"Öffnung des Arbeitsmarktes ist der Schlüssel zur Integration"

Von Baumgartinger Jasmin   17.Juni 2017

Arthur Winkler Hermaden ist seit 2013 Österreichs Botschafter in Schweden. Die Flüchtlingssituation ist für ihn keine andere wie in Österreich. Er sieht die Fakten, die neue Maßnahmen fordern. „Schweden ist im Grunde mit den gleichen Problemen konfrontiert wie Österreich. Im Jahr 2015 gab es eine sehr massive Zunahme der Einwanderung. Von jährlich 30.000 auf über 160.000. Das hat dazu geführt, dass die Kapazitäten in Schweden für die Aufnahme der Flüchtlinge nicht mehr vorhanden waren und der Zuzug massiv eingeschränkt werden musste. Grenzkontrollen, Asyl auf Zeit, Einschränkung des Familiennachzugs und andere Maßnahmen“.

 

 

Sonderfall Södertälje

Vor allem ein Ort zieht in Schweden Asylsuchende an: Die Industriestadt Södertälje. Südwestlich, etwa eine Autostunde von Stockholm entfernt, hat Migration bereits eine lange Tradition. Hier haben die Hälfte der 93.000 Einwohner ausländische Wurzeln.

Bürgermeisterin Boel Godner geht im Stadthaus von Södertälje gerade den täglichen Geschäften nach. Sie wirkt, als würde sie die Geschichte der Stadt nicht zum ersten Mal erzählen. Kein Wunder, denn die Kleinstadt kommt seit einigen Jahren nicht mehr aus den Schlagzeilen. Mal ist sie Positiv-, mal Negativbeispiel der gelungenen Integration. „Das mit den Flüchtlingen ist keine neue Situation für uns. Wir setzen uns mit der Integration bereits seit den 60er-Jahren auseinander“, sagt die Sozialdemokratin. Seit sieben Jahren ist sie Bürgermeisterin der Kleinstadt. Frustriert wirkt sie nicht. Im Gegenteil: Sie sieht Migration als Herausforderung, die es zu bewältigen gilt.

Auch die Zuwanderung aus dem Nahen Osten ist nichts Neues für Södertälje. In den 1960er-Jahren kamen die ersten Syrer und Iraker. 2003 flohen beinahe 10.000 verfolgte „Assyrer“, eine christliche Minderheit im Nahen Osten, in die schwedische Kleinstadt. 2013 folgten die Bürgerkriegsflüchtlinge aus Syrien. Mittlerweile leben 30.000 von ihnen in Södertälje und stellen dort die größte Bevölkerungsgruppe mit ausländischem Hintergrund. Die meisten von ihnen gehören der syrisch-orthodoxen Kirche an.

Mehr als sechs dieser Kirchen gibt es hier. In der syrisch-orthodoxen Kirche Sankt Afrem ist es an diesem Dienstagvormittag ruhig. Normalerweise versammeln sich hier bis zu 600 Personen. Sie wird den Besuchern der Stadt gerne als Vorzeigeobjekt präsentiert. Typisch "Schwedisches" sucht man hier lange. Goldene Deko, Plastikvasen und prunkvolle Wandmalereien - keine Spur von Ikea, hier findet man sich im Orient wieder. Bilder, die die Bewohner von Södertälje gewohnt sind. An diesem Ort herrscht Akzeptanz, Integration ist jedoch auch hier ein Thema.

Die Bürgermeisterin kann die Angst vor dem Fremden zwar verstehen, sieht es aber pragmatisch: „Es ist wie es ist. Jammern hilft nicht. Wir wollen als Positivbeispiel vorangehen. Beim Thema Integration sind wir der erfahrenste Ort in ganz Europa, wir haben die Verantwortung, diese Erfahrung zu teilen."

Es gibt ganze Landstriche ohne Flüchtlinge. Und es gibt Södertälje.

Seit März 2016 gibt es in Schweden einen Verteilungsmechanismus für anerkannte Schutzbedürftige. Jede Gemeinde ist seither verpflichtet, anerkannte Schutzberechtigte anzusiedeln. Vor dieser Gesetzesnovelle war die Aufnahme für die Gemeinden freiwillig. Nach wie vor können sich Schutzbedürftige nach dem Asylverfahren aber auch selbst eine Wohnung suchen. Das Problem: Flüchtlinge gehen in Schweden dahin, wo sich bereits welche befinden. Deshalb gibt es ganze Landstriche ohne Flüchtlinge. Und es gibt Södertälje.

„Viele Flüchtlinge geben bei den Behörden Södertälje als bevorzugten Wohnort an, weil dort bereits ihre Familienmitglieder und Freunde aufgenommen wurden. Das macht die Situation nicht besser, denn viele Menschen sind genötigt, von einer vorübergehenden Bleibe in die nächste zu ziehen. Das ist kein guter Start. Zudem bilden sich Communities. Das hemmt die Integration", erklärt die Bürgermeisterin.

"Eine gerechte Verteilung auf die Kommunen ist daher der Idealfall. Asylwerber in Oberösterreich und in ganz Österreich haben ein Quartier, das ihnen zugewiesen wird, und dort müssen sie auch sein. Als Schweden vor circa einem Jahr zu einem ähnlichen System gewechselt hat, hat die Bürgermeisterin von Södertälje das sehr begrüßt“, stellt Integrations-Landesrat Rudi Anschober fest.

Wohnraum ist in Schweden Mangelware

Leistbares Wohnen ist in Schweden Mangelware. Auch in Södertälje. Sozial benachteiligten Gruppen und Flüchtlinge, die meist mit wenigen Mitteln auskommen müssen, trifft das Wohnungsproblem hart. Mietwohnungen gibt es in Schweden relativ wenig, zudem werden kaum neue Wohnungen gebaut.

Um ein solches Wohnproblem in Österreich zu verhindern, sollen erste Maßnahmen gesetzt werden. "Wir versuchen jetzt in Oberösterreich, dass wir die Situation über Einzelmaßnahmen erleichtern. Wir wollen die mobilen Quartiersplätze für Asylberechtigte aufmachen. Das sind ein paar hundert Plätze, die kann man gut brauchen. Auch das Öffnen der leerstehenden Wohnungen im Bereich der gemeinnützigen Wohnbauträger ist eine Möglichkeit. Wir haben 900 leere Plätze in Oberösterreich, viele am Land. Die stehen seit ein, zwei Jahren leer, weil es den Bedarf gerade in Abwanderungsgemeinden nicht mehr gibt“, sagt Anschober.

Sprache ist der Schlüssel zum Arbeitsmarkt

Bürgermeisterin Godner wirkt von ihrem Kurs überzeugt: "Die Herausforderung ist es jetzt, sich um jene zu kümmern, die keine Ausbildung haben.Der Schlüssel zum Arbeitsmarkt ist die schwedische Sprache". In Södertälje investiert man in Bildung. Kein Normalfall, denn Sprach- und Wertekurse sind in Schweden nicht verpflichtend. „Ich bin überzeugt davon, dass die Vorgangsweise, die ersten sechs Monate für Sprachausbildung, Orientierung und Qualifizierung zu reservieren, wichtig wäre“, meint Rudi Anschober.

Integration ab dem ersten Tag

Wer hier ankommt, hat ab dem ersten Tag die Möglichkeit zu arbeiten. Da die meisten Flüchtlinge ohne Sprachkenntnisse nach Schweden kommen, wird dieses Modell hier eher in der Theorie, als in der Praxis gelebt. Dennoch ist Godner der Meinung: "Die Öffnung des Arbeitsmarktes für Asylwerber hat sich positiv auf die Integration ausgewirkt. Ich würde sogar sagen, es ist der Schlüssel zur Integration. Man findet Freunde und lernt gleichzeitig die schwedische Sprache". 30 Prozent der Männer finden nach zwei Jahren einen Job.

Integration ab dem ersten Tag ja, die Öffnung des Arbeitsmarktes ist aber nur schrittweise möglich, meint Anschober. "Mein Ziel wäre, dass wir einen Kompromiss schaffen. Wir wollen den Asylwerbern ab dem sechsten Aufenthaltsmonat Zugang zu Mangelberufen ermöglichen. In Oberösterreich wären das auf einen Schlag 1200 Jobs, die frei zugängig wären. Nachdem das System bei den Lehrstellen funktioniert, glaube ich, dass das ein ganz einfach umsetzbarer Schritt wäre, der im Übrigen von den Sozialpartnern, von der Wirtschaft und der Gewerkschaft unterstützt wird".

 

Integrations-Landesrat Rudi Anschober über seinen Besuch in Schweden: