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"Im Zweifel für die Angeklagten"

Von Robert Stammler, 06. April 2018, 00:04 Uhr
"Im Zweifel für die Angeklagten"
Freisprüche im Vergewaltigungsprozess schlugen hohe Wellen. (APA) Bild: APA/GEORG HOCHMUTH

LINZ. Urteil: Nach Freisprüchen für zwei wegen Vergewaltigung angeklagter Asylwerber hagelte es Kritik an der Justiz – Über den Wert von "in dubio pro reo".

"Skandalös und unerträglich", "die Justiz" benachteilige "unsere Landsleute gegenüber Zuwanderern", im Ermittlungsverfahren sei "geschlampt" worden. In der Vorwoche musste die unabhängige Rechtsprechung heftige Kritik einstecken.

Anlass waren die erstinstanzlichen, nicht rechtskräftigen Freisprüche eines Schöffensenats des Landesgerichts St. Pölten am Ende einer neunstündigen Hauptverhandlung, die unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattgefunden hatte. Die Staatsanwaltschaft hatte zwei jugendliche Asylwerber angeklagt, ein 15-jähriges Mädchen vergewaltigt zu haben.

Der Senat aus zwei Berufs- und zwei Laienrichtern konnte sich in der Schuldfrage aber nicht einigen. Zwei Mitglieder stimmten für einen Schuld-, zwei für einen Freispruch. Die Stimmen zählen alle gleich. Ein Freispruch ist daher auch gegen den Willen der Berufsrichter möglich. Aber: Wer wie abstimmte, erfährt die Öffentlichkeit nicht. "Die Beratungen über Schuld und Strafe sind geheim", sagt Oliver Plöckinger, Rechtsanwalt und erfahrener Strafverteidiger von der Kanzlei SCWP.

Unentschieden heißt Freispruch

"2:2 bedeutet einen Freispruch im Zweifel für die Angeklagten. Das heißt, dass die für eine Verurteilung notwendige, an Sicherheit grenzende Wahrscheinlichkeit nicht gegeben war. Wenn das Gericht zu diesem Ergebnis kommt, ist freizusprechen", sagt Plöckinger. Liegt ein Fehlurteil vor? "Verfahren, die ich nicht kenne, kommentiere ich nicht, und das rate ich auch jedem anderen." Es habe ein Gericht in erster Instanz freigesprochen, nun habe die Staatsanwaltschaft ein Rechtsmittel angekündigt. "Der Oberste Gerichtshof muss entscheiden. Die Welt ist hier relativ einfach. Das Ergebnis ist zu akzeptieren, sonst funktioniert der Rechtsstaat nicht mehr."

"Wichtige Grundsätze"

Den Wert rechtsstaatlicher Prinzipien betont auch der Linzer Staatsanwalt Philip Christl: "Der Zweifelsgrundsatz und die freie richterliche Beweiswürdigung sind zwei unglaublich wichtige Verfahrensgrundsätze, die sich bewährt haben und dazu beitragen, dass Unschuldige nicht willkürlich bestraft werden können." Ohne Aktenkenntnis und ohne Anwesenheit in der Hauptverhandlung sei es nicht möglich, sich ein Bild von der Entscheidung zu machen, betont Christl. "Das Urteil zeigt aber, dass sich die Gerichtsbarkeit durch sachfremde Argumente nicht beeinflussen lässt."

"Bei Sexualdelikten neigen die Gerichte schon seit Jahren nicht mehr zu vorschnellen Freisprüchen", sagt der erfahrene Anwalt und Verteidiger Wolfgang Moringer von der Kanzlei Haslinger, Nagele & Partner. "Gerichte neigen auch nicht a priori dazu, Menschen aus fremden Herkunftsländern zu bevorzugen." Das Gericht müsse "erhebliche Zweifel" gehabt haben. Öffentliche Diskussionen über höhere Strafdrohungen nur aus Anlass dieses Freispruchs hält Moringer für "schwachsinnig".

 

Es geht in die zweite Instanz

Im Fall der mutmaßlichen Vergewaltigung in Tulln hat die Staatsanwaltschaft nach den Freisprüchen eine Nichtigkeitsbeschwerde angekündigt. Einbringen kann sie dieses Rechtsmittel binnen vier Wochen aber erst, wenn das schriftliche Urteil ausgefertigt und zugestellt worden ist. Gegenstand der Beschwerde sind vor allem Verfahrensfehler.

Die Beweiswürdigung ("A ist glaubwürdiger als B") von Kollegialgerichten ist grundsätzlich nicht anfechtbar. Die Beschwerde ist vom Obersten Gerichtshof zu prüfen. Der OGH kann das Urteil im Fall von Formalfehlern aufheben und den Prozess wiederholen lassen. Dasselbe gilt bei der Bekämpfung von Schuldsprüchen.

 

Fall von Tulln: Was Strafrechtsexperten zu den umstrittenen Freisprüchen des Landesgerichts St. Pölten sagen

 

"Ein Freispruch bedeutet, dass die für eine Verurteilung nötige, mit an Sicherheit grenzende Wahrscheinlichkeit der Täterschaft nicht gegeben war." – Oliver Plöckinger, Strafverteidiger und Rechtsanwalt

"Der Zweifelsgrundsatz und die freie richterliche Beweiswürdigung sind wichtige Prozessgrundsätze, die dazu beitragen, dass niemand willkürlich verurteilt wird." – Philip Christl, Staatsanwaltschaft Linz

"Bei Sexualdelikten neigen die Gerichte schon seit Jahren nicht mehr zu vorschnellen Freisprüchen. Das Gericht muss erhebliche Zweifel gehabt haben." – Wolfgang Moringer, Rechtsanwalt und Strafverteidiger

 

 

 

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