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Noch 7500 von 80.000 Jobs bei General Motors

Von Thomas Spang, Flint (Michigan), 27. Oktober 2016, 00:04 Uhr
Noch 7500 von 80.000 Jobs bei General Motors: "In den 80ern ging’s bergab"
Ein Ort für die unzähligen Armen der Stadt Flint: Im "Center of Hope" gibt es Räume zum Aufwärmen und kostenlose Bekleidung Fotos (2): Thomas Spang

Die Stadt Flint in Michigan steht stellvertretend für den Abstieg der US-Mittelklasse

Desiree Duell nimmt das Flackern des roten Alarmlämpchens an ihrem Wasserspender schon seit langem nicht mehr wahr. "Leider kann ich mir die Nachfüll-Patronen nicht leisten", erklärt die Künstlerin, warum das Geschenk eines wohlmeinenden Gönners keine Verwendung findet.

Dabei brauchen die 35-Jährige und ihr zehnjähriger Sohn David eine ganze Menge Frischwasser, seit aus den Hähnen daheim nur noch eine giftige Blei-Brühe läuft: zum Trinken, Kochen, Zähneputzen und Waschen. So geht es nicht nur Desiree, die vor ein paar Jahren das Haus mit den Spitzgiebeln kaufte. Im reichsten Land der Welt hat eine ganze Stadt mit 90.000 Menschen kein sauberes Wasser.

Die Bürger trauen niemandem mehr über den Weg, seit der sparwütige Zwangsverwalter Flints ihr Wohlergehen aufs Spiel setzte. Nur dank der hartnäckigen Nachforschungen der Kinderärztin Mona Hanna-Attisha vom "Hurley Medical Center" kamen die extrem schädlichen Konzentrationen an Blei im Trinkwasser zutage.

Kaputte Straßen, keine Öffis

Der Grund? Die Verantwortlichen ließen bei der Wasseraufbereitung aus Kostengründen eine Chemikalie weg, die eine Ablösung des Bleis aus den alten Rohren verhindert hätte. Der Wasserskandal geriet zum Symptom einer Krise, die weite Teile des industriellen Rostgürtels betrifft. Kaputte Straßen, altersschwache Brücken, abbruchreife Häuser, ungenießbares Trinkwasser, nicht vorhandener öffentlicher Verkehr und vernachlässigte Schulen finden sich überall. Wie keine andere Stadt in den USA ist Flint aber auch ein Symbol für den Aufstieg und Fall der amerikanischen Mittelklasse.

"Flint kann mit gutem Grund als die Wiege der amerikanischen Mittelklasse verstanden werden", erklärt der Historiker Mike Smith von der University of Michigan die Bedeutung der Stadt, deren 200.000 Einwohner 1960 "mehr Autos pro Kopf bauten als irgendwo sonst auf der Welt".

Wichtigster US-Arbeitskampf

Flint war auch Schauplatz des vielleicht wichtigsten Arbeitskampfs in der Geschichte der USA. Am 30. Dezember 1936 erstreikten Arbeiter die Anerkennung der "United Auto Workers". Die Gewerkschaft verstand sich als Bewegung, die Maßstäbe für den Rest des industriellen Amerikas setzte. Sie erkämpfte neben stetig wachsenden Löhnen das Recht auf Krankenversicherung, bezahlten Urlaub und Firmenpensionen.

"Sie konnten damals in eine Fabrik von General Motors spazieren und haben einen Mittelklasse-Job bekommen", beschreibt Smith die goldenen Tage. Auch Dan Ray kann sich an diese Zeit noch bestens erinnern. Fast wehmütig denkt er an die Vorweihnachts-zeit zurück, in der die Geschäfte an der Saginaw Avenue sogar nachts geöffnet hatten.

"In den 1980er Jahren ging alles bergab", sagt Ray, der selbst seinen Job verlor. Der Ölschock hatte GM auf dem falschen Fuß erwischt. Hinzu kam die Automatisierung, die Arbeitsplätze kostete. Von 80.000 Arbeitern im Jahr 1978 schrumpfte die Belegschaft von General Motors (GM) auf heute nur noch 7500 zusammen.

20.000 Häuser abbruchreif

Dan Ray fand einen neuen Job im "Center of Hope" der Catholic Charities – ein Ort für die Armen der Stadt, wo es Essen, Räume zum Aufwärmen, kostenlose Kleidung und Haushaltsgeräte gibt.

Der Bedarf kennt keine Grenzen: 62 Prozent aller Kinder der Stadt leben unter der Armutsgrenze. Einer von zwei Einwohnern Flints hatte 2015 keinen Job, 20.000 Häuser sind abbruchreif.

Angesichts dieser Zahlen wundert es kaum, dass Flint die Stadt mit der zweithöchsten Mordrate der USA ist. Die Politiker haben die Symbol-Kraft Flints längst entdeckt. Von hier stammt der in Reden ständig umworbene Wähler der "middle class". US-Präsident Barack Obama stattete der Stadt im Mai 2016 einen Solidaritätsbesuch ab. Hillary Clinton und Bernie Sanders stellten sich vor dem "Super-Dienstag" einem Kandidatenforum.

Unzufriedenheit unter Weißen

Im September tauchte auch Donald Trump in Flint auf, der mit dem Slogan "Make America Great Again" versucht, die Enttäuschten zu gewinnen. "Es war einmal so, dass Flint Autos baute und sie in Mexiko kein Wasser trinken konnten", versuchte Trump seine Zuhörer in einer methodistischen Kirche zu umwerben. "Heute werden Autos in Mexiko gebaut und sie können das Wasser in Flint nicht mehr trinken."

Historiker Smith versteht, warum Trumps Botschaft zum Teil auf fruchtbaren Boden fällt: "Es gibt ein großes Segment an gering gebildeten weißen Arbeitern, die unzufrieden sind, weil ihre gut bezahlten Jobs verschwunden sind." In der mehrheitlich afro-amerikanischen Stadt Flint stieß Trump auf Widerstand. Die Künstlerin Desiree Duell baute aus leeren Plastikflaschen eine Mauer, die als Kulisse einer Pressekonferenz diente, auf der Aktivisten unter dem Motto "Wasser statt Mauern" seinen Besuch kritisierten.

86.000 Dollar Bildungsschulden

In einem stimmt Duell mit Trump überein. "Der amerikanische Traum hängt am Tropf." Sie sei in einer Mittelstandsfamilie zur Welt gekommen, habe unter der Armutsgrenze gelebt und schleppe 86.000 Dollar Ausbildungsschulden mit sich herum.

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7  Kommentare
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pepone (60.622 Kommentare)
am 27.10.2016 15:27

die einzige alternative wird das E-Auto sein ...

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Teiga_Wutz (322 Kommentare)
am 27.10.2016 13:12

Dank dem Freihandadelsabkommen NAFTA wurde ein Großteil der GM-Produktionsstätten nach Mexiko verlagert. Obige Geschichte ist eine Folge der Liberalisierung und Globalisierung, welche dem Stimmvieh als Heilsbringer verkauft wird. Auch die OÖN hat bereits Partei ergriffen und möchte uns derartige Abkommen als Heilsbringer verkaufen, was totaler Unsinn ist.

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rri (3.208 Kommentare)
am 27.10.2016 12:35

@aktive...

was ist Ihre Alternative?

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Aktive_Arbeitslose (459 Kommentare)
am 27.10.2016 09:49

Obwohl wir am Schicksal anderer genau mitverfolgen können, was für ein kriminelles System der Kapitalismus ist, so machen doch immer noch allzu viele mit falschen Hoffnungen mit ...

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Orlando2312 (22.305 Kommentare)
am 27.10.2016 20:26

Keine Sorge, Anfang der 9er krachte das System der Kommunisten zusammen. Das nächste System das folgen wird ist der Kapitalismus, wenn die Menschen diese widerlichen Geizhälse abschütteln werden.

Es braucht so was wie die französische Revolution, aber mit viel weniger Blut.

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Orlando2312 (22.305 Kommentare)
am 27.10.2016 20:27

.... 90er ....

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Orlando2312 (22.305 Kommentare)
am 27.10.2016 20:30

naja hoffentlich total unblutig.

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