Theresa May: Angeschlagen, aber nicht angezählt

Von Jochen Wittmann, London   05.Oktober 2017

Die Geier kreisen, doch die Chefin bleibt: Das wäre, auf den Punkt gebracht, die Botschaft, die der Parteitag der britischen Konservativen aussandte, der gestern in Manchester zu Ende ging. Premierministerin und Parteivorsitzende Theresa May ist zwar angeschlagen, aber noch lange nicht angezählt.

Mit einer "Ruck-Rede" zum Abschluss des Parteitages forderte May sowohl Parteifreunde wie Kabinettskollegen auf, "sich zusammenzureißen" und "unsere Pflicht für Großbritannien" zu erfüllen. May wehrte Zweifel an ihrer Führungsrolle ab und gab sich kämpferisch. "Es war niemals mein Stil", rief sie, "mich vor einer Herausforderung zu drücken", und sie werde sich daher "angesichts von Schwierigkeiten nicht zurückziehen und aufgeben".

Herausforderungen für May hatte es auf dem Parteitag durchaus gegeben. Besonders von ihrem Außenminister Boris Johnson, der wegen seines Haarschopfs und seiner Neigung zur Intrige auch "blondes Gift" genannt wird. Johnson hatte es gewagt, in einem Interview vier rote Linien beim Brexit zu ziehen, die Mays Verhandlungsspielraum einengen würden.

Herausforderung Boris Johnson

Schon zuvor hatte Johnson die Autorität von May herausgefordert und war bis an die Grenzen der Illoyalität gegangen. In seiner Rede am Dienstag pries Johnson allerdings die Premierministerin. Seine Rede war eine als Loyalitätsadresse verkleidete Bewerbung um den Top-Job. Allein durch seinen Erfolg beim Parteivolk stellt er eine Gefahr für May dar, weil er demonstriert, um wie viel besser er in der politischen Ansprache sei als die oft hölzern wirkende May.

Es ist nicht nur der Außenminister, der in Manchester als möglicher Nachfolger von May gehandelt wurde. Der wie ein Landjunker auftretende Jacob Rees-Mogg zog die Delegierten ebenso an wie Ruth Davidson, die Chefin der schottischen Konservativen.

Ins Bild gerückt wurden Mays Nöte durch den Komödianten Simon Brodkin. Er schmuggelte sich in den Saal, drängte sich während Mays Rede nach vorne und drückte ihr ein so genanntes "P45" in die Hand, also das Formular eines offiziellen Kündigungsschreibens. "Boris hat mich dazu angestiftet", witzelte Brodkin, bevor er von den Sicherheitskräften aus dem Saal gedrängt wurde.

"Ungerechtigkeit wegfegen"

Mit ihrer Rede wollte die Premierministerin nicht nur demonstrieren, dass es für eine Ablöse noch zu früh sei und sie die Zügel fest in der Hand zu behalten gedenke. Sie beschwor auch ihre Mission, "jede Ungerechtigkeit im Land wegzufegen". Sie wolle Benachteiligten aller Couleurs helfen und "den britischen Traum erneuern", wonach jede Person, ungeachtet der Hautfarbe, Religion, Klasse oder des Alters, ihr Potential erfüllen könne.

Internationale Pressestimmen zu Theresa Mays Rede

"Times" (London):

"Ein Anführer braucht auch ein wenig Glück, doch das Glück hat Theresa May verlassen. Sie wollte in Manchester für die Schweigenden sprechen und verlor prompt ihre Stimme.(...)

Eine Rede, die bekräftigen sollte, wofür die Premierministerin einsteht und die wenigstens ein Minimum an Autorität wiederherstellen sollte, geriet zum Desaster. Sie bedauerte, bei der Neuwahl im Sommer ihre Mehrheit verloren zu haben. Sie wird wütend darüber sein, diese Chance für einen Neustart im Amt der Premierministerin verpasst zu haben. Nicht wenige werden diese verkorkste Rede als letzten Strohhalm angesehen haben und mit dem Komiker übereinstimmen, der ihr ein P45-Formular (zum Zeichen ihrer Entlassung) reichte. Aber die Frage, ob May im Amt bleibt oder gehen muss, kann nicht auf der Basis des äußeren Eindrucks entschieden werden. Ihre Partei muss sich fragen, was sie im Amt noch erreichen kann - nachdem ihre Stimme zurückgekehrt ist - und welche Alternativen es geben könnte, wenn sie zurücktritt oder aus dem Amt gedrängt wird."

"de Volkskrant" (Amsterdam):

"In Manchester wurde der gute Eindruck, den Theresa May (mit ihrer EU-Rede) in Florenz auf die Außenwelt gemacht hatte, wieder weggewischt. Dort hatte sie gegenüber der EU versöhnliche Töne angeschlagen. Sie hatte anerkannt, dass nach März 2019 eine Übergangsperiode nötig wäre, in der EU-Regeln wie die Personenfreizügigkeit für Großbritannien weiterhin gelten. Auch in finanzieller Hinsicht hatte May Konzessionen gemacht, indem sie erklärte, sich an Zusagen halten zu wollen. Sie schien damit Abschied zu nehmen von dem Slogan, kein Deal mit Brüssel sei besser als ein schlechter. Doch diese Haltung wirkte nun in Manchester wieder quicklebendig. Solange May zu schwach ist, um in ihrem Haus den Streit um den Brexit einzudämmen, wird die Stagnation am Verhandlungstisch andauern. May hat die Chance nicht genutzt, ihren in Florenz eingeschlagen konstruktiven Kurs zu bekräftigen. Damit hat sie den Briten - insbesondere den verunsicherten britischen Unternehmen - einen schlechten Dienst erwiesen."

"Frankfurter Allgemeine Zeitung":

"Also weiter mit May, die (...) versprach, den 'britischen Traum zu erneuern'. Ja, auch die Briten haben einen Traum, und zu dem gehören offenbar bezahlbare Wohnungen und nicht explodierende Energiekosten. (...) Dass die Regierung sich künftig auf die Bedürfnisse, Sorgen und Probleme der arbeitenden Bevölkerung konzentrieren will, kommt einer Art Schlussstrich unter die bisherige Politik der Konservativen gleich. Es ist die Antwort wiederum auf die Reaktion vieler Wähler auf die Krisen der vergangenen Jahre (...). Die Folge: In Britannien findet gerade ein Paradigmenwechsel statt. In gewisser Weise hat schon das 'Brexit'-Votum diesen Wechsel vorweggenommen: Es waren vor allem Wähler, die ihre eigene finanzielle Lage als bedrückend empfanden, die für den Austritt aus der EU stimmten. Die Regierung schwenkt darauf ein.

"Politiken" (Kopenhagen):

"Falls sie eine neue Vision für Großbritannien hat, ist sie außerstande, diese zu erklären. Falls sie glaubt, sie kenne die Brexit-Rechnung, enthüllt sie sie nicht. Und falls May zeigen will, dass die Regierung geeint, begeistert und loyal hinter ihr steht, haben die britischen Medien längst durchschaut, dass die Partei eher gespalten ist, die Begeisterung beherrscht und die Loyalität zweifelhaft - und nicht nur, weil der wunderliche Außenminister Boris Johnson über ihr Ablaufdatum spekuliert."