Unsichtbare Arbeiter
Bei einem nackten Produkt weist nichts darauf hin, wie es hergestellt wurde, nichts, welche Geschichten dahinterstecken, wer es erzeugt hat. Für den Käufer bleibt alles unsichtbar. Das Museum Arbeitswelt in Steyr erzählt ab 3. Mai die Geschichten hinter den Produkten.
Noch wird im Museum Arbeitswelt in Steyr geschraubt, gebohrt und installiert. Es herrscht reges Treiben in der ehemaligen Messer- und Waffenfabrik. Und wenn am 3. Mai die Ausstellung "Arbeit ist unsichtbar" eröffnet wird, sind alle Arbeiter weg. Wiewohl ihre Arbeit in der Ausstellung zum Ausdruck kommt, bleibt sie doch unsichtbar. Keine Rede ist dann mehr von den abertausenden Stunden des Aufbaus, der Ideenfindung, der Recherche. Die Ausstellung wird dann quasi Teil ihrer selbst sein.
Doch die Museumsleitung setzt freilich viel früher an. Vor rund 250 Jahren, dem Beginn der industriellen Revolution. Für die Entwicklung, die Europa und die Welt grundlegend veränderte, dient die Stadt Steyr als eine Art Zeitzeuge. Denn zum einen ist alles, was hier geschah, gleichzeitig in hunderten anderen Städten geschehen, und zum anderen steht kaum eine Stadt in Österreich in dem Ausmaß Pate für das Wort Arbeit, wie Steyr.
Arbeit, wie wir sie heute kennen
"Obwohl die Menschen vor rund 20.000 Jahren begonnen hatten, die Natur zu ihren Zwecken zu bebauen und zu bearbeiten, dauerte es bis vor rund 250 Jahren, bis mit der Dampfmaschine das Arbeiten zu dem wurde, wie wir es heute kennen, mit Fabrikshallen, Chefs, Büro und Freizeit", erinnert eine Stimme am Beginn.
Wie in ganz Europa entstanden auch in Österreich Fabriken. In Steyr wurde eine der größten Gewehrfabriken Mitteleuropas errichtet. Ihren Grundstein legte Leopold Werndl. "Begünstigt durch den nahen Erzberg und der Enns als zentralen Transportweg", sagt Robert Misik, einer der Kuratoren der Ausstellung "Arbeit ist unsichtbar".
Doch die Menschen waren es anfangs nicht gewohnt, in der Fabrik zu arbeiten. "Für viele war es ein Kampf um Takt und Zeit, sie verstanden nicht, warum sie sich plötzlich zwingen lassen mussten, diszipliniert zu arbeiten – was auch zur Einführung der Fabriksglocke führte. Es dauerte eine ganze Generation, bis sich alle mit der Struktur in der Fabrik angefreundet hatten", sagt Misik.
Gut und schlecht gleichzeitig
Zwangsläufig kommt einem die Frage in den Sinn, warum sich die Menschen dieser Struktur überhaupt unterworfen haben. Darauf hat Robert Hummer, der sich um die historische Recherche gekümmert hat, eine Antwort: "Sie haben gemerkt, dass das industrielle Arbeiten auch Vorteile hat. Man verdient ganz gut, man hat Freiheiten, die man in seinem Handwerksberuf nicht hatte, durfte heiraten. Freilich, man hat etwas verloren, aber auch etwas gewonnen. Es ist gut und schlecht gleichzeitig."
Um die Ambivalenz, aber auch die Macht der Arbeiter zu zeigen, bringt Hummer ein Beispiel, das er in einem alten Personalbuch einer Gießerei in Wr. Neustadt gefunden hat: "In Handwerksberufen gab es den ‚Blauen Montag‘. Auf diesen beriefen sich die Handwerker auch in den Fabriken und arbeiteten montags nicht. Es hat funktioniert, weil die Fachkräfte im Kollektiv eine enorme Macht hatten."
Die zweite Generation der Fabriksarbeiter hatte das Diktat der Fabriksglocke schon verinnerlicht. In Steyr genoss die Stammbelegschaft Privilegien. "Das wollte natürlich jeder erreichen", sagt Hummer. "Man bekam eine Identität, man war ein ‚Werndler‘. Freilich kamen auch soziale Annehmlichkeiten dazu, wie die Arbeiterwohnungen im Eysenfeld. "Die Arbeiter gaben drei Viertel ihres Lohns für Lebensmittel aus. Im eigenen Garten konnten sie aber Gemüse anbauen und Tiere halten. So konnten sie die Kosten für die Ernährung reduzieren."
Auf der einen Seite gab es also die Privilegierten, auf der anderen Seite jene Arbeiter, die, bei ökonomischen Zwängen, gekündigt wurden. "Es gab also eine Klassengesellschaft", erzählt Hummer.
Die Arbeiter strukturierten sich den Akkord selbst. "Sie haben sich nicht gegenseitig gehetzt. Sie gingen nicht über ein gewisses Tempo hinaus. Das war eine Form der Burn-out-Prophylaxe. Die Konzernleitung wusste das, mischte sich aber nicht ein", sagt Hummer. "Immer, wenn ein Arbeiter sich nicht an die stille Übereinkunft gehalten hat, wurde er diszipliniert."
Ein Roboter als Mitarbeiter
Doch die Ausstellung in Steyr blickt nicht nur zurück, auch die Gegenwart und die Zukunft spielen eine wichtige Rolle. So war beispielsweise Christoph Mayer in der Demokratischen Republik Kongo und führte dort Interviews mit Minenarbeitern, die Coltan abbauen. "Es war wie eine Zeitreise", sagt Mayer. "Sie gehen mit einer Schaufel zwei Stunden lang in die Arbeit. Von denen, die den Profit kassieren, wissen sie nichts. Und wenn sie einmal zwei Monate keinen Lohn erhalten, dann müssen sie auf ihr Erspartes zurückgreifen." Dabei handelt es sich aber nicht um Geld, sondern um zwei Ziegen, die einer der Minenarbeiter stolz herzeigte. "Die sind 80 Euro wert."
Während es in den Minen der Demokratischen Republik Kongo so wirkt, als sei die Vergangenheit noch nicht in der Gegenwart angekommen, steht die Welt bereits erneut vor einem Umbruch, der ähnlich einschneidend werden könnte, wie jener vor 250 Jahren. Um dies zu verdeutlichen, wird auch ein Roboter Teil der Ausstellung – beziehungsweise Mitarbeiter – sein.
"Es darf nachgedacht werden, wie Roboter unser Leben verändern", sagt Hummer. "Wir schüren aber keine Angst, im Sinne von ‚die Roboter nehmen uns die Arbeit weg‘. Nein, sie könnten uns ja von mühsamer Arbeit befreien", sagt Misik. "Diese Entwicklung hat, wie jede Maschinisierung in der Geschichte, eine Wohlstandsmehrungs- und Entlastungsfunktion. Sie birgt aber auch Gefahren, nämlich dass es nicht notwendigerweise zur Entstehung von Jobs in besser zahlenden Branchen kommt, sondern diese vielleicht zerstört."
Eines ist aber gewiss: "Die Arbeit, die hinter der Ausstellung steckt, verändert die Sichtweise auf Dinge des täglichen Gebrauchs", sagt Katrin Auer, Geschäftsführerin vom Museum Arbeitswelt, die gemeinsam mit Robert Hummer vor drei Jahren mit der ersten Studienreise nach Finnland und Schweden mit der Arbeit an der Ausstellung, die einen Wert von knapp 500.000 Euro hat, begonnen hat.
Auch davon ist in der Ausstellung nichts sichtbar. Ohne diese Reise würde sie aber genauso wenig am 3. Mai eröffnen, wie ohne die hunderten Stunden, die bis dahin noch geschraubt und gebohrt werden.
"Arbeit ist unsichtbar", Museum Arbeitswelt in Steyr; Eröffnung: 3. Mai, 19 Uhr. Öffnungszeiten: Dienstag bis Sonntag von 9 bis 17 Uhr (4. Mai bis 23. Dezember); Eintritt: 7 Euro (ermäßigt 5 Euro); barrierefrei und auch für Gehörlose geeignet. Gratiseintritt in den ersten beiden Wochen. www.museum-steyr.at