Der Dichter aus dem Wald
Waldbauernbub, Volksdichter, Bestsellerautor, Deutschtümler, Vereinnahmter, Vergessener. Peter Rosegger starb vor 100 Jahren. Überlebt hat nicht das Werk, sondern der Mythos.
Vergessen. Ungelesen. Verstaubt. Wäre nicht das Gedenkende und Jubilierende, die vier Bände mit braunem Stoffbezug, von der Buchgemeinschaft Donauland 1965 ans Mitgliedsvolk gebracht, verblieben weiter unbeachtet im hintersten Winkel des Dachbodens. Ausgewählte Werke sind darin versammelt. Jakob der Letzte. Heidepeters Gabriel. Das ewige Licht. Und die Erzählungen aus Jugendtagen, "Als ich noch ein Waldbauernbub war", von denen bestenfalls zur Weihnachtszeit das kurze Erinnerungsstück "Als ich Christtagsfreude holen ging" aus der Versenkung gezogen wurde.
2018 ist alles anders, der Zahlenspiele wegen. Vor 100 Jahren, am 26. Juni 1918, tat Peter Rosegger seinen letzten Atemzug. Vor 175 Jahren, am 31. Juli 1843, wurde der spätere Dichter, der aus dem Wald kam, am Kluppeneggerhof am Alpl im steirischen Krieglach als erstes von sieben Kindern geboren. Der schwächliche, kränkelnde Bub taugte nicht fürs zupackende Tagwerk eines Bauern. Auch die Absicht, aus ihm einen Pfarrer zu machen, erhält keinen bischöflichen Segen. So geht er bei einem Wanderschneider in die Lehre, mit dem er von Hof zu Hof zieht.
Zum Volksdichter erhoben
Doch längst hat der Zauber des gedruckten Wortes den Sohn eines Analphabeten erfasst, geschürt von der lesekundigen Mutter und von einem als Freigeist verjagten Lehrer, der alsdann die Kinder der Bauern unterrichtete. Erste literarische Versuche köderten Förderer und Gönner, die ihn zum Volksdichter erhoben, eine schulische Bildung ermöglichten – und den Vielformulierer, kritischen Journalisten, Zeitschriften-Herausgeber und Schriftsteller in bürgerlichen Kreisen herumreichten.
Rosegger verstand es, seine Literatur unter die Leute zu bringen. Rund 450 Lesereisen führten ihn von Norddeutschland bis Istrien. Sein mehr als 50 Bände umfassendes Werk setzte 15 Millionen Exemplare ab. Neben Jules Verne war der Steirer der meistgelesene Autor seiner Zeit, was sich in fleißig fließenden Honoraren niederschlug. Der Titel seines 1877 erschienenen Bestsellers "Waldheimat" wurde über die Landschaft seiner Jugend gestülpt. Der Begriff dient den Touristikern heute als Vehikel zur Vermarktung der Region.
Der kritische Geist scheint getrieben, sich zu allem und jedem zu äußern. "Seine Irrtümer, Vorlieben und Aversionen trägt Rosegger offen zur Schau", schreibt Christian Teissl im aktuellen Buch "Man kommt sich vor wie in der Wüste" (Styria Verlag, 160 Seiten, 22 Euro), das sich den letzten Lebensjahren des Literaten widmet. Dessen Zerrissenheit manifestiert sich vielfältig. Da macht einer das ländliche Dasein zu seinem Stoff, der die meiste Zeit im urbanen Graz verbringt. Da wettert ein Traditionalist gegen die Technisierung und freut sich dennoch über die Errungenschaft elektrischen Lichts. Da stimmt einer ins Weltkriegs-Hurra-Geschrei ein, um aus seinem Humanismus heraus letztendlich die Entmenschlichung zu beklagen. Sein Deutschtum bringt den zwei Mal verheirateten Vater von fünf Kindern vermutlich um die höchste Auszeichnung. 1913 galt Rosegger als Favorit für den Literaturnobelpreis. Der Schriftsteller setzte sich für deutsche Schulen in den gemischtsprachigen Landstrichen von Böhmen und Mähren ein. Erboste Tschechen verhinderten eine Ehrung mittels Telegramm an die Schwedische Akademie. Antisemitische Ausfälle, zu denen sich Rosegger hinreißen lässt, kommen den Nationalsozialisten später recht, um den Heimatdichter für sich zu vereinnahmen.
Die soziale Ader, Kritik am Kapitalismus, die Warnungen vor der Zerstörung der Umwelt – alles verblasst. Sein Werk wird kaum noch gelesen. Überlebt hat der Mythos Waldbauernbub.
Peter Rosegger - Zitate und Sprüche
„Ein Talent hat jeder Mensch, nur gehört zumeist das Licht der Bildung dazu, um es aufzufinden.“
„Des Geldes wegen wird Raubbau, um nicht zu sagen: perverse Naturkraftverschwendung getrieben. […] Wir dürfen es nicht darauf ankommen lassen, dass in unseren Ländern ein starker Baum, ein ursprüngliches Tier, ein wilder Bach zur Kuriosität wird.“
„Mir scheint, wir erfahren es heute, dass es besser bekommt, wenn echte Naturprodukte schlecht gekocht werden, als wenn gefälschte Nahrungsmittel mit raffinierter Kunst bereitet auf den Tisch kommen.“
"Auf der Börse „verdient“, sagen sie und wollen damit das freche Glücksspiel beschönigen, als ob es ehrliche Arbeit wäre."
"Alles Große, das Menschen je geleistet, geht aus der Einsamkeit, aus der Vertiefung geistigen Schauens hervor."
"Bei an Weib Glück hab’n, das kann jeder Bua, aber mit an Weib glücklich sein, da g’hört viel dazua."
Bei der letzten Frankfurter Buchmesse durften die Verleger mit einer positiven Meldung aufwarten: "Der Trend zum Zweitbuch hält weiterhin an!"
Viele Werke von vielen Dichtern werden kaum (noch) gelesen. Da wird auch das Werk des
Herrn Teissl keine Ausnahme sein.