"Zeit ist reif für die echten Reformen"

Von Lucian Mayringer   19.März 2018

Die Bilanz von Rechnungshofpräsidentin Kraker zu den ersten 100 Tagen der Regierung Kurz/Strache fällt kritisch aus. Ihr Rat: Anstatt sich mit Nebensächlichkeiten und mit Themen zu beschäftigen, aus denen sich die Politik besser heraushalten soll, wäre es höchste Zeit, echte Reformbrocken in Angriff zu nehmen.

 

OÖNachrichten: Die Regierung stimmt sich auf die Feierstunden anlässlich ihrer ersten 100 Tage im Amt ein. Ihre Bilanz dazu?

Margit Kraker: Ich weiß, dass sich die Regierung einiges vorgenommen hat. Ich habe aber noch nicht den Eindruck, dass sie sich schon mit den echten Reformthemen auseinandersetzen konnte. Nach der Vorlage des Budgets (am Mittwoch, Anm.) ist die Zeit wirklich reif, sich nicht mehr mit Nebensächlichkeiten aufzuhalten.

Prägend war etwa die Rücknahme des Rauchverbots. Steht das auf Ihrer Prioritätenliste?

Das ist keine Strukturfrage.

Ist die Rücknahme des Rauchverbots nicht sogar anachronistisch in Europa?

Deshalb läuft ja gerade ein Volksbegehren, weil viele der Meinung sind, dass man die Standards nicht zurücknehmen soll.

Werden Sie es unterschreiben?

Ich unterschreibe keine Volksbegehren, weil ich mir als RH-Präsidentin die Freiheit der Äquidistanz bewahren will. Aber inhaltlich unterstütze ich die Anliegen voll und ganz.

Vor allem die FPÖ betreibt auch leidenschaftlich eine ORF-Reform, die angeblich mehr Objektivität und geringere Kosten bringen soll. Sehen Sie diesen Reformdruck auch?

Klar ist: Jedes Unternehmen muss die Kosten im Blick haben. Es ist schade, dass die Politik Themen voranstellt, aus denen man sich optimalerweise heraushalten sollte. Es wäre gut, wenn die Politik den ORF in Ruhe lassen würde.

Aktuell gehen die Wogen beim Geheimdienst des Innenministeriums hoch. Das BVT zählt ähnlich wie der Rechnungshof zu den wichtigsten Institutionen der Republik. Beunruhigt Sie das, wenn eine Sicherheitsbehörde derart ins Wanken kommt?

Als Rechnungshofpräsidentin ist es mir ein besonderes Anliegen, dass man auf die Institutionen des Staates achtet. Schon aus diesem Grund braucht es hier Erklärung und Aufklärung.

Finanzminister Löger reaktiviert das Zauberwort vom "Nulldefizit", das er für 2019 anpeilt. Experten wie der Linzer Uni-Professor Friedrich Schneider sagen, vier Fünftel dieses Nulldefizits mache die gute Konjunktur aus. Das überschminke die fehlenden Strukturreformen. Was halten Sie von dieser Analyse?

Wir werden uns genau ansehen, welche Schwerpunkte im Doppelbudget gesetzt werden. Natürlich sind die konjunkturellen Bedingungen für die Haushaltsentwicklung günstig. Das erspart aber nicht Strukturreformen. Man kann nicht anstrengungslos die guten Einnahmen entgegennehmen.

Kurz und Strache haben den "schlanken Staat" ins Programm geschrieben. Hätte man sich deshalb nicht schon in den ersten hundert Tagen mit den Ländern an einen Tisch setzen mussen?

Ich bin hier wirklich – noch – Optimistin, dass man gleich nach dem Budget aktiv wird.

Wie sehen Ihre Diätvorschläge für den Staat konkret aus?

Ich möchte in drei Punkten wirkliche Ergebnisse: Das ist die Pflege, der Gesundheitsbereich, der Förderungsbereich. Man könnte auch den Bildungsbereich nennen. Wenn man hier in ein, zwei Jahren sagen kann, das Problem haben wir gelöst, dann gibt es in diesen Bereichen keine Verwirrung mehr, von der jetzt so viel gesprochen wird. Aber die Probleme lösen sich nicht durchs Reden – sondern durchs Tun.

Finanzminister Löger will bei den Förderungen heuer 190 Millionen Euro einsparen. Wäre da im Gesamtstaat mehr möglich?

Natürlich. Da muss man klären, wer welche Förderung federführend machen soll. Im Förderbereich geht es um Schwerpunktsetzungen. Dort sind die Spielräume.

Ein Ansatz ist, dass das kleine Österreich zu viele Verwaltungsebenen hat. Könnten Sie auf eine verzichten?

Ich spreche nicht vom Abschaffen. Ich habe in Oberösterreich gelesen, dass man eine Zusammenarbeit von Magistraten und Bezirkshauptmannschaften will. Das kann ich voll unterstützen.

Oberösterreich wehrt sich gegen Kassenfusionen. Man wolle die Überschüsse der Gebietskrankenkasse nicht in einem Bundestopf versenken und die Verhandlungshoheit abgeben. Haben Sie dafür Verständnis?

Das ist ein oberösterreichischer Standpunkt. Aber vielleicht kann man ja das gute Wirtschaften auf ganz Österreich übertragen. Bei dieser Reform der Sozialversicherung brauchen wir jedenfalls den ernsthaften Willen aller, damit die Reform auch den Namen verdient.

Anders als in anderen Bereichen schwimmen Österreichs Parteien im Fördergeld. Gleichzeitig lassen sie sich nicht in die Bücher blicken und liefern frei gestaltete Rechenschaftsberichte an den RH. Haben Ihre Forderungen nach mehr Prüfrechten schon irgendeine Reaktion ausgelöst?

Das Parteiengesetz ist 2012 mit diesen Rechenschaftsberichten auf halbem Weg steckengeblieben. Gehört wird unser Ruf nach echten Prüfmöglichkeiten schon. Und vor allem verlangt auch die OSZE, dass es zu einer echten Kontrolle der Parteifinanzen kommt.

 

Länder-Tour

RH-Präsidentin Margit Kraker geht künftig auf Länder-Tour, bei der sie „vier bis fünf“ Bundesländer pro Jahr besucht. Zum Auftakt kommt Kraker am Dienstag nach Linz, wo Gespräche mit Landesrechnungshofdirektor Friedrich Pammer, den Klubobleuten im Landtag und mit Landeshauptmann Thomas Stelzer auf dem Programm stehen.