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Illusion und Wirklichkeit einer Grenzmauer

Von Thomas Spang, 05. November 2016, 00:04 Uhr
Illusion und Wirklichkeit einer Grenzmauer
USA-Korrespondent Thomas Spang am Grenzzaun im Bundesstaat Arizona Bild: Spang

Sollte Donald Trump amerikanischer Präsident werden, will er zwischen den USA und Mexiko eine Mauer errichten, um illegale Einwanderer aufzuhalten. Was die Menschen im Grenzland davon halten, hat OÖN-Korrespondent Thomas Spang recherchiert. Ein Lokalaugenschein aus Arizona.

Der rote Stahlzaun an der Grenze endet so abrupt wie die vordere Zahnreihe von Joel Smith, der in der Wüste zwischen Arizona und Sonora zuhause ist. Hier, am 31. Breitengrad 20 Minuten Nord und dem 111. Längengrad 30 Minuten West, will Donald Trump eine "schöne, unüberwindbare Mauer" bauen, die ein für alle Mal die Erste von der Dritten Welt trennen soll.

"Ich weiß nicht, was an einer Mauer schön sein soll", sagt der 52-jährige Koordinator der Organisation "Humane Borders", die in dem entlegenen Grenzland zwischen dem "Organ Pipe Cactus National Monument", dem Stammesland der "Tohono O’odham"-Indianer und dem "Buenos Aires"-Naturschutzgebiet ein Netz an Trinkwasserstationen unterhält. Vier Mal in der Woche klappert Joel mit seinem weißen Gelände-Pick-up die 48 blauen Wassertanks ab, die unzähligen Migranten das Leben gerettet haben. Je weiter der Grenzzaun vorrückte, desto mehr wichen die Einwanderer in schwer zugängliche Gebiete aus, in denen niemand überleben kann, der sich dort nicht auskennt.

Illusion und Wirklichkeit einer Grenzmauer
„Wüstenengel“ Joel Smith, Koordinator der Organisation „Humane Borders“ Bild: Spang

 

Joels Aversion gegen die Mauer reicht bis in seine Kindheitstage in Westberlin zurück. Sein Vater war dort bei der US Air Force, und die Familie lebte unweit der Grenze. "Ich höre noch immer die nächtlichen Schüsse", spricht er über ein Trauma, das ihn nicht loslässt. "Das war die Monstrosität eines kontrollwütigen Staats", empört er sich. "So etwas brauchen wir hier nicht."

Fleckerlteppich an Barrieren

Tatsächlich gibt es entlang eines Drittels der rund 2000 Meilen langen Grenze schon einen Fleckerlteppich an Barrieren. Richtige Mauern stehen nur dort, wo Ballungsräume aneinanderstoßen. Im Buenos-Aires-Naturschutzgebiet sollen mit Zement gefüllte Stahlpfosten illegale Einwanderer und Drogenkuriere aufhalten.

"Das ist in jeder Beziehung eine Illusion", meint Joel, der gesehen hat, wie Leute in 20 Sekunden über den Zaun klettern. Für ihn ist Trumps Forderung nach einer Mauer nicht viel mehr als Augenauswischerei, "die niemanden in Iowa oder Ohio sicherer macht". Ausgerechnet in Bundesstaaten, die kaum Einwanderung haben und weit von der Grenze entfernt liegen, brüllen die Anhänger Trumps am lautesten "Build the wall – Baut die Mauer". Vielleicht weil sie dort am wenigsten wissen, wie es an der Grenze wirklich aussieht, spekuliert die Direktorin des "National Center for Border Security and Immigration" (BORDERS) in Tucson, Elyse Golob. Ihr vom Heimatschutz-Ministerium finanziertes Institut an der University of Arizona beschäftigt sich mit nichts anderem als Grenzsicherheit. Die 59-Jährige macht darauf aufmerksam, dass unterm Strich seit 2009 netto mehr Mexikaner die USA verlassen haben, als ins Land gekommen sind. "Die Wahrnehmung einer unkontrollierten Masseneinwanderung ist falsch." Es gebe nicht einen stichhaltigen Beweis, "dass die höchste, längste, größte Mauer jemanden abhalten würde".

Rosa Cortez bestimmt nicht. Die alleinerziehende Mutter versuchte vor drei Tagen unweit von Nogales durch die Wüste in die USA zu kommen. Die 42-Jährige flüchtete vor den Gangs, die Schutzgeld aus ihrem Schreibwaren-Laden im Süden Mexikos erpressen wollten. Sie fürchtete um ihr Leben und das ihrer drei Teenager, die sie bei Verwandten in Sicherheit brachte. Die Grenzpolizei griff sie auf und schob sie im Schnellverfahren ab.

In dem nach dem italienischen Missionar Eusebio Kino benannten Refugium gleich hinter dem Grenzübergang in Mexiko sitzt sie nun mit ein paar Dutzend anderen Schicksalsgenossen bei einem deftigen Frühstück aus Eierspeis, Bohnen und Tortilla. Ein Raum gefüllt nicht mit Vergewaltigern und Kriminellen, wie Trump im Wahlkampf hetzt, sondern Menschen, deren Verzweiflung sie dazu verleitet, ihr Leben in der Wüste zu riskieren.

Illusion und Wirklichkeit einer Grenzmauer
Suppenküche für die Abgeschobenen in der Stadt Nogales an der Grenze zu Mexiko Bild: Spang

Hilfe für die Flüchtlinge

Freiwillige der "Kino Border Initiative", die mit Unterstützung kalifornischer Jesuiten betrieben wird, stellen hier sichere Telefone bereit, lösen Schecks ein oder helfen beim Transport. "Geht nicht zur Mauer", schärft Schwester Maria den Migranten ein. "Sie wird vom Kartell kontrolliert."

Rosa will es ein paar Kilometer weiter östlich noch einmal versuchen. "Ich habe keine Wahl", sagt sie. "Ich mache es für meine Kinder." Ähnlich fühlt sich José aus Mexico City, der sich von einer Krankenschwester Stacheln eines Cholla-Kaktus aus dem Fuß entfernen lässt. Als er nicht mehr hinterherkam, ließ ihn sein Schlepper in der Wüste zurück. "Ich wäre fast verdurstet", erzählt José.

Wegen Menschen wie Rosa und José fährt Joel an manchen Tagen bis zu zwölf Stunden über halsbrecherische Pisten wie den "Camino del Diablo" (dt. Teufelsweg) und kontrolliert die Stationen. Die Begeisterung für die Mauer erklärt sich Joel mit dem Wunsch der Globalisierungsverlierer, "wenigstens etwas kontrollieren zu können". Einwanderer müssten dafür als Sündenböcke herhalten. Er selbst verdingt sich heute als Lagerarbeiter und verstärkte sein Engagement für "Humane Borders". "Es gibt hier einige Leute, die nicht mögen, was wir tun", weiß Joel. Obwohl die "Minuteman"-Milizen an Einfluss verloren haben, gibt es noch Einzelgänger, die schwer bewaffnet durch das Grenzland ziehen. "Vor denen habe ich mehr Angst als vor allen anderen."

Rancher John Ladd hält nicht viel von Selbstjustiz, hat aber den Glauben an Washington längst verloren. Seit ein Drogenkurier des Kartells 2010 seinen Schulfreund und Rancher Robert Krentz erschoss, verlässt der schnauzbärtige Cowboy sein Haus unweit des Grenzübergangs Noca nicht mehr ohne ein Funkgerät und seine Glock. Dabei versucht er jede direkte Konfrontation zu vermeiden. Wie zuletzt, als ihm drei gestohlene Pick-up-Trucks in hohem Tempo von der Grenze entgegenkamen. "Ich bin zur Seite gefahren und habe sie durchgelassen", erzählt Ladd, der sich keine Illusionen macht, wie die Sache sonst ausgegangen wäre. "Die sind völlig ruchlos", sagt der 61-jährige Rancher und zeigt ein Bild, auf dem der zerschnittene Grenzzaun zu sehen ist, durch den die Fahrzeuge gerast sind. "Das geht ganz schnell", weiß Ladd, dessen Land an Mexiko grenzt. "Wir brauchen jemanden, der mit der politischen Korrektheit Schluss macht und endlich etwas tut." Genau das verspricht er sich von einem Präsidenten Trump. "Die Republikaner wollen billige Arbeit, Demokraten billige Stimmen und Amerikaner billige Tomaten." Seine Lösung: Ein Gastarbeiter-Programm und harte Konsequenzen für illegale Einwanderer.

Illusion und Wirklichkeit einer Grenzmauer
Hofft auf einen Wahlsieg Donald Trumps: Rancher John Ladd Bild: SPANG

 

Der Bundesstaat Arizona versuchte lange vor Trump einen harten Kurs gegen Migranten durchzusetzen. Mit dramatischen Konsequenzen für die einheimische Wirtschaft und einer Schlappe vor dem Supreme Court, der das 2010 beschlossene Gesetz kippte. Der berüchtigte Sheriff Joe Arpaio von Maricopa County ignorierte das Gericht und sperrt bis heute Einwanderer ohne Papiere wie Schwerverbrecher mit Streifenanzügen in Zeltlagern ein. Dafür riskiert er seine Wiederwahl und könnte sogar selbst im Gefängnis landen.

Gespaltenes Arizona

"Arizona hat Trump-Rezepte als erster Bundesstaat versucht und ist damit auf die Nase gefallen", meint Joseph Garcia, Direktor des "Latino Public Policy Center" an der Arizona State University in Phoenix. "Dahin will niemand mehr zurückkehren." Allein schon deshalb verweigern die beiden republikanischen Senatoren und der Gouverneur des Staates Donald Trump jede Rückendeckung. Die Kommentatoren der einflussreichen Zeitung "Arizona Republic" erhielten Todesdrohungen, weil sie erstmals in der Geschichte des konservativen Blatts eine Demokratin unterstützten.

Umfragen sehen den Rechtspopulisten in dem bisher verlässlich republikanischen Staat gleichauf mit Hillary Clinton, die USA-weit einen 50-Prozent-Vorsprung unter Latino-Wählern hält. "Die weißen Männer fürchten um ihren Einfluss", erklärt Garcia den Enthusiasmus, den Trump mit Mauerversprechen auslöste. Die "Trumpers" versuchten eine demographische Veränderung aufzuhalten, die sich nicht mehr stoppen lasse. 2035 werden die Latinos die Mehrheit in dem Südweststaat stellen.

Der für Rancher Ladd zuständige Sheriff von Cochise County, Mark Dannels (63), will sich in die Politik nicht einmischen. Ihn treiben praktische Sorgen um. "Die Grenze ist nicht sicherer, als sie jemals war", widerspricht er der Sprachregelung des US-Heimatschutz-Ministeriums. "53 Prozent haben operationelle Sicherheit und 47 Prozent keine", zitiert er eine offizielle Statistik. "Wir gehören zu letzteren." Während das Thema der illegalen Einwanderung kein großes Problem mehr sei, hätten sich die Pfade der Drogenhändler verschoben. Inzwischen flössen "80 bis 90 Prozent" aller Drogen für den US-Markt durch die löchrige Südwestgrenze. Das Problem sei nicht die fehlende Mauer, sondern zu wenig Personal.

Illusion und Wirklichkeit einer Grenzmauer
Sheriff von Cochoise County, Mark Dannels Bild: Spang

3000 Tote seit 1999

So sieht es auch Rancher Ladd. "Ich glaube nicht, dass Trump wirklich eine Mauer baut", versucht er die Versprechen seines Kandidaten als "Wahlkampf" abzutun. An vielen Stellen ginge das gar nicht. Zudem sei eine Mauer ohne Grenzschützer nutzlos. Für die zehn Meilen Grenzland seiner Ranch veranschlagt Ladd drei Schichten mit jeweils 40 Beamten. Auf die gesamte Grenze hochgerechnet wären das 240.000 Grenzer. Zurzeit sind 20.000 im Einsatz. Solange sich hier nichts ändere, werde es auch weiterhin Tote geben. Wie zuletzt im September, als Rancher Ladd einen Einwanderer fand, der nach einem Sturzregen in einer Springflut ertrank.

Auf der Karte von "Humane Borders" ist jeder Tote an der Grenze mit einem roten Punkt markiert. Zwischen 1999 und 2016 zählte die Organisation fast 3000 elend ums Leben gekommene Menschen: verdurstet, überhitzt oder von einem Schlangenbiss vergiftet. "Das ist mein Land", sagt Joel, der grauhaarige Wüstenengel, dessen Gesicht von der sengenden Sonne so zerfurcht ist wie der staubtrockene Boden, auf dem sich außer Kakteen und Gräsern nicht viel halten kann. Eine Mauer an der Grenze bleibt für ihn eine Illusion mit tödlichen Konsequenzen. Egal wie die Wahlen ausgehen, "ich werde nicht zulassen, dass Menschen hier sterben."

Illusion und Wirklichkeit einer Grenzmauer
Grenzübergang in Nogales Bild: Spang

 

3100 Kilometer lang ist die Grenze zwischen den USA und seinem südlichen Nachbarland Mexiko. Mehr als ein
Drittel ist schon jetzt mit Zäunen, Mauern, Stacheldraht oder Pfostenreihen befestigt.

2,4 Milliarden Dollar (2,18 Milliarden Euro) kostet die Absicherung der Grenze zu Mexiko Amerika derzeit. Trump selbst schätzt die Kosten für sein Vorhaben auf acht Milliarden Dollar, Experten rechnen mit deutlich mehr.

Trumps Mauer-Projekt
Bild: OÖN-Grafik
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2  Kommentare
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Orlando2312 (22.250 Kommentare)
am 05.11.2016 18:54

Danke Till für diese Worte.

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( Kommentare)
am 05.11.2016 18:37

Ich rede für mich und frage, wie wichtig ist dieses Thema für uns?
Will uns hier eingeredet werden, wie stark wir von den Wahlergebnissen in den Staaten abhängig sind?
Sind wir, Europa nur mehr ein Kontinent der Abhängigen?
- Die einen sind pro USA und gegen Russland!
- Die anderen sind Pro Russland und gegen USA!
Hallo, Europa ist eine Wirtschaftsmacht. Die Grösste der Welt. Europa hat Kultur.
- Europa ist unvergleichbar mit unserem Nachbarn in Asien Russland.
- Europa ist aber sicher noch weniger Vergleichbar mit den USA

Alle schauen nur mehr auf andere Länder und verlieren unser Europäisches Selbstbewusstsein.
Weder die USA, noch Russland interessieren sich so für Europa, wie Europa glaubt sich für diese Staaten interessieren zu müssen.

Europa - der Krieg, denn du verloren hast ist vorbei - finde endlich wieder zu deinem Selbsbewusstsein. Es ist längst überfällig.

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