"Viele Juden leben in Angst um ihre Sicherheit"

Von nachrichten.at/apa   27.Jänner 2016

"Im Jahr 2015 sind ca. 20.000 Juden aus Europa nach Israel ausgewandert. Die meisten - 8.000 - aus Frankreich und eine ähnliche Zahl aus der Ukraine", sagte Deutsch am Donnerstag im Gespräch mit der APA in Brüssel.

Deutsch nahm zuvor an der Generalversammlung des European Jewish Congress (EJC) in Brüssel teil. In Frankreich seien schon vor den Terroranschlägen in Paris vom November Scheiben jüdischer Geschäfte zerschlagen und Juden tätlich angegriffen worden. Dort sei der Antisemitismus großteils islamistisch motiviert. Am stärksten sei der Antisemitismus in Großbritannien, weil dort viele radikale Muslime lebten und auch sehr viele britische Staatsbürger die Terrormiliz "Islamischer Staat" (IS) unterstützten. Es gebe in Großbritannien "bei sehr vielen einen Israel-Hass und auch Boykotte an den Universitäten, wo man Juden nicht mehr möchte", sagte Deutsch. In der Ukraine seien der Krieg, der Antisemitismus und auch die wirtschaftliche Situation Gründe für die Auswanderung.

"Wir spüren speziell den islamischen Antisemitismus bei uns in Österreich", so der IKG-Präsident. "Aber es ist bei weitem Gott sei Dank nicht so, wie es in anderen Ländern ist. Bei uns ist es noch möglich, jüdische Symbole, also eine Kippa zu tragen. In anderen Ländern, Frankreich, Belgien, in Teilen von Deutschland wird den Gemeindemitgliedern nahegelegt, nicht offen jüdische Symbole zu tragen. Das ist natürlich eine Richtung - für uns Juden, aber eigentlich für die gesamte Gesellschaft -, wo etwas nicht stimmt." Aus Österreich seien Juden bisher nur vereinzelt ausgewandert. "Ich kann von einer starken Migration nicht sprechen. Ich bin sehr froh, dass dies nicht der Fall ist", sagte Deutsch.

Deutsch verlangte umgehend spezielle Integrationskurse für Flüchtlinge und eine genaue Unterscheidung zwischen Kriegs- und Wirtschaftsflüchtlingen. "Für Kriegsflüchtlinge darf es keine Obergrenzen geben, für die anderen schon." Es sei sicher nicht die Aufgabe Österreichs und Deutschlands, Wirtschaftsflüchtlinge "auch noch aufzunehmen".

In Österreich habe er bisher keinen Anstieg des Antisemitismus wegen der Migranten aus dem Nahen Osten festgestellt, so Deutsch. "Die Normalität dieser Menschen ist nicht die Normalität, die in unserer Gesellschaft gelebt wird. Ich kann aber noch nicht sagen, dass der Antisemitismus in diesen paar Monaten aufgrund der Flüchtlinge gestiegen ist. Das ist in dieser kurzen Zeit nicht zuzuordnen." Viele Flüchtlinge seien allerdings in ihren Heimatländern durch Schulen und Medien mit antisemitischen Haltungen konfrontiert gewesen. Dies sei "auch nicht in vielen Integrationskursen einfach herausbekommen aus den Köpfen".

Deutsch forderte Spezialkurse, in denen Flüchtlingen die Werte der österreichischen und der europäischen Gesellschaft und eine Haltung gegen den Antisemitismus vermittelt würden. "Die Politik muss sofort mit der Integration beginnen. Ich weiß nicht, ob das wirklich passiert", so der IKG-Präsident. "Wir müssen einfach damit rechnen, dass die Leute, die bei uns sind, auch bleiben. Also muss man ihnen helfen, sich schnellstens zu integrieren." Die Arbeitsmarktlage mache die Situation noch schwieriger, aber Flüchtlinge zu bevorzugen, wäre "sicherlich auch nicht fair".

Beim European Jewish Congress sei das Sicherheitsthema dominant gewesen. Viele Juden in ganz Europa würden sich nicht trauen, in Schulen und Synagogen zu gehen, wenn diese nicht bewacht werden, sagte Deutsch. Viele Gemeinden könnten sich das aber nicht leisten, daher bemühten sich die jüdischen Gemeinschaften um Finanzierungszusagen der Regierungen. "In Österreich ist das dank unserer Innenministerin gelöst. Die österreichische Regierung hat sich bei den Kosten beteiligt", sagte Deutsch. Von 35 europäischen Ländern hätten dieses Problem aber nur sieben gelöst.

Deutsch begrüßt die jüngste Anregung des ÖVP-Europaabgeordneten Heinz Becker, einen europäischen Aktionsplan gegen den Antisemitismus zu schaffen. Durch den Rechtsruck in Ungarn und Polen sei noch schwieriger geworden, sagte er.