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Der "Anschluss"

Von Klaus Buttinger, 10. März 2018, 00:04 Uhr
Der "Anschluss"
Hitler auf der Innbrücke unter Doppeladler und Hakenkreuz. Bild: Foto Kreutz, Sammlung Hörner

Vor 80 Jahren holte die 8. Armee der Wehrmacht Österreich "heim ins Reich", wie die Nazi-Führung den Einmarsch in Österreich titulierte. Über den "Anschluss", seine Wurzeln und seine Auswirkungen sprach Klaus Buttinger mit Historiker Kurt Bauer.

Der gebürtige Obersteirer Kurt Bauer, gelernter Schriftsetzer, erarbeitete sich auf dem zweiten Bildungsweg das Geschichtsstudium an der Uni Wien. Der 57-Jährige forscht am Ludwig-Boltzmann-Institut für Geschichte und Sozialkunde. Seine Schwerpunkte: Erste Republik und Sozialstruktur der NS-Bewegung.

OÖNachrichten: Wer waren die Wegbereiter des "Anschlusses" in Österreich?

Bauer: Wegbereiter im weiteren Sinne gab es viele. Die Idee des Anschlusses an Deutschland war in Österreich ab 1918 in fast allen gesellschaftlichen Großgruppen und Schichten praktisch Common Sense. Die Sozialdemokraten waren voll dafür, die Deutschnationalen sowieso, und die Christlichsozialen halb und halb.

Erklärt das den Jubel, der Hitler auf dem Weg zum und auf dem Heldenplatz entgegenbrandete?

Es ist in diesem Zusammenhang immer wieder von Massenhysterie und Massenhypnose die Rede. So kenne ich etwa den Bericht eines Grazer Juden, der sich gemeinsam mit ausländischen jüdischen Gästen aus Neugier unter die Menge gemischt hatte, vor dem Hotel Imperial an der Ringstraße, wo Hitler abgestiegen war. Irgendwann ertappten sie sich dabei, dass sie in das Geschrei einstimmten und die rechte Hand hochrissen, als Hitler sich auf dem Balkon der Menge zeigte. Und die hatten bestimmt keinen Grund dazu, von Hitler nur irgendwie begeistert zu sein. Dazu muss man sagen, dass die Massenbegeisterung während Hitlers Aufenthalt in Wien am 14. und 15. März perfekt organisiert war.

Welche Bevölkerungsgruppen standen nicht entlang der Straßen oder auf dem Heldenplatz?

Hitlergegner gab es in allen Bevölkerungsgruppen. Mit Bestimmtheit kann ich sagen, dass Juden – bis auf einige Unerschrockene vielleicht – den Heldenplatz gemieden haben. Interessant ist die Haltung eines damals 26-jährigen Schuschnigg-Anhängers, der sich noch am 11. März eifrig an der Propaganda für die von Schuschnigg ausgerufene Volksabstimmung beteiligt hatte. Er wendete sich so schnell den neuen Machthabern zu, dass er bereits am 15. März brieflich um die Aufnahme in die NSDAP ansuchte. Andererseits schreibt er aber, dass er die Ankunft Hitlers und die Veranstaltung auf dem Heldenplatz bewusst gemieden habe, weil er sich in diesem Fall als Verräter vorgekommen wäre.

Wäre militärischer Widerstand gegen die deutsche Wehrmacht machbar und sinnvoll gewesen?

Machbar wäre Widerstand gewesen, immerhin gab es in Österreich ein Bundesheer, das das Land zumindest eine Zeit lang gegen die einmarschierende Wehrmacht hätte verteidigen können. Freilich ist fraglich, wie lange und unter welchen Verlusten. Sinnvoll wäre ein solcher militärischer Widerstand bestimmt aus Sicht der Zeit nach dem Ende der NS-Herrschaft, also nach 1945, gewesen. Ob militärischer Widerstand gegen einen übermächtigen Gegner aus Sicht des Jahres 1938 sinnvoll gewesen wäre, wage ich zu bezweifeln. Darüber hinaus fragt sich, ob nicht das Bundesheer damals schon viel zu stark nazistisch unterwandert war.

Welche Auswirkungen hätte ein Widerstand auf die Zeit nach 1945 gehabt?

Man hätte die eigene Opferrolle wesentlich glaubwürdiger vertreten können, als es tatsächlich der Fall war. Man hätte sich darauf berufen können, dass Hitler nicht mit Blumen, sondern mit Bomben und Granaten in Österreich empfangen worden war.

Ziel der Einmarschierenden war vorrangig die Oesterreichische Nationalbank. Wie viel Gold erbeutete Hitlerdeutschland, und was geschah damit?

Man kann davon ausgehen, dass die österreichischen Reserven die deutschen um ein Vielfaches übertrafen. Man wird es dazu verwendet haben, die ärgsten Löcher zu stopfen, denn der deutsche Haushalt stand spätestens Ende 1937 vor dem Kollaps. Diese Situation ist auch der Grund, wieso es 1938 mit Österreich so schnell gehen musste. Zumindest in Teilen der österreichischen Bevölkerung war bekannt, dass die Deutschen sofort das Gold aus der OeNB abtransportiert hatten und dass es beim Anschluss nicht zuletzt um die Rohstoffe und Devisenreserven Österreichs gegangen war.

Der "Anschluss"
Panzerdivision auf der Donaulände nahe Linze Bild: Sammlung Thomas Hackl

Wie lange brauchten die Deutschen, bis in dem "heim ins Reich geholte" Land die Verwaltung wieder funktionierte?

Das "Land Österreich" war bereits per 1. Mai 1939 aufgelöst worden. Damit hatte Hitler klargemacht, dass er den Österreichern nicht dieselben Sonderrechte zugestehen wollte wie etwa den Bayern oder Preußen. Die Gaue der Ostmark wurden schließlich als reichsunmittelbare Gaue, sogenannte Reichsgaue, eingerichtet. Ganz klar wollte man jedes Österreich-Sonderbewusstsein so rasch wie möglich tilgen. Aber es dauerte rund zwei Jahre, bis Österreich einigermaßen in die reichsdeutsche Verwaltung integriert war.

Die Erwartungen an das neue Regime waren hoch, wichen aber bald der Ernüchterung. Warum?

Einer der zahlreich vom Altreich in die Ostmark geholten NSDAP-Kreisleiter schrieb im Sommer 1938 in seinem Tätigkeitsbericht: Man habe den "neuen Volksgenossen" nichts als Glanz und Gloria versprochen. Und nun würden sie eben meckern, weil ihnen die "versprochenen Tauben" nicht in den Mund fliegen. Die wirklich große Ernüchterung trat allerdings ein, als im September 1938 klar wurde, dass es wegen des Sudetenlandes zum Krieg kommen könnte. Damals entstand eine regelrechte Kriegsphobie.

Wie viele Menschen kamen unmittelbar nach der Machtübernahme in Haft oder Konzentrationslager?

Man kann davon ausgehen, dass allein in Wien Zehntausende Menschen verhaftet wurden. Die allermeisten aber nur kurzfristig, auf ein paar Tage. Sie wurden bald wieder freigelassen. In den meisten Fällen ging es darum, potentielle Gegner einzuschüchtern und zum Stillhalten und zur Anpassung zu zwingen. Längere Zeit in Haft kamen nur Gegner, die man als wirklich gefährlich und unbelehrbar erachtete, etwa jene rund 150 Männer, die in der Nacht vom 1. auf den 2. April 1938 im sogenannten Prominententransport nach Dachau gebracht wurden. Nach der Volksabstimmung sollten viele weitere solche Transporte folgen, später auch nach Buchenwald und in andere Lager.

Stimmt es, dass die Österreicher anteilsmäßig weniger Soldaten für den Zweiten Weltkrieg stellten als die Deutschen?

Dass anteilsmäßig weniger "Ostmärker" als "Altreichsdeutsche" zur Wehrmacht eingezogen worden wären, ist mir nicht bekannt. Das halte ich für unwahrscheinlich. Aus der Studie von Rüdiger Overmans über die Toten der Wehrmacht geht allerdings hervor, dass die Todesrate unter Soldaten aus der Ostmark signifikant geringer war als unter solchen, die aus dem Altreich kamen: 19 Prozent Tote aus Österreich, 31 Prozent Tote aus Deutschland.

Was könnte der Grund für die geringere Todesrate der österreichischen Soldaten sein?

Meines Erachtens wird man die Frage nach der Motivation der Ostmärker stellen müssen. Offenbar waren sie stärker als Soldaten aus anderen Teilen des Großdeutschen Reichs bemüht, sich den Gefahren zu entziehen, sich möglichst nicht in die vorderste Front stellen zu lassen, sich weniger oft freiwillig zu irgendwelchen Kommandos zu melden, weniger unvorsichtig nach vorne zu stürmen, sich vielleicht ein wenig leichter in Kriegsgefangenschaft zu begeben oder gar zu desertieren. Ich möchte die Frage stellen, ob nicht ein beträchtliches Loyalitätsdefizit unter den Österreichern vorhanden war. Und ob man nicht vom Verhalten der Soldaten auf die österreichische Gesellschaft insgesamt rückschließen kann. Mir scheint das ein sinnvoller Erklärungsansatz. Aber das wäre eine Frage, für die sich ein gut dotiertes Forschungsprojekt lohnen würde.

Wie erfolgreich war die Entnazifizierung in Österreich?

Der Nazismus war 1945 tot, mausetot. Ich glaube auch nicht, dass sich selbst allzu viele gestandene Nazis angesichts der erlebten Katastrophe einen solchen Staat in der erlebten Form zurückgewünscht hätten. Und in dem Ausmaß, in dem das neue Österreich ökonomisch erfolgreich war und den Menschen Wohlstand, Frieden, Sicherheit und Lebenschancen bieten konnte, wurde die Gefahr eines NS-Revisionismus auch immer geringer. Insofern ist die Entnazifizierung zu 100 Prozent gelungen. Das heißt natürlich nicht, dass viel von dem Nazi-Gedankengut, wie etwa Antisemitismus, sozialdarwinistische Denkweisen, etcetera, nicht noch lange weitergelebt hat, zum Teil bis heute. Wobei man sagen muss, dass derartiges Gedankengut ja nicht von den Nazis erfunden worden, sondern vielmehr schon lange Zeit vorher entstanden war. Das Ideengut des Nationalsozialismus kam aus der Mitte der Gesellschaft und war keineswegs irgendeine radikale, randständige Erscheinung. So ist es auch kein Wunder, dass es weiterlebte. Die Idee der Euthanasie, um nur ein Beispiel zu nennen, war damals in der gesamten westlichen Welt verbreitet.

Wie notwendig war es, die vielen Nazis in die demokratische Gesellschaft nach 1945 zu integrieren?

Es war überlebensnotwendig für den Staat. Es wäre unmöglich gewesen, Hunderttausende, wenn nicht Millionen Menschen total auszugrenzen. Noch dazu hatte sich jeder, der die NS-Zeit erlebt und überlebt hatte, irgendwie in das System verstrickt. Man urteilte also viel gnädiger als die Generationen der Nachgeborenen. Praktisch formuliert: Wenn in einer Notsituation ein starker Mangel an Ärzten herrscht, dann werde ich jeden Mediziner nehmen, den ich kriegen kann. Und ich werde mich hüten, danach zu fragen, was er früher einmal getan hat. Denn ich brauche akut einen Arzt, seine Ideologie ist mir da ziemlich egal.

Aber irgendwann war das Schweigen zu laut ...

Dass es ab einem bestimmten Zeitpunkt geboten war, das Schweigen über die Vergangenheit zu brechen und alles anzusprechen, was passiert war, ist ebenso klar. Das war die Aufgabe, die die Generation der jungen Historiker der 1970er und 1980er Jahre geleistet hat. Es waren nur zu oft die Söhne der Nazi-Väter, die die unangenehmen Fragen gestellt und die unbequemen Wahrheiten ausgesprochen haben.

Haben Sie sich selbst einmal die Frage gestellt, wie Sie auf die veränderten Umstände 1938 reagiert hätten?

Wenn man sich als Österreicher wissenschaftlich mit dem Nationalsozialismus befasst, stellt man sich oft die Frage, wie man sich damals wohl verhalten hätte. Man möchte sich selbst natürlich gerne als heldenhafter Widerstandskämpfer sehen. Aber das ist, was meine Person betrifft, wenig wahrscheinlich. Was ich mich wirklich frage: ob ich den Mut gehabt hätte, einem jüdischen Freund zu helfen, der Deportation in ein Vernichtungslager zu entgehen. Ich kann es nicht sagen, aber ich hoffe es.

Der "Anschluss"
Anschluss-Jubel auf der Linzer Landstraße Bild: Sammlung Thomas Hackl

 

NS-Politik und Alltag

„Die dunklen Jahre“Der Wiener Historiker Kurt Bauer legt mit seinem Buch „Die dunklen Jahre – Politik und Alltag im nationalsozialistischen Österreich 1938–1945“ eine große Erzählung über jene Zeit vor. Unzählige Tagebücher, Autobiografien und Briefe hat der Bruno-Kreisky-Preisträger zu einem spannenden Panorama vielfältiger Schicksale verdichtet.

Fischer Verlag, 480 Seiten, 17,50 Euro

TV-Dokumentation: „In Linz begann’s“

Wie war das wirklich im März 1938 in Linz – hier, wo Hitler den vollständigen Anschluss Österreichs an das Deutsche Reich beschloss? Im Linzer Hotel Weinzinger besprach Hitler am 13. März mit führenden Parteimitgliedern die Projekte zum Ausbau seiner Patenstadt Linz – wirtschaftlich, kulturell und strategisch.
Thomas Hackl und Martina Hechenberger werfen mit ihrer TV-Dokumentation „In Linz begann’s“ Licht auf diese Tage.
10. März, 21 Uhr, ORF III
13. März, 13.50 Uhr, 3sat

Die letzten Tage Österreichs

12. Februar 1938: „Berchtesgadener Abkommen“: Hitler und Schuschnigg treffen einander auf Hitlers „Berghof“ auf dem Obersalzberg. Unter Androhung eines Einmarsches stimmt Schuschnigg der Einsetzung von Nazi-Jurist Arthur Seyß-Inquart als Innenminister zu.

10. März: Hitler gibt den Befehl zur Mobilisierung der 8. Armee.

11. März: Schuschnigg sagt nach Androhung des Einmarsches die
geplante Volksbefragung ab und tritt ab mit den Worten: „Gott schütze Österreich.“ Bundespräsident Miklas ernennt Seyß-Inquart zum Kanzler. Die Nationalsozialisten beginnen mit der Jagd auf Gegner. Züge und Straßen Richtung Grenzen sind überfüllt.

12. März, 5.30 Uhr: Deutsche Truppen überschreiten die österreichische Grenze bei Passau und Schärding, wenig später folgt eine Panzerdivision, der „Anschluss“ ist praktisch vollzogen. Während die erste Verhaftungswelle läuft, macht sich Hitler über Braunau, wo er um 16 Uhr die Grenze passiert, auf den Weg nach Linz.

13. März: Im Hotel Weinzinger in Linz unterzeichnet Hitler das Gesetz zum vollständigen Anschluss Österreichs an das Deutsche Reich. Miklas tritt zurück.

14. März: Hitler fährt weiter nach Wien, wo er vom Balkon des Hotels Imperial eine Ansprache hält. Für den 10. April wird eine „Volksabstimmung über die Wiedervereinigung Österreichs mit dem
Deutschen Reich“ angeordnet.

15. März: Hitler spricht vor 250.000 Menschen auf dem Heldenplatz und verkündet den „Eintritt meiner Heimat in das Deutsche Reich“.

1. April: Erster Österreicher-Transport in das KZ Dachau.

8. August: Hitler ordnet den Bau des KZ Mauthausen an, wo 105.000 Menschen ermordet werden.

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2  Kommentare
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Temperatur (15 Kommentare)
am 10.03.2018 14:33

Ja, vergessen wir nicht. Für unser Wohlergehen weiterhin Zuversicht und Dankbarkeit. Mit Gott.

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forensik (859 Kommentare)
am 10.03.2018 12:17

"Der Nazismus war 1945 tot, mausetot." Scheintot wohl, sonst wären die zahlreichen Hitlerbilder in den Keller nicht erhalten geblieben.

"Mehr oder weniger haben sich alle verstrickt?" Die große Mehrheit hat vermutlich aus Angst geschwiegen. Das Verschwinden der Leute begann sehr früh, das Spitzelwesen funktionierte mörderisch gut. Der Witz am Stammtisch genügte um den Familienvater abzuholen. Keine Wiederkehr, vielleicht noch eines Todesanzeige, Lungenentzündung.

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