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Mann ohne „Halsschmerzen“

Von Von Klaus Buttinger, 29. August 2009, 00:04 Uhr
Mann ohne „Halsschmerzen“
Karls Partisanenausweis: Sein Pseudonym lautet „Austriak“. Bild: but

Ich hatte nie Halsschmerzen“, sagt Karl X. (85) über seine Zeit als Marine-Infanterist im Zweiten Weltkrieg. „Halsschmerzen“ hieß, man verspüre das Verlangen, mit dem Ritterkreuz ausgezeichnet zu werden. X., der anonym bleiben möchte, desertierte 1944 und schloss sich der polnischen Heimatarmee an.

In Wien als lediges Kind geboren, wächst Karl X. in Bad Ischl bei seinem Vater auf. Als Zehnjähriger bekommt er die Februarkämpfe 1934 mit und den Juli-Putsch der Nationalsozialisten. Den Einmarsch der Wehrmacht in Österreich 1938 beobachtet er mit eigenen Augen.

OÖN: Was ist Ihnen von damals in Erinnerung geblieben?

Karl: Ich war ein wenig enttäuscht, weil die Deutschen Pferdefuhrwerke hatten und manche Soldaten bloßfüßig gingen. Ich hatte mir die Wehrmacht markanter vorgestellt. Das ist mir ein bisserl schwach vorgekommen.

OÖN: Dann kam bald der Kriegsbeginn ...

Karl: Unsere Familie war damals eher sozialistisch orientiert. Dennoch dachte meine Stiefmutter, mein Vater würde nun unter den Nationalsozialisten mehr Geld verdienen können, um neues Gewand zu kaufen. Mein Vater antwortete sarkastisch und im Wissen, was auf ihn zukommt: „Ich brauch’ kein neues Gewand. Ich krieg’ eh eines.“ Er wurde dann eingezogen zur OT, zur Bautruppe „Organisation Todt“ und baute in Frankreich die Abschussrampen für die V1. Er hat den Krieg auch überlebt.

OÖN: Wie kamen Sie zum Militär?

Karl: Ich meldete mich freiwillig zur Kriegsmarine. Weil bei uns sehr viele junge Männer direkt zur SS eingezogen wurden. Dorthin wollte ich auf keinen Fall. Ende 1941 rückte ich ein.

OÖN: Was war Ihr erstes prägendes Kriegserlebnis?

Karl: Auf dem Zugtransport in den Osten, 1942, habe ich gesehen, wie russische Kriegsgefangene von der SS behandelt wurden. Das war in Liebau (Liepaja, Anm.) in Lettland. Die Gefangenen bettelten uns auf Knie um Essen an. Wir warfen Essen aus dem Zug. Daraufhin drohte uns die SS, Sie zielte auf uns. Wir zielten zurück. Die SS-Männer stießen Gefangene mit den Gewehrkolben brutal in den Rücken. Unmenschlich! Da macht man sich Gedanken: Was ist, wenn man selbst gefangen wird? Wird man selbst so behandelt?

OÖN: Sie waren bei der Marine – und kamen an die Ostfront?

Karl: Nach der Aufgabe von Afrika, im Mai 1943, sind wir in den Osten gekommen. Wir dachten, wir kämen in die Ostsee zum Einsatz gegen Leningrad, sind aber als Landeinheit zum Mittelabschnitt der russischen Front gekommen. Von dort machte ich fast den ganzen Rückzug aus der Gegend mit. Im Herbst wurde ich verwundet: Oberschenkeldurchschuss. Den Winter 43/44 überstand ich im Lazarett nahe Frankfurt gut, dann kam ich wieder in den Osten an die Front.

OÖN: Dachten Sie damals schon daran, sich abzusetzen?

Karl: Ja, denn jeder sah schon, dass der Krieg nicht mehr lange dauern würde. Im Mai 1944 schloss ich mich zwei Kollegen von der Skijäger-Division an, die einen Marschbefehl nach Krakau hatten. Wir bewegten uns schon tagelang durch ein Gebiet, von dem wir nicht wussten, dass es Partisanengebiet war. Als ich einen Posten, von dem ich glaubte, er wäre Lette, um Feuer bat, hielt er mir die MP vor und sagte auf Polnisch „Hände hoch!“. Mit verbundenen Augen wurden wir zum Befehlsstand geführt. Es handelte sich um die demokratische polnische Partisanenbewegung, die polnische Heimatarmee „Armia Krajowa“. Bereits neun deutsche Gefangene waren in einer Hütte auf einem großen Gutshof im Wald untergebracht. Wir wurden gut behandelt, bekamen Essen, Zigaretten und auch Schnaps. Da dachte ich mir, das hier wäre doch was für mich; der Krieg wäre ohnehin bald vorbei.

OÖN: Und dann blieben Sie dort?

Karl: Nein. Ich vertraute mich einem polnischen Offizier mit dem Decknamen „Jaksa“ an. Er sagte, er habe nichts dagegen, wenn ich hierbliebe, allerdings seien wir für einen Gefangenenaustausch mit der SS vorgesehen. Sollte ich danach zurückkommen, sei ich jederzeit aufgenommen.

OÖN: Was geschah, nachdem Sie ausgetauscht wurden?

Karl: Die geheime Feldpolizei verhörte mich. Dann wurde ich nach Krakau geschickt, um mich für die Front neu auszurüsten. Da habe ich mir gesagt: Wenn du irgendwie kannst, verdrückst du dich und schaust, dass du zu den Partisanen kommst. Zum Glück konnte ich auf einem unbewachten Bahnhof aus dem Zug verschwinden. Dann ging ich in Richtung der Partisanen.

OÖN: Nicht ungefährlich – in Wehrmachtsuniform ...

Karl: Eine polnische Familie half mir, die Grenze zum Partisanengebiet zu finden. Dort näherte ich mich einem Posten – mit dem Gewehr um den Hals und vorgestreckten Händen. So nahm man mich fest. Ich rief immer wieder den Namen des mir bekannten Offiziers: „Kapitän Jaksa“; das heißt Reh. Man führte mich zu ihm, und er freute sich riesig, dass ich zurückgekommen war. Damit war ich bei denen aufgenommen.

OÖN: Was waren Ihre Aufgaben bei den Partisanen?

Karl: Ich wurde einer Funkstation, mit der sie die Verbindung mit der polnischen Exilregierung in England hielten, zugeteilt, hörte den deutschen Funk ab und übersetzte.

OÖN: Mussten Sie gegen ehemalige Kameraden kämpfen?

Karl: Nein. „Jaksa“ hat mich immer von gefährlichen Sachen herausgehalten. Ich bin ihm heute noch dafür dankbar. Er saß übrigens 14 Jahre unter den Kommunisten im Gefängnis.

OÖN: Wie lange waren Sie bei der Armia Krajowa?

Karl: Am 12. Jänner 1945 begann die große Offensive der Russen. Die kommunistischen Partisanen vertrugen sich aber mit den Londoner Partisanen überhaupt nicht. Deshalb setzten wir uns ab, parallel zu den deutschen Truppen, teilweise mitten unter ihnen. Am 19. Jänner kam der Befehl aus London, die Partisanengruppe aufzulösen. Ich blieb auf einem Bauernhof übrig. Von dort nahm mich ein russischer Offizier mit. Nach kurzem Verhör beim Generalstab kam ich zu den übrigen deutschen Gefangenen, so ungefähr 600.

OÖN: Ihre Gefangenschaft währte aber nur kurz ...

Karl: Wir sollten auf dem Marsch nach Osten eine Nacht in der Scheune eines großen Gutshofes verbringen. Ich wusste, dass gewöhnlich nur eines der vier Tore solcher Scheunen von außen zugesperrt werden. Die anderen Türen sind von innen nur mit Hölzchen gesichert. Mit einem jungen Kollegen bin ich aus der Scheune raus, bevor noch alle Gefangenen drinnen waren. Die Russen schossen uns nach, trafen aber nicht. Mein Kollege und ich schafften es, uns bis an die Oder durchzuschlagen. Dort fanden wir Unterschlupf auf einem geplünderten Kohlen-Schleppkahn. Aus den Bodenritzen in der Kombüse fischten wir anfangs verschüttete Körner heraus, wir fanden eine Speckschwarte, kochten daraus Suppe – acht Tage lang.

OÖN: Wie gestaltete sich Ihre Rückkehr nach Österreich?

Karl: Noch in Polen fand ich Arbeit bei der Wiederherstellung einer Brücke und später in einem Steinbruch-Betrieb. Bis 1946 war ich dort. Dann wollte ich heim fahren und brauchte Papiere zur Ausreise. Durch ein Missverständnis und eine Denunziation wurde ich zweimal verhaftet. Nach etlichen Wochen gelang mir die Flucht. Ich packte mein Zeug und brach auf Richtung Grenze, nach Görlitz. Dort nahm mich die Miliz wieder hopp. Am Abend kam ein Offizieller und sprach mich in breitem Oberösterreichisch an. Es stellte sich heraus, dass er in Ried im Innkreis als Zwangsarbeiter gearbeitet hatte. Er gab mir den Tipp, mich zum Bahnhof durchzuschlagen und unter Umgehung der polnischen Streifen zum englischen Militär zu gehen, das dort die ausreisenden Volksdeutschen übernahm. Das ist mir gelungen, und die Engländer haben mir gleich einen Flüchtlingsausweis ausgestellt. Am 1. Mai 1946 war das. Nach wochenlangem Irren durch das Behördenlabyrinth in und um Braunschweig bin ich im Juni 1946 in Ischl angekommen.

OÖN: Wie bezeichnen Sie den Grund für Ihre Fahnenflucht? Ein Akt des Selbstschutzes?

Karl: Vorwiegend ja. Denn ich wusste: Als deutscher Soldat wirst du von den Russen nicht besser behandelt, als die Deutschen die Russen behandelt haben. Mir hat der Nationalsozialismus überhaupt nicht getaugt. Und je länger ich unter dessen Fuchtel gestanden bin und je mehr ich erfahren habe, etwa von den Konzentrationslagern in Polen, desto mehr habe ich mir gedacht: Mit denen möchte ich nichts mehr zu tun haben.

OÖN: Sie haben Ihre Geschichte in Österrich bisher nicht erzählt. Warum?

Karl: Ich arbeitete später bei einem deutschen Betrieb in Österreich, in dessen Führungsetage viele Sudetendeutsche saßen. Bei denen wäre ich als Verräter abgestempelt worden.

OÖN: Halten Sie rückblickend Ihre damaligen Entscheidungen für richtig?

Karl: Ich habe nie Halsschmerzen gehabt, also Sehnsucht nach einem Ritterkreuz. Ich habe von den Polen viele Jahre später ein paar Auszeichnungen bekommen und dort noch heute einen Freund. Als ich einen Orden bekam, hat er zu mir gesagt: „Karl, ich hab’ nicht gewusst, dass du großer Held.“ Meine Antwort: „Ich auch nicht.“

Karl X., verheiratet, 2 Kinder, arbeitet beim Verbund und 25 Jahre bei einer großen Versandfirma. Er ging als Betriebsratsvorsitzender und Prokurist 1987 in Pension.

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