Wenn Strafen sinnlos sind
LINZ. Tragische Unfälle Bei fahrlässigen Tötungen sollen künftig auch Erwachsene anstatt einer Vorstrafe eine Diversion erhalten.
Und plötzlich ist mit einem Schlag nichts mehr so, wie es vorher einmal war. Um noch rasch ein Zugticket zu kaufen, stellte eine junge Mutter im Vorjahr den Buggy mit ihrem zweijährigen Kind am Bahnsteig der Station Linz-Ebelsberg ab. Dabei hatte sie offenbar die Feststellbremsen des Kinderwagens nicht richtig aktiviert. Als die Mutter zum Fahrscheinautomaten eilte, donnerte ein Güterzug durch den Bahnhof. Durch die Sogwirkung rollte der Kinderwagen auf die Gleise, das Kleinkind wurde vom Güterzug erfasst und getötet.
In der Folge bekam die traumatisierte Mutter die Härte des Strafrechts zu spüren. Die Staatsanwaltschaft veranlasste ein Verfahren wegen fahrlässiger Tötung. Ein Strafantrag, also eine Anklage beim Bezirksgericht wurde eingebracht. Die 33-Jährige musste sich im Gerichtssaal als Angeklagte verantworten. Die Mutter, die auf so tragische Weise ihr Kind verloren hatte, wurde schuldig gesprochen – und zu drei Monaten bedingter Haftstrafe verurteilt. Bis zu einem Jahr Freiheitsstrafe wäre laut Höchststrafrahmen möglich gewesen.
"So eine Frau ist doch für ihr Leben bestraft genug", sagt ein Richter, der nicht namentlich genannt werden möchte. "Was für eine Strafe sollen wir Richter in solchen Fällen da noch verhängen, die angemessen wäre?" Geht es nach dem Gesetzgeber, in Zukunft keine mehr. Justizminister Wolfgang Brandstetter (VP) hat eine Regierungsvorlage im Ministerrat eingebracht. Diese sieht vor, dass wie schon jetzt Jugendliche, künftig auch Erwachsene bei fahrlässigen Tötungen anstatt einer Vorstrafe mit einer sogenannten Diversion davonkommen sollen.
Heißt: Die Staatsanwaltschaft stellt das Verfahren unter bestimmten Auflagen (zum Beispiel Probezeit mit Bewährungshilfe, Zahlung einer Geldbuße, Erbringung gemeinnütziger Leistungen) ein. Das Strafregister bleibt unbefleckt, den Betroffenen wird die Pein einer öffentlichen gerichtlichen Hauptverhandlung erspart.
Statt klassischer (un-)bedingter Geld- bzw. Haftstrafen kennt das österreichische Recht Diversionen als alternative Sanktionen für strafbares Verhalten schon seit Jahrzehnten. Im Jugendstrafrecht wurden erste Modellprojekte bereits Mitte der 80er-Jahre praktiziert. Bei Todesfolgen waren diversionelle Maßnahmen aber lange Zeit tabu. Erst in den vergangenen Jahren gab es eine Öffnung für Jugendliche.
Der Brandstetter-Entwurf sieht nun vor, Diversionen bei fahrlässigen Tötungen zu ermöglichen, wenn das Opfer ein "naher Angehöriger" ist, den Täter "keine schwere Schuld" trifft und der Tod des Angehörigen eine "schwere psychische Belastung" für den Täter zur Folge hat, erklärt Alois Birklbauer, Professor für Strafrecht an der Linzer Kepler-Uni. Bei alkoholbedingten Unfällen kommt eine Diversion aber nicht in Frage. Denn ab 0,8 Promille geht die Judikatur von grober Fahrlässigkeit, also schwerem Verschulden aus.
"Diversion hat sich bewährt"
Der Entwurf sehe aber "gewisse Ermessensspielräume" für die Rechtsanwender vor. "Die Diversion ist ein Erfolgsmodell, das heute niemand mehr ernsthaft in Frage stellt und das sich bei Alltagskriminalität bewährt hat", begrüßt der Linzer Strafverteidiger Wolfgang Moringer den Entwurf.
Die Diversion
Diversion bedeutet, dass das Strafverfahren eingestellt wird und der Täter keine „klassische“ Geld- oder Freiheitsstrafe bekommt. Voraussetzung ist die Übernahme der Verantwortung und dass die Schuld nur „leicht“ oder „mittelschwer“ ist. Bei „schwerer Schuld“ ist eine Diversion nicht möglich. Als Maßnahmen kommen ein Tatausgleich, eine Geldbuße, die Erbringung gemeinnütziger Leistungen oder die Einstellung unter einer (meist zweijährigen) Probezeit in Frage. Diversionen gelten nur bei Delikten , die mit maximal fünf Jahren Freiheitsstrafe bedroht sind.
Diversionen seien eine „Erfolgsgeschichte“, sagt der Rechtsanwalt Wolfgang Moringer. Inzwischen werden rund 60 Prozent aller Strafanzeigen diversionell erledigt. Im Vorjahr waren es rund 40.000 Fälle. Geldbußen können aber unter Umständen höher ausfallen als Geldstrafen, sagt Anwalt Moringer. Denn in Geldbußen werden etwa auch Gutachter-Kosten eingerechnet, während die klassische Geldstrafe, gerade bei Ersttätern, zu einem Teil bedingt nachgesehen werden kann.
Bei der Diversion nimmt die Linzer Justiz eine Vorreiterrolle ein. Bereits Mitte der 80er Jahre war die Staatsanwaltschaft Teil des „Modellprojekts Konfliktregelung“, das den außergerichtlichen Tatausgleich zwischen Täter und Opfer bei Jugendlichen erfolgreich erprobte. Die ersten Gesetze traten 1988 in Kraft.
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Meingott, wo gibts denn sowas noch! Vernünftige, sogar intelligente Juristen, die was anderes können als strafen.
Wermutstropfen, dass das aus dem Ministerium kommt und nicht aus dem Parlament, aber wenigstens was.