Einigung auf 28 Seiten: Deutschlands mühsamer Weg in Richtung Koalition

Von Heidi Riepl   13.Jänner 2018

Nach einem 24-stündigen Verhandlungsmarathon einigten sich die Spitzen von CDU, CSU und SPD auf den Start der Koalitionsverhandlungen. Sie seien "hochzufrieden" und hätten "hervorragende Ergebnisse" erzielt, feierten Kanzlerin Angela Merkel (CDU), SPD-Chef Martin Schulz und der CSU-Vorsitzende Horst Seehofer den vorläufigen Durchbruch.

Warum ging es anders als bei den gescheiterten Jamaika-Gesprächen diesmal so schnell?

Die Angst vor einer vorgezogenen Neuwahl mit einem dicken Plus für die Rechtspopulisten von der AfD war wohl der Grund dafür, dass die Parteispitzen doch über den Schatten gesprungen sind. Merkel, Schulz und Seehofer dürfte klar gewesen sein: Schaffen sie es nicht, eine Lösung zu finden, sieht es für sie alle drei düster aus.

Wer hat sich schlussendlich durchgesetzt?

Ganz eindeutig lässt sich das nicht sagen. In nahezu allen Bereichen sei eine Einigung schwierig gewesen, hieß es. Das 28-seitige Ergebnispapier zeigt: Jede Seite musste Kröten schlucken.

Hat man sich auf alle wichtigen Themen geeinigt?

Heikle Themen wie der Streit über die Bundeswehr und die Türkei-Frage wurden umgangen.

Wie waren die Reaktionen?

Vor allem in der EU wurde der Durchbruch als "Gute Nachricht für Europa" gefeiert. Deutschlands Wirtschaft sprach jedoch von einem "falschen Signal": Die Wirtschaft müsse sich auf Mehrbelastungen einstellen.

Wie geht es nun weiter?

Der Verhandlungsmarathon könnte umsonst gewesen sein, wenn der SPD-Parteitag am 21. Jänner die mühseligen Kompromisse ablehnt. Zwei Hürden gilt es zu überwinden: Die 600 Delegierten auf dem SPD-Parteitag müssen den Koalitionsverhandlungen zustimmen. Und wenn es gelingt, diese erfolgreich abzuschließen, steht noch die Mitgliederbefragung aus. Nur wenn eine Mehrheit der rund 443.000 SPD-Mitglieder den Koalitionsvertrag befürwortet, will die SPD wirklich in die Regierung eintreten. SPD-Chef Schulz will in den nächsten Tagen durch die Republik touren und insbesondere die kritischen Landesverbände von seinem Kurs überzeugen. Aber auch die Gegner einer GroKo mobilisieren: Juso-Chef Kevin Kühnert hat bereits angekündigt, die GroKo auf jeden Fall verhindern zu wollen.

Wenn alles gut läuft, wann könnte die neue Bundesregierung ihre Arbeit aufnehmen?

CSU-Chef Seehofer sagt: Ostern sei der "allerspäteste Termin".

Was passiert, wenn die GroKo doch noch platzt?

Sollte kein Koalitionsvertrag zwischen Union und SPD zustande kommen, könnte theoretisch dennoch eine Regierung gebildet werden. Eine Minderheitsregierung wäre die eine Möglichkeit. Die andere wäre, die Jamaika-Verhandlungen erneut aufzunehmen. Beide Varianten sind allerdings unwahrscheinlich. Daher wären wohl Neuwahlen unausweichlich.

 

Video: Die ORF-Korrespondentin Sabine Schuster berichtet aus Berlin über die mögliche große Koalition zwischen CDU, CSU und der SPD.

Die wichtigsten Pläne der Großen Koalition

Zuwanderung: Pro Jahr sollen nicht mehr als 180.000 bis 220.000 Flüchtlinge zuwandern. Der Familiennachzug für Flüchtlinge soll vorerst ausgesetzt bleiben und danach auf 1000 Menschen pro Monat begrenzt sein. Marokko, Tunesien und Algerien sollen zu sicheren Herkunftsländern erklärt werden.

Steuern: Die Spitzen von Union und SPD planen keine Steuererhöhungen. Anders als von der SPD ursprünglich gefordert soll auch der Spitzensteuersatz nicht erhöht werden.

Krankenversicherung: Die gesetzliche Krankenversicherung soll wieder zu gleichen Teilen von Arbeitnehmern und Arbeitgebern finanziert werden.

Solidaritätszuschlag: Der SoliZuschlag soll schrittweise um 10 Milliarden Euro bis zum Jahr 2021 gesenkt werden.

Arbeit: Mit einer Milliarde Euro zusätzlich sollen 150.000 Langzeitarbeitslose wieder in den Arbeitsmarkt integriert werden. Wegen der günstigen Beschäftigungslage gibt es auch Spielraum bei der Arbeitslosenversicherung: Deren Beiträge sollen um 0,3 Prozentpunkte sinken.

EU: Die Europäische Union soll deutlich gestärkt werden. Dazu soll auch mehr Geld aus Deutschland nach Brüssel fließen.

Kohleausstieg: Bis Ende 2018 soll ein Zeitplan für den Kohleausstieg festgelegt werden.

Frauen: Bis 2025 sollen alle Posten im öffentlichen Dienst zu gleichen Teilen mit Männern und Frauen besetzt sein.