrieb der Generatoren, denn monatelang gibt es keinen Strom.

Sommercamp für Kinder

Neuerdings wird auch ein Sommercamp für Kinder und Jugendliche organisiert, um den tristen Alltag zu erhellen. 350 Kinder sind dafür schon in der Pfarre vorgemerkt. Für traumatisierte Frauen, Personen mit Depressionen und geistig behinderte Jugendliche gibt es einwöchige, von Freiwilligen begleitete Ausflüge aufs Land, die Abwechslung bringen sollen.

Dass viele der aus dem Kriegsgebiet Geflüchteten je wieder in die syrische Heimat zurückkehren werden, glaubt Pater Ibrahim nicht. "Für sie ist Aleppo eine Stadt des Todes." Dort gehe für sie die Sonne nicht mehr auf, sagt der Kirchenmann wehmütig. Auch die Zurückgebliebenen in seiner Gemeinde stellten sich, sobald eine Bombe falle, die Frage: "Soll ich flüchten oder nicht?" Die Priester müssen dann Trost spenden und ihre Schäfchen moralisch aufrüsten.

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