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"Die Identität musste erst wachsen"

Von Roswitha Fitzinger, 17. November 2018, 00:04 Uhr
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Bildergalerie Oberösterreich feiert seinen 100. Geburtstag
Bild: VOLKER WEIHBOLD

17 Jahre lang war Josef Ratzenböck Oberösterreichs Landeshauptmann, er hat dieses Land mit aufgebaut und auch geprägt. Ein Interview anlässlich 100 Jahre Oberösterreich von Roswitha Fitzinger.

Im kommenden Jahr feiert auch er einen runden Geburtstag, Josef Ratzenböck wird im April 90 Jahre alt. Die OÖNachrichten haben mit ihm über die Entwicklung von Oberösterreich, seine wichtigsten und bewegendsten Momente gesprochen.

OÖNachrichten: Als Sie geboren wurden, hatte die Republik, hatte das Land gerade einmal seit zehn Jahren Bestand. In welchem Oberösterreich sind Sie aufgewachsen?

Ratzenböck: Die früheste Erinnerung, die ich habe, ist die an die Unruhen im März 1934. Ich habe damals nichts von Politik verstanden, erinnere mich nur an das maßlose Entsetzen meiner Eltern, ihre Angst vor Krieg. Das Jahr 1938 ist mir ganz stark in Erinnerung. Damals habe ich mir mit meinem Vater die letzte Rede von Bundeskanzler Schuschnigg im Radio angehört. Das hat mich ungeheuer beeindruckt, auch weil ich das erste und letzte Mal gesehen habe, dass mein Vater weint – bei Schuschniggs Worten "Gott schütze Österreich". Dass Männer weinen, war damals unüblich. Männer weinten nicht. Später, beim Einmarsch der Deutschen, sind auch durch meinen Heimatort Neukirchen die deutschen Truppen marschiert. Ich bin mit meiner Mutter vor unserem Wirtshaus gestanden und hab’ die Panzer und Soldaten angeschaut. "Es wird Krieg geben", hat meine Mutter damals gesagt und gemeint: "Gut, dass der Pepi noch so klein ist." Ich bin auch noch eingezogen worden, 1944, und habe sechs Schulkollegen verloren. Ich weiß heute noch ihre Namen.

Gab es damals bereits so etwas wie ein oberösterreichisches Identitätsgefühl?

Man hat sich als Österreicher gefühlt. Die oberösterreichische Identität musste erst wachsen, aber das Oberösterreich-Gefühl ist immer stärker geworden, vor allem mit dem Erstarken der Kulturvereine.

17 der 100 Jahre waren Sie Landeshauptmann von Oberösterreich, was waren die entscheidenden Momente?

Der allerwichtigste Moment war der Beitritt zur Europäischen Union. Das war ein ungeheures Ereignis, vor allem für jene Menschen, die noch in den Krieg ziehen mussten. Davon haben viele, auch ich, geträumt, dass einmal eine Zeit kommt ohne Krieg in Europa. Als ich am 1. Jänner 1995 vor dem Landhaus die Fahnen hochgezogen habe und die Hymnen erklungen sind, die Europahymne, die Bundeshymne, die Landeshymne, war das deshalb einer der bewegendsten Momente.

Ein weiteres historisches Ereignis war sicher der Fall des Eisernen Vorhangs?

Absolut. Der Eiserne Vorhang hat ja zu unserem Leben gehört. Die allgemeine Meinung war: Der Eiserne Vorhang wird immer da sein und erst nach einem Atomkrieg fallen. Ohne Krieg werden die Russen nie weichen.

War das auch Ihre Meinung?

Selbstverständlich. Oberösterreich hatte kein Dach in dem Sinne, dass oberhalb von Oberösterreich nichts war. Wir haben den Osten ganz vergessen. Ich habe zwei bis drei Jahre vor der Grenzöffnung eine Verbindung zu den Tschechen gesucht, mich mit tschechischen Funktionären getroffen, weil ich der Meinung war, dass wir irgendwann gemeinsame Verkehrspolitik machen müssen. Damals ist ein alter Mann zu mir gekommen und hat gefragt: "Herr Landeshauptmann, als wir jung waren, sind wir immer zum Volksfest nach Freistadt gefahren, glauben Sie, dass das noch einmal kommen wird?" Ich hab "Ja" gesagt, aber das war eine Lüge. Ich hab nicht daran geglaubt.

Umso bewegender war dann sicherlich der Moment, als Sie am 11. Dezember 1989 gemeinsam mit dem Kreisvorsitzenden von Südböhmen, Miroslav Senkyr, den Stacheldraht durchschnitten haben?

Natürlich. Allerdings herrschte beim Durchschneiden des Stacheldrahtes ein derartiges Gedränge, dass ich fast gar nicht dazu gekommen bin, an die weltpolitische Bedeutung dieses Augenblicks zu denken. Es hat da diese lustige Szene gegeben, bei der ein Journalist beim Drübersteigen über eine der Stacheldrahtrollen hängengeblieben ist. Er hat sich sein Hosenbein abgerissen, sodass er fast nackt dagestanden ist. Trotz des Ernstes der Stunde haben alle wahnsinnig gelacht, auch weil er so herumgehüpft ist, als er den Stacheldraht abschütteln wollte. Er hat einen Wahnsinnstanz aufgeführt.

Wenn Sie nochmals Landeshauptmann sein könnten, gibt es etwas, das Sie anders machen würden?

Ich habe keine Ahnung, darüber denke ich eigentlich auch nicht nach, habe nie darüber nachgedacht. Ich habe die Chance gehabt und getan, was ich für richtig und wichtig gehalten habe.

Was war besonders wichtig in Ihrer Amtszeit ab 1977?

Zunächst beispielsweise der Wohnbau. Nach dem Krieg war die halbe Stadt zerstört. Ich hatte damals in Hermann Reichl, einem Sozialisten, einen wunderbaren Mitstreiter. Es wurden viele Milliarden für eine Idee aufgebracht, die viele Nachahmer gefunden hat. Mit dem sogenannten Ratzenböck-Plan wurde in der Stadt der Wiederaufbau von zerstörten Wohnungen mit billigsten Darlehen gefördert. Es handelte sich um Wiederaufbaudarlehen mit einer 100-jährigen Laufzeit ohne Zinsen. Ich kann heute in Linz noch sagen, dieses Haus ist ein Wiederaufbau und jenes ist ein Wiederaufbau, weil ich überall dabei war. Meine Idee war, zahlt jetzt zurück und nicht die nächsten 100 Jahre, und wir schenken euch die Hälfte. Die Leute sind gekommen und haben massenhaft gezahlt, weil sie ihren Kindern keine Schulden vererben wollten.

Was sind heute die größten Herausforderungen im Land?

Vor allem der Umweltschutz, der Bodenverbrauch, die Schaffung neuer Arbeitsplätze, und zwar nicht irgendwelche, sondern solche, die in die neue Arbeitswelt hineinpassen. Aber hier liegen wir eh sehr gut, und zwar nicht nur, was die Wissenschaft angeht, sondern vor allem, was Innovationen und Unternehmensgründungen junger Leute betrifft. Was da an Kreativität da ist, ist beeindruckend.

Gibt es Entwicklungen in diesem Land, die Ihnen Sorgen bereiten?

Eigentlich nicht.

Was ist mit der zunehmend feindlichen Stimmung gegen Ausländer und Migranten?

Ich halte den Zustrom von Flüchtlingen nicht für bedenklich. Man sollte immer daran denken, dass auch viele von uns einmal als Flüchtlinge in dieses Land gekommen und jetzt zu vollen Österreichern geworden sind.

Und obwohl es uns so gut geht wie nie zuvor, wir in Frieden leben, wird die Unzufriedenheit immer größer.

Unzufriedene Menschen gibt es immer. Davon darf sich ein Politiker nicht irritieren lassen. Unzufriedenheit ist auch notwendig, sonst gibt es keinen Fortschritt. Wenn allerdings ernsthafte Krisen entstehen oder Kriege drohen und die Menschen Angst haben, dann rücken die Leute zusammen.

Einem 100-jährigen Geburtstagskind wird normalerweise gratuliert. Welche Wünsche wären für Oberösterreich angebracht?

Ich wünsche Oberösterreich, uns Oberösterreichern, dass wir auch weiterhin in einer friedlichen Welt leben können. Für mich ist der Frieden das Um und Auf des Lebens. Es liegt an uns.

Für viele ist der Frieden selbstverständlich, ist Krieg heute wieder möglich?

Ich fürchte ja, wie das Beispiel Jugoslawienkrieg zeigt. Bis jetzt haben wir in Europa die meisten Kriege geführt, die größte Zerstörung verursacht, und auch wenn alle Politiker versichern, dass das nicht mehr geschehen darf, bis jetzt haben wir aus der Geschichte eigentlich nichts oder nur wenig gelernt. Das Vergessen ist mir selber passiert. Damals, als ich in Leonding unter einem Lkw voller Waffen lag und mir die Bombensplitter um die Ohren geflogen sind, hab ich mir vorgenommen, da werde ich wieder herkommen und mich erinnern.

Und sind Sie wieder zurückgekommen?

Nein. Damals war ich einsam und aufnahmebereit, aber dann habe ich darauf vergessen. Ich war nie wieder dort.

 

Zur Person

Josef Ratzenböck wurde am 15. April 1929 als Sohn eines Gast- und Landwirtes in Neukirchen am Walde (Bez. Grieskirchen) geboren. Er maturierte am Akademischen Gymnasium in Linz und promovierte 1952 in Wien zum Doktor der Rechtswissenschaften.

1953 trat er in die ÖVP-Landesparteileitung ein, fungierte von 1969 bis 1977 als ÖVP-Landesparteisekretär, wurde 1973 erstmals in den Landtag gewählt und kam in die Landesregierung, wo er für die Ressorts Finanzen und Kultur zuständig war. Von 1977 bis 1995 war er ÖVP-Landesparteiobmann und Landeshauptmann von Oberösterreich.

Ratzenböck gilt als Begründer des heutigen Seniorenbundes, der Landesausstellungen und der Musikschulen, weiters als Initiator des Nationalparks Kalkalpen und Erfinder des Wähler- und Bürgerservice als unbürokratische Anlaufstelle.

Seit 1954 ist Josef Ratzenböck mit Anneliese verheiratet, das Paar hat zwei Kinder.

 

 

Wie gut wissen Sie über unser Bundesland Bescheid? Machen Sie unser Oberösterreich-Quiz!

 

 

 

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3  Kommentare
3  Kommentare
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( Kommentare)
am 18.11.2018 11:57

Der einzige der was "verbockt" hat sind Sie.Und zwar Ihr ganzes Leben !
Einen schönen Sonntag in das wunderschöne Wels.

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Rufi (4.739 Kommentare)
am 18.11.2018 14:18

Das ganze Leben
ist noch nicht vorbei.

Er müßte vorwärts schauen - ich traus ihm immernoch zu.

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herzeigbar (5.104 Kommentare)
am 18.11.2018 04:59

Schade um Interview. Wenn einer der Krieg erlebte solche Aussagen tätigt.

Gibt es Entwicklungen in diesem Land, die Ihnen Sorgen bereiten?

Eigentlich nicht.

Er hat Krieg miterlebt - Sorgen in eigener Familie und kann Sorgen Bevölkerung zu dieser Zeit nicht sehen.

Trotz aller Errungenschaften in seiner Amtszeit, hat er es leider,
weil er Sorgen der Bevölkerung JETZT nicht Ernst nimmt einfach verbockt.

Wennst in Oberösterreich in Szenarien gedrängt wirst, wo Du durch Amtsmissbrauch Schreiben Gerichtsgutachten durch LAWOG und nicht Gerichtsgutachter Skandal 2012 bis 2016 Dein ganzes Hab und Gut verlierst, BG-Wels Aktenzahl 428/12 und 635/13. Wo trotz Anzeigen 2014 nichts unternommen wird und versucht wird Dich zu besachwalten um alles zu vertuschen Akt P 158/14.

Und wo weiterhin seit 2014 Aufklärung Bezahlung Gläubiger Gelder aus Privatkonkurs 19 S 10/95 von Richtern verhindert wird und gelogen wird das sich Balken biegen.

Was sagt uns das über Zustand in Oberösterreich?

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